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RUNDFUNK Technischer Kopfsprung

Die Verkabelung bleibt immer wieder stecken - nun soll privaten Medien-Machern mit lokal nutzbaren Frequenzen geholfen werden. *
aus DER SPIEGEL 30/1986

In der Medienpolitik denkt Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling gerne tief, lang und hoch.

Sein Kabelnetz, mit dem er nicht recht vorankommt, vergleicht er mit dem Telephon, bei dem sich ja auch erst nach 60, 70 Jahren »der richtige Boom« eingestellt habe. Und von einem Satelliten in 36000 Kilometer Höhe aus gesehen, sei doch ein Bundesland ohnehin »nur noch ein winziger Punkt«.

Deshalb findet es der Minister »wirklich verrückt«, daß er immer wieder »den jeweiligen Wünschen der Länder nachkommen muß und zu »technischen Kopfsprüngen« gezwungen werde.

Eine der jüngsten Verrücktheiten ist eine Verfügung mit dem Aktenzeichen 221-5 B 4316-0/8, in der sämtlichen Oberpostdirektionen aufgegeben wurde, in allen Städten mit mehr als 100000 Einwohnern nach freien Kanälen für das private Fernsehen zu forschen - »mit Priorität« in Bayern, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Das Ergebnis der bundesweiten Fahndung präsentierte der Postminister am Dienstag letzter Woche: In 65 Städten können in absehbarer Zeit TV-Stationen errichtet werden, die sechs Millionen Haushalte mit mehr als 16 Millionen Zuschauern erreichen sollen.

In München, wo bald der erste private terrestrische TV-Sender funken soll, wurde die Nachricht besonders begeistert aufgenommen. »Dieser eine Sender erreicht genausoviel oder sogar mehr Zuschauer«, erläuterte Wolf-Dieter Ring, Geschäftsführer der »Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), »als die Programme des Nachrichtensatelliten ECS 1 über das Kabelnetz der ganzen Republik.

Besonders energisch forderte inzwischen die »tv weiß-blau Fernsehprogramm-Anbieter GmbH« die »zügige Zuweisung der terrestrischen Fernseh-Frequenz für München«. Die Fernseh-Firma, eine von rund zehn TV-Anbietern in München, wurde überregional bekannt, weil dort Franz Georg Strauß, ein Sohn des Ministerpräsidenten

Franz Josef Strauß, mit von der Partie ist (SPIEGEL 26/1986). Weniger ruhmvoll trat der Strauß-Kanal letzthin dadurch hervor, daß reihenweise Rechnungen unbezahlt blieben und Mitarbeiter mit ungedeckten Schecks abgespeist wurden.

Vorige Woche wurde der Strauß-Sender gesellschaftsrechtlich neu geordnet. Neben dem 60-Prozent-Gesellschafter Franz Georg Strauß sitzt nun mit 40 Prozent der Film- und Fernsehkaufmann Claus Hardt ("TV 60"). Gleichzeitig wurde das Kapital von bisher 100000 auf zwei Millionen Mark aufgestockt.

Mit Claus Hardt wurde offenbar der rechte Mann gefunden. Er ist Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes deutscher Fernsehproduzenten. Der Verband residiert in der Kanzlei des CSU- und Flick-Anwalts Reinhold Kreile, der in der Gründerzeit des bayrischen Privat-Fernsehens auch Aufsichtsratsvorsitzender der Münchner Pilot-Gesellschaft für Kabel-Kommunikation (MPK) war.

Unbürokratisch schnell hat die Bayerische Landeszentrale für neue Medien (Präsident: der ehemalige TV-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Rudolf Mühlfenzl) schon am Donnerstag letzter Woche eine neue Satzung vorgelegt. Am gleichem Tag hat der Medienrat den Sendebeginn des ersten lokalen Privat-Fernsehsenders der Bundesrepublik auf den 15. September 1986 und eine Sendezeit von zwei Stunden festgesetzt.

»Der Kampf geht jetzt um diese terrestrische Frequenz«, sagt Strauß-Kompagnon Hardt und hofft, »daß tv weiß-blau berücksichtigt wird« - möglichst ohne Nebenbuhler: Diese Salamisierung wie beim Hörfunk wäre doch ein Irrsinn.«

In München gab es nämlich auch die ersten privaten Hörfunk-Frequenzen - alles in allem bis jetzt vier Stück um die sich bis heute Dutzende von Interessenten zanken. Verdient hat dort trotz des üppigen Einzugsbereichs noch keiner - nicht einmal der kleinste und sparsamste unter ihnen: »Radio 2day«.

