CDU Tee beim Kardinal
Die beiden mächtigsten Kirchenfürsten der Bundesrepublik, der evangelische Bischof Hanns Lilje und der katholische Joseph Kardinal Frings, sind einander in die Haare geraten.
Im Hamburger evangelischen »Sonntagsblatt« (Herausgeber: Bischof Lilje) wurde ein »Kreis um den Kardinal« (Frings) beschuldigt, den konfessionellen Frieden in der CDU und im Land Nordrhein-Westfalen zu gefährden.
An ein und demselben Tag, wenn auch auf höchst unterschiedliche Weise, mühten sich daraufhin zwei hohe staatliche Würdenträger christdemokratischer Couleur, den Chefredakteur des »Sonntagsblatts« (Auflage 120 000), Axel Seeberg, 56, davon zu überzeugen, daß die evangelische Bischofs-Zeitung mit solchen protestantischen Thesen weit vom rechten Wege abgewichen sei.
- Bundesinnenminister Gerhard Schröder, der nebenberuflich dem Evangelischen Arbeitskreis in der CDU/ CSU vorsteht, lud Chefredakteur
Seeberg vorletzte Woche zu einem vertraulichen Mittags-Gespräch nach Bonn ein und legte ihm im Innenministerium nahe, den angeblich antikatholischen Kurs des »Sonntagsblatts« zu ändern.
- Der nordrhein-westfälische Regierungschef Franz Meyers bat Chefredakteur Seeberg für den Abend desselben Tages zu einer Pressekonferenz nach Weidenau an der Sieg, wo der Landesvater dann in Anwesenheit Seebergs öffentlich darüber wetterte, daß Liljes und Seebergs Wochenzeitung »einen Kulturkampf im Lande« entfache.
Das so bedrängte »Sonntagsblatt« hatte in einer Artikelserie über das Land Nordrhein-Westfalen, in dem acht Millionen Katholiken und nahezu sieben Millionen Protestanten wohnen,
- katholische CDU-Funktionäre bezichtigt, »konfessionellen Unfrieden« zu säen und »die innere Stabilität des größten Bundeslandes« zu untergraben,
- Kardinal Frings und andere Kleriker beschuldigt, sie diktierten die Personalpolitik der Landesregierung, so daß immer mehr einflußreiche Stellen mit Katholiken besetzt würden.
Diese Attacken fußten auf Recherchen eines »Sonntagsblatt«-Redakteurs, der an Rhein und Ruhr entdeckt hatte, daß sich »hinter dem äußeren (konfessionellen) Gleichgewicht« bei der Besetzung öffentlicher Ämter »de facto ein solides katholisches Übergewicht verbirgt«.
Zwar ergebe sich »für die evangelische Seite«, wie der journalistische Konfessions-Arithmetiker einräumte, noch kein Nachteil, sofern man die Beamten, »beim Ministerpräsidenten angefangen, bis zum letzten Regierungsrat nach Konfessionen« auszähle. Die »mit Personalfragen befaßten Ressorts der Ministerien« dagegen seien »erkennbar eine katholische Domäne«. Auch in den Ressorts für Schule, Kirche und Erwachsenenbildung zeichneten Katholiken verantwortlich.
Als Beispiel für die konfessionelle Personalpolitik in Düsseldorf prangerte das protestantische Wochenblatt den Fall des evangelischen Ministerialrats von Medem an, der die Hochschulabteilung seit zwei Jahren kommissarisch leitet. Seine ordentliche Bestallung sei vom evangelischen Kultusminister Schütz vorgeschlagen, von der Mehrheit des Kabinetts, dem sechs Katholiken und vier Protestanten angehören, jedoch abgelehnt worden.
Tadelte das »Sonntagsblatt": »Ein Beamter blieb ,kommissarisch' tätig, weil er das falsche Gesangbuch hat.«
Resümee: »Der Verwaltungsapparat wird immer merklicher katholisiert, das überkonfessionale Gebäude der CDU, