VERFASSUNGSSCHUTZ Tatkomplex Spranger
Kaum hatte Innenminister Friedrich Zimmermann am letzten Mittwoch dem Bundestags-Innenausschuß zum zweiten Mal über allerlei obskure Anfragen seines Parlamentarischen Staatssekretars Carl-Dieter Spranger berichtet, sahen die Unionschristen sonnenklar.
Nach Zimmermanns »umfassender« Information, tönten die innenpolitischen Sprecher Paul Laufs (CDU) und Hermann Fellner (CSU), stehe fest, daß das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) »in keiner Weise mißbraucht« worden sei. SPD und Grüne hätten mithin »eine weitere parteipolitische Kampagne gegen die Bundesregierung in den Sand gesetzt«.
Da muß der Vorsitzende der Jungen Union, Christoph Böhr, der tags darauf Sprangers Rücktritt forderte, wohl nicht aufgepaßt haben. Ebenso der freidemokratische Koalitionspartner: FDP-Rechtsexperte
Burkhard Hirsch - und nicht nur er - hatte nach der Vorstellung im Innenausschuß jedenfalls den Eindruck, »Spranger würde sich selbst einen Dienst erweisen, wenn er zurückträte«.
Was Laufs unverdrossen »Kampagne« nannte, hatte am 13. Dezember mit der Vernehmung des BfV Vizepräsidenten Stefan Pelny vor dem Spionage-Untersuchungsausschuß des Bundestages begonnen. So nebenbei, aber durchaus genüßlich, erzählte der Sozialdemokrat von vier Anfragen Sprangers an das BfV über die der damalige Präsident Heribert Hellenbroich und er »teilweise irritiert teilweise - ich bitte um Nachsicht - auch amüsiert« waren.
Angefordert hatte Spranger Berichte über linksextremistische Einflüsse auf die Grünen, über einschlägige Aktivitäten möglicher Bundestags-Nachrücker der Öko-Partei, über eine etwaige »Identifikation« des Abgeordneten Otto Schily mit dem Terrorismus und schließlich über die Frage, ob die Flick-Affäre auf »Desinformationen« östlicher Nachrichtendienste zurückzuführen sei.
Besonders Sprangers Mitteilung, der Bericht über extremistische Grüne sei für den CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer bestimmt, erweckte bei den Verfassungsschützern die Befürchtung so Pelny, »daß hier der Versuch gemacht werden soll, Erkenntnisse des BfV für die politische Tages-Auseinandersetzung zu mißbrauchen«.
Doch da sei Zimmermann vor. Auf derlei Auskünfte, befand er vor dem Innenausschuß, während vor der Saaltür Grüne gegen die Unionspraxis demonstrierten, habe selbstverständlich jeder Abgeordnete Anspruch. Und überhaupt: »Hier sind keine Geheimnisse weitergegeben worden, sondern offen zugängliches Material, das im Bundesamt für Verfassungsschutz allerdings zusammengestellt worden war.«
Das BfV hatte zwei Papiere zu den Grünen geliefert - eine allgemeine Einschätzung mit dem Leitsatz: »Gesicherte Erkenntnisse, daß Linksextremisten einen bestimmenden Einfluß auf die Gesamtpartei der Grünen ausüben, liegen nicht vor«, deshalb dürfe die Partei auch »nicht Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes« sein; dazu eine 31 Personen - von Joschka Fischer bis Antje Vollmer - umfassende Liste grüner Funktionsträger, die laut BfV »in linksextremistischen Zusammenschlüssen tätig waren«.
Das allgemeine Papier hatte die Kölner Behörde mit »VS - nur für den Dienstgebrauch« gestempelt, die Namensliste sogar mit »VS - vertraulich amtlich geheimgehalten«. An Todenhöfer gelangten beide Dokumente jeweils ohne VS-Vermerke, dafür mit der Bitte, »die Aufzeichnungen als 'Non-Paper' ohne Quellenangabe zu verwenden«.
Tatsächlich hätte nur das BfV von sich aus oder auf Anweisung des Innenministeriums die VS-Klassifizierung aufheben dürfen. Spranger ist dazu nicht befugt, weil er als Parlamentarischer Staatssekretär keine Fachaufsicht ausübt.
Doch im Hause Zimmermann werden derlei Vorschriften nicht sonderlich ernst genommen. Am Montag letzter Woche trug der unbefugte Spranger auf dem inzwischen ein Jahr alten Hellenbroich-Anschreiben handschriftlich diese »Vfg.« (Verfügung) nach: »VS-Schutz der Anlagen 2 u. 3 Anfang Februar 1985 aufgehoben.«
Mit oder ohne Vermerk - die Namensliste hätte Spranger seinem Gesinnungsfreund Todenhöfer nicht überlassen dürfen. »Die Weitergabe von Einzelinformationen über Personen, die der Verfassungsschutz unter bestimmten Gesichtspunkten sammelt, an Außenstehende«, weiß Ex-Innenminister Gerhart Baum (FDP), »ist absolut unüblich.«
Was üblich ist, bestimmt Spranger, im Kampf gegen Linke kennt er keine Hemmungen und kein Pardon. Ende 1984 war er selbst auf die Idee gekommen, Hellenbroich auf Otto Schily als früheren Verteidiger von RAF-Mitgliedern anzusetzen. Aber außer ein paar harmlosen Schily-Unterlagen aus längst verflossenen Apo-Zeiten hatten die Kölner nichts auf Lager.
Da traf es sich gut, daß ein paar Monate später Günter Reichert, Büroleiter des CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger, ebenfalls Interesse an Schily zeigte. Und wenn noch ein Beweis fehlte, daß Unionschristen wie Spranger den Verfassungsschutz für den parteipolitischen Tageskampf instrumentalisieren wollten - Reichert hat ihn in einem am 17. Dezember 1985 nachgeschobenen Vermerk für seinen Chef geliefert: _____« Zu einem mir nicht mehr genau erinnerli chen » _____« Zeitpunkt gab es in der Presse Vermutungen, daß es in » _____« Hessen eine rot grüne Koalition mit einem Justizminister » _____« Schily geben könnte. Im Rahmen meiner Aufgabe, alle » _____« politischen Ereignisse zu beobachten und Reaktionen auf » _____« solche Ereignisse vorzubereiten, habe ich Herrn Spranger » _____« am Rande einer Fraktionsvor standssitzung angesprochen, » _____« ob ich über ihn Informationen über die Verbindungen von » _____« Herrn Schily zur Terrorismusszene vor seiner MdB-Zeit » _____« (zum Beispiel aus seiner Berliner Tätigkeit als » _____« Terroristen Anwalt) erhalten könnte. »
Erneut bemühte Spranger das BfV, erneut ging er leer aus. Mangels Erkenntnissen über Schily, schrieb ihm Hellenbroich, habe seine Behörde den »Vorgang« inzwischen »aufgelöst und die Speicherung im Nadis«, dem Zentralcomputer des Verfassungsschutzes »widerrufen«.
Als »mit Händen greifbar absurd« ( Pelny) empfanden die Kölner Sprangers fixe Idee von der »Desinformation«. Er wollte vom BfV wissen, ob vielleicht der ehemalige Generalbevollmächtigte Eberhard von Brauchitsch selbst Werkzeug eines Ost-Dienstes gewesen sei. Brauchitsch als KGB-Agent? FDP-Mann Baum fassungslos: »Was mutet man eigentlich dem Dienst alles zu?«
Darüber wird es demnächst näheren Aufschluß geben. Aus Furcht, die Opposition könnte noch einen Untersuchungsausschuß installieren, ließ die Union letzte Woche einen Antrag der Sozialdemokraten passieren, der den Auftrag des Spionage-Ausschusses um den »Tatkomplex Spranger« (SPD-MdB Harald B. Schäfer) erweitert.