Der Mini-Sender direkt neben der Küche einer Etagenwohnung gehört dem Medizinstudenten Peter Bertelshofer, 30, und strahlt täglich zwischen 21 und ein Uhr Funk, Soul und Rockmusik aus, dazwischen Nachrichten aus der Stadt und, soweit vorhanden, Werbung für 99 Pfennig pro Sekunde.

Das Monatsbudget von 9500 Mark für Programm, Gema-Gebühren, Sendeentgelte, Telephon und sechs Leute zahlt Bertelshofer weitgehend aus der eigenen Tasche. Neben der Arbeit im Studio nimmt Bertelshofer als ordentlich eingeschriebener Medizinstudent »an allen Prüfungen teil, falle aber neuerdings hin und wieder durch«. Für Bertelshofer ist sein Küchensender »da oanzige, der wirklich betriebswirtschaftlich arbeitet« - »da wundern sich alle, wia des geht«.

Es geht nämlich gar nicht - bei Bertelshofer genausowenig wie beim größten unter den Münchner Hörfunkbetreibern,

»Radio Gong 2000«. Die Sendergruppe, zu der sich sieben Partner zusammengetan haben, wendet jährlich an die fünf Millionen Mark auf und hat nach Ansicht von BLM-Geschäftsführer Ring wie alle anderen »sicherlich noch nichts verdient«.

Für die vom Postminister ebenfalls freigemachten terrestrischen Hörfunk-Frequenzen. 92 an 78 Standorten allein in Bayern, meldeten sich »Hunderte von Anbietern« ( Ring). Sie haben solche trüben Erfahrungen noch vor sich, während eine Kette aus 16 Verlegern, die seit dem 1. Juli mit kessen Sprüchen ("Lieber NDR, du mußt jetzt ganz tapfer sein") im »Radio Schleswig-Holstein« ein neues Hörfunkprogramm anbietet, angesichts der Berge begeisterter Hörerpost noch guten Mutes ist.

Beim privaten Fernsehen gibt es voraussichtlich ganz ähnliche Probleme - nur eben sehr viel teurer. In der bayrischen Landeszentrale wurde die Faustregel entwickelt, daß Television »ganz übern Daumen gepeilt dreißigmal soviel kostet wie Hörfunk"(Ring).

Tatsächlich mußten die beiden einzigen in der Bundesrepublik operierenden rein privaten TV-Vollprogramme »Sat 1« (angeführt von Springer, Bauer, Burda) und »RTL plus« (Bertelsmann »WAZ, Radio Luxemburg) Hunderte von Millionen Mark für den Start investieren. Die beiden rivalisierenden Programme können derzeit nur über den Nachrichtensatelliten ECS 1 und Kabelnetze empfangen werden - mit potentiell 1,7 Millionen Zuschauern, etwa genausoviel wie allein der freigegebene Münchner Sender erreichen könnte.

Die neue Münchner Frequenz wird auf Kanal 59 mit nur einem Kilowatt Leistung gegen die öffentlich-rechtlichen Riesensender mit bis zu 200 Kilowatt anfunken müssen. Nach Ansicht von Technikern wie Frank Müller-Römer vom Bayerischen Rundfunk wird der Schwach-Sender ohne zusätzliche Antennen und Antennenverstärker überhaupt nicht zu empfangen sein: »Dafür sind Sie dann sofort 2000 Mark los.

Selbst bei konkurrenzfähiger Attraktivität könnte ein Münchner Privatsender, wenn sich nicht Hunderttausende von Zuschauern die Zusatzeinrichtungen kaufen, bestenfalls 50000 Empfänger erreichen. Für Claus Hardt vom »tv weiß-blau« wäre das zu wenig. Er braucht 100000 Teilnehmer, damit er einen Minutenpreis von 5000 Mark von den Werbekunden verlangen kann. Hardt: »Sonst rechnet sich das nicht.«

Er hofft, daß er demnächst trotz allem die Sendevielfalt bereichern kann. Die sah, an einem beliebigen Programmtag der vorigen Woche, bei den Privaten so aus - Sat 1: »Boomer der Streuner«. RTL plus: »Popeye der Meisterschüler«. - Sat 1: »Die Kosaken kommen«. RTL: »Ein Herz schlägt für Erika. Sat 1: »High Chaparall«. RTL: »Knight Rider«.

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