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REDNER-TAUSCH Tassen im Schrank

aus DER SPIEGEL 27/1966

DDR-Techniker legen Sonderleitungen für westdeutsche Korrespondenten. SED-Instruktoren schulen ihre Chemnitzer Funktionäre, Chemnitzer Hoteldirektoren ihr Personal.

Walter Ulbricht läßt den Redner-Austausch vorbereiten - so scheint es. Journalisten aus der Bundesrepublik werden von der SED »geradezu an den Haaren nach Karl-Marx-Stadt gezogen« (SPD-Sprecher Stallberg), um ihnen zu zeigen, wie weit die technischen Voraussetzungen für das Chemnitzer Rede-Duell bereits gediehen sind.

Aber Westdeutschlands Sozialdemokraten wissen dennoch nicht, was die SED wirklich will: Austausch oder Abbruch. Mitte dieser Woche erhofft sich die SPD Klarheit über die Absichten der Einheitspartei.

Diesen Termin hat der SPD-Unterhändler Fritz Stallberg seinen SED-Kontrahenten Paul Verner und Werner Lamberz für ein letztes Kontaktgespräch vorgeschlagen, dem dann vor dem »Schlagabtausch« (SPD-Führer Willy Brandt) nur noch Lokalinspektionen an den Schauplätzen folgen sollen.

Die Sozialdemokraten beharren nicht mehr darauf, daß West-Berlin Beratungsort sein muß. Auch Ost-Berlin ist ihnen genehm.

Stallberg: »Nur Berlin müßte es auf jeden Fall sein, damit die Verhandlungsdelegationen in der Mittagspause Gelegenheit haben, sich mit ihren Vorsitzenden zu besprechen.« Denn: »Wir dürfen aus Zeitgründen beim nächstenmal nicht auseinandergehen, ohne völlige Klarheit zu haben.«

Die Sozialdemokraten glauben Anhaltspunkte dafür zu haben, daß der Kreml und in seinem Gefolge die SEDFuhrung an dem Redner-Austausch nicht mehr interessiert ist:

- Sowjet-Diplomaten verrieten bei Cocktail-Partys und Empfängen ungeniert, der geplante Disput von Chemnitz und Hannover sei »unsinnig«.

- Der Ost-Berliner Sowjet-Botschafter Abrassimow, der gelegentlich eines Empfangs im Schwedischen Generalkonsulat in West-Berlin mit Willy Brandt über den Dortmunder SPDParteitag sprach, äußerte sich betont abfällig über das Dialog-Projekt.

- Hartnäckig fordern die SED-Unterhändler, nicht in West-Berlin, sondern in Bonn mit der SPD über die technischen Bedingungen des Redner-Austausches zu sprechen.

- Die Agitatoren der Einheitspartei verbreiten mit Nachdruck die These, ihre Redner könnten nicht unter diskriminierenden Bedingungen in die Bundesrepublik reisen, da »freies Geleit« nur Verbrechern zugebilligt werde.

Das letzte Argument fand am Mittwoch und Donnerstag der vergangenen Woche in Bonn kräftige Nahrung.

In der Kabinettssitzung am vergangenen Mittwoch kritisierte Kanzler Ludwig Erhard die von der SPD beifällig aufgenommene Erklärung des Justizministers Richard Jaeger über »die befristete Freistellung (der SED-Redner) von der deutschen Gerichtsbarkeit«. Erhard: »Das ist mir nicht profiliert genug.«

Der Kanzler stellte die rhetorische Frage, ob es »für die Rechtsüberzeugung des Volkes zumutbar ist, einem einer schwerwiegenden strafbaren Handlung hinreichend oder sogar dringend Verdächtigen ... die Befreiung von der Gerichtsbarkeit zuzusichern«.

In der Bundestags-Sitzung am letzten Donnerstag - in der das »Freigeleit« -Gesetz angenommen wurde - übertraf der CDU/CSU-Fraktionsjurist Ernst Benda noch die profilierten Sätze Erhards und nannte »die sowjetzonalen Machthaber« gleich zweimal »Mörder«.

SPD-Stallberg unkte: »Das war für den Redner-Austausch wenig hilfreich.« Die Sowjetzonen-Nachrichtenagentur ADN konstatierte am Donnerstagabend, die Verfasser des Freistellungsgesetzes hätten »offensichtlich nicht mehr alle Tassen im Schrank«.

Frankfurter Allgemeine

»Daß sich nur keener 'n Bruch hebt dabei«

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