BUNDESLÄNDER / PENSIONEN Tarnen und Täuschen
Dreizehn Jahre lang saß Wiesbadens Oberbürgermeister Rudi Schmitt, 40, als SPD-Abgeordneter im hessischen Landtag. Nun -- sechs Monate nach seinem Ausscheiden -- ist der Dank des Hessenlandes ihm gewiß.
Außer seiner Beamten-Pension von mindestens 3000 Mark im Monat steht dem Ex-Parlamentarier für den Lebensabend neuerdings ein MdL-Ruhegeld von monatlich 975 Mark zu.
Rudi Schmitt profitiert von einer Selbstbedienungsaktion, mit der die insgesamt 573 Mitglieder der Landtage von Hessen, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sich zu Berufspolitikern mit Renten-Anspruch ernannt haben -- nach Bonner Muster:
Am 27. März, spätabends, hatten sich in aller Stille die Bundestags-Abgeordneten neben erhöhten Diäten auch noch Staats-Pensionen bewilligt (SPIEGEL 19/1968).
Die Provinz-Parlamentarier an Rhein, Main, Isar und der See wollten da nicht zurückstehen. Um auch ihren Lebensabend gratis zu sichern, taten sie es im Tarnen und Täuschen den Bonnern gleich.
Sie tagten bei »Nacht und Nebel« ("Darmstädter Echo"), »hinter dicht verschlossenen Türen« ("Frankfurter Rundschau") und verbargen ihre »skandalösen Absichten« ("Frankenpost") mit »Unverfrorenheit« ("Süddeutsche Zeitung").
So wurden nach der 20. Sitzung des Kieler Landtags Ministerialbeamte, Besucher und Journalisten aus dem Hohen Haus gewiesen und die Parlamentstüren von Livrierten sorgsam verschlossen. Dann setzte drinnen das MdL-Plenum -- nun nicht als Landtag, sondern als flugs gegründetes »Abgeordneten-Versorgungswerk Schleswig-Holstein« -- das MdL-Pensionsalter auf 55 Jahre fest.
Hessens Parlamentarier streuten die von SPD- und CDU-Unterhändlern vertraulich vorbereiteten Pensions-Paragraphen in das übliche Landtagsprogramm und brachten sie binnen zwei Tagen durch. In Nordrhein-Westfalen wurde, wie der Bund der Steuerzahler bemängelte, »die Öffentlichkeit ... auf kaltem Wege -- über die Geschäftsordnung -- ausgeschaltet": Statt des Plenums befaßte sich der nicht öffentlich tagende Altestenrat mit der Rentenregelung.
Besonders lukrativ wird der Dienst in den vier Parlamenten künftig für die beamteten MdL: Denn nach dem »Gleichheitsgrundsatz«, so Kiels Landtagspräsident Paul Rohloff (CDU), werden auch Abgeordnete mit Ruhegeld bedacht, die etwa als Studienräte oder Staatsanwälte, Postler oder Polizisten für ihre parlamentarische Arbeit freigestellt werden und mit 65 Jahren ohnehin Pension beziehen.
In Schleswig-Holstein und Hessen, wo schon 55jährige Ex-Abgeordnete (nach achtjähriger MdL-Zeit) Landtagsrente* bekommen, kassieren beamtete Ex-Parlamentarier, die nach ihrem Fünfundfünfzigsten noch rüstig zehn Jahre lang am staatlichen Arbeitsplatz ausharren, zehn Jahre lang gar volles (Beamten-)Gehalt und volle (Parlamentarier-)Pension.
Um Renten-Opponenten zu besänftigen und um »das Pflänzchen Abgeordneten-Pension vor neugierig-böswilligen Blicken zu verbergen«, legten Landes-Politiker »kunstvoll« einen »Irrgarten« an ("FAZ").
So geben Schleswig-Holsteins Abgeordnete vor, sie zahlten monatlich 200 Mark als »Eigenleistung« in ihre Rentenkasse. Davon, daß sie, wie auch die Hessen und die Nordrhein-Westfalen, zu diesem Zweck gerade ihre Diäten erhöht, hatten, machen sie kein Aufheben. Und auch die speziell für Parlamentarier arrangierte ungewöhnlich hohe Renten-Erwartung behandeln sie gern wie ein Staatsgeheimnis.
* In Bayern sind Abgeordnete nach acht MdL-Jahren mit dem 60. Lebensjahr, in Nordrhein-Westfalen nach acht MdL-Jahren mit dem 55., nach 12 MdL-Jahren mit dem 60. und nach 16 MdL-Jahren mit dem 55. Lebensjahr pensionsberechtigt.
Während beispielsweise ein 47jähriger Abgeordneter aus Schleswig-Holstein, der monatlich 200 Mark einzahlt und mit 55 Jahren aus dem Landtag ausscheidet, nach den Tabellen der Lebensversicherungsgesellschaften eigentlich nur eine lebenslange Monatsrente von 109,42 Mark bekommen würde, genehmigten sich die Parlamentarier 600 Mark. Oder: Für eine Gruppenversicherung, die einem 55jährigen bis zum Lebensende monatlich 600 Mark zahlt, müßte ein 47jähriger 1225,13 Mark als Monatsprämie entrichten -- sechsmal mehr, als die Abgeordneten tatsächlich leisten wollen.
Mithin werden in den Versorgungskassen der Landtage Millionen-Fehlbeträge registriert werden, zumal in den vier Landtagen heute fast jeder dritte Abgeordnete älter als 55 Jahre ist. Aber auch da haben die Parlamentarier vorgesorgt: Sie erließen Gesetze, nach denen das Land einspringt, wenn rote Zahlen auftauchen.
Wie groß das drohende Defizit sein wird, haben die Pensions-Politiker noch nicht errechnet, obwohl für sie die Etat-Grundsätze der »Wahrheit und Klarheit« gelten. Vor dem Bayerischen Landtag rügte denn auch Innen-Ministerialdirigent Alexander Mayer die Abgeordneten: Ihrem Pensions-Gesetz mangele es an der -- vom Landes-Verfassungsgericht verlangten -- »meßbaren Klarheit« der künftig entstehenden Kosten.
Klarheit fehlt vollends In Schleswig-Holstein, wo es für die Volksvertreter -- neben der Pensionskasse -- noch eine »Hilfskasse« gibt, über die sie für jeden der Ihren eine 30 000-Mark-Lebensversicherung abgeschlossen haben: Wenn der Zins-Ertrag der MdL-Einzahlungen zur Abdeckung der Prämien nicht ausreicht, wird »das Land durch Zuschüsse die weiteren Prämienzahlungen« gewährleisten.
Bürgern, die solche Praktiken kritisieren, drohen Kieler Parlamentarier mit dem Staatsanwalt. Als der Bund der Steuerzahler brieflich an alle Abgeordneten appellierte, »dem Willen Ihrer Wähler zu genügen« und auf die »Spezial-Altersversorung« zu verzichten, konterte Landtagspräsident Dr. Paul Rohloff verärgert: Die Brief-Aktion sei eine »nach Form und Inhalt an den strafbaren Tatbestand der Nötigung heranreichende Pression«.