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THRONWECHSEL Tausendundein Jahr

aus DER SPIEGEL 47/1964

Ihre Königliche Hoheit, Großherzogin

Charlotte von Luxemburg, Herzogin zu Nassau, Prinzessin von Bourbon von Parma, Pfalzgräfin bei Rhein, Gräfin zu Sayn, Königstein, Katzenelnbogen und Dietz, Burggräfin zu Hammerstein, Herrin zu Mahlberg, Wiesbaden, Idstein, Merenberg, Limburg und Eppstein, hatte das Land 45 Jahre lang regiert.

Letzten Donnerstag hielt Charlotte, 68, die Zeit für gekommen, sich nunmehr »wie jeder Arbeiter seiner Rente zu erfreuen«. Sie ging in Pension; ihr Sohn Jean, 43, übernahm das Zepter. Die längste Regierungszeit eines europäischen Monarchen in diesem Jahrhundert war zu Ende.

Für Deutschlands kleinsten Nachbarn war es eine glückhafte Zeit. Die 320 000 luxemburgischen Untertanen - so viele, wie Mannheim Einwohner hat - erfreuen sich nach den Schweden und Schweizern des dritthöchsten Lebensstandards aller Europäer. Sie besitzen 393 eigene Bahnkilometer, einen Olympiasieger und mit »Radio Luxemburg« die meistgehörte Funkstation Europas.

Der Großherzogin gelang es überdies, erstmals nach 500 Jahren in der tausendundeinjährigen Geschichte ihres Landes, Luxemburg wieder in der großen Politik mitreden zu lassen: Das 2586 Quadratkilometer kleine Herzogtum trat in die EWG und in die Nato ein, und seine Hauptstadt beherbergt seit 1951 die Hohe Behörde der Montan-Union mit 800 Bediensteten.

Jahrhundertelang hatten zuvor immer die anderen versucht, in Luxemburg mitzureden. Seit am Palmsonntag des Jahres 963 der Ardenner -Graf Siegfried vom Abt Wikerus zu Trier das Römerkastell Lucilinburhuc (zu deutsch: Lützelburg), das spätere Luxemburg, erwarb, stach das idyllisch gelegene Ländchen reihum allen Mächtigen der Alten Welt in die Augen.

Zwar bauten die Luxemburger ihr Lützelburg zur mächtigsten Festung zwischen Ostsee und Atlantik aus. Aber Niederländer, Spanier, Franzosen Österreicher und Deutsche berannten nach-, mit- und gegeneinander »dieses an- und übereinandergebaute Kriegsgebäude« (Goethe) stets mit soviel Erfolg, daß dem Land Unabhängigkeit bis vor hundert Jahren versagt blieb.

Nach dem Wiener Kongreß geriet Luxemburg zunächst fest in deutsche Hand. Die Festung bekam eine preußische Besatzung. 1867 aber erklärten es die europäischen Mächte im Vertrag von London endlich zu einem »ewig neutralen, unabhängigen Staat«. Die Festungsmauern wurden geschleift - eine Arbeit, die 16 Jahre dauerte.

47 Jahre lang herrschte Friede. Dann kamen wieder die Deutschen. Als Kaiser Wilhelms Infanteristen im August 1914 getreu dem Schlieffen-Plan ins neutrale Luxemburg eindrangen, fanden sie grasende Kühe und Verbotstafeln, die das Liegenlassen von Strohhalmen auf den Straßen auch während der Erntezeit untersagten. Widerstand aber fanden sie nicht: Das Herzogtum besaß keine Armee.

Die Luxemburger fügten sich ins Unvermeidliche; ihre Regentin aber, die Großherzogin Marie Adelheid, fügte sich nach dem Geschmack ihrer Untertanen zu sehr: 1919 mußte sie wegen Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern abdanken. Schwester Charlotte trat an ihre Stelle.

Als erste Monarchin der Geschichte machte die neue Großherzogin ihren Regierungsantritt von einem Plebiszit abhängig, denn Adelheids Deutschfreundlichkeit hatte den Gegnern der Monarchie starken Auftrieb gegeben. Des Volkes Stimme war dennoch für Charlotte: 75 Prozent der Wahlberechtigten stimmten für ihre Fürstin.

Charlotte führte das Land in eine Wirtschaftsunion mit Belgien, und als einziger Staat Europas überstand die konstitutionelle Monarchie die Weltkrisenjahre ohne Massenarbeitslosigkeit.

Dann, nach zwanzig ruhigen, wohlstandsfördernden Jahren, kamen wieder die Deutschen. 1940 marschierten Hitlers Truppen in Luxemburg ein. Als einziges Land Europas antwortete Luxemburg auf die deutsche Besetzung mit einem Generalstreik, der erst im Feuer deutscher Exekutionskommandos zusammenbrach.

Charlotte emigrierte nach Kanada. US-Präsident Roosevelt tröstete die heimatlose Herzogin: »Hab' keine Angst, Kind, wir werden dich wieder nach Hause zurückbringen.«

Charlottes Mann, Felix von Bourbon von Parma, ein Bruder der österreichischen Ex-Kaiserin Zita, kämpfte unterdessen als Brigadegeneral auf alliierter Seite. Thronfolger Jean diente bei den »Irish Guards«, schob erst vor dem Buckingham-Palast Wache und kam dann mit Montgomerys Invasionstruppen in seine Heimat zurück.

Die Heimkehr der Großherzogin selbst

- es war 1945, und sie fuhr in einem Jeep des US-Panzergenerals Patton - wurde zum Triumphzug.

Unverzüglich leitete die Monarchin den Wiederaufbau ihres Landes ein, förderte die Aussöhnung ihres Volkes mit der Vergangenheit und bereitete seine europäische Zukunft vor: 1948 hob das luxemburgische Parlament die Neutralität des Landes auf und gab den Weg des Herzogtums in die europäischen und atlantischen Bündnisse frei. Die neuaufgebaute Armee umfaßt 3000 Mann.

Am Lebensstil der Luxemburger und ihrer Großherzogin änderte die neue Entwicklung nichts. Die Fürstin lebte auf ihrem Gut Fischbach, 20 Kilometer vor der Hauptstadt, noch immer genauso, wie es ihre konservativen Untertanen (97 Prozent Katholiken) von ihr gewohnt waren: ohne Prunk und ohne Make-up. Und was sie immer schon gern tat, tut sie, als Sechzigerin, auch heute noch gern: fischen, wasserskilaufen, Rosen züchten und Briefmarken sammeln.

Anlaß zu Unmut über das Herrscherhaus gab den Luxemburgern gelegentlich nur Charlottes lebenslustiger und unkonventioneller Gemahl Felix, 71. Er hielt es mit Lehárs Operetten-»Graf von Luxemburg« ("Geld ist zum Ausgeben da!"): Zweimal hinterließ er in Monte Carlo so beträchtliche Spielschulden, daß die Staatskasse helfend einspringen mußte. Und einmal rief er beim Verlassen des Schlosses dem Wachkommandanten scherzend zu: »Komm, gehen wir den Premier ermorden!«

1961 leitete Großherzogin Charlotte, die alle drei luxemburgischen Landessprachen - Deutsch, Französisch und den moselfränkischen Dialekt Letzelburgisch - fließend beherrscht, ihren Rückzug von der Macht ein. Sie ernannte ihren Sohn Jean zum Statthalter. Drei Jahre später bewogen sie »die lange Dauer unserer Regierungszeit und besonnenes Nachdenken«, in den Ruhestand zu treten.

Auch dabei dachte die Erste Pensionärin ihres Landes an ihr Volk. Am Tag des Thronwechsels gab es schul- und arbeitsfrei, und alle Rentner bekamen ein Aufgeld.

Großherzog Jean von Luxemburg

Für alle Rentner ...

Großherzogin Charlotte von Luxemburg

... zum Abschied ein Geschenk

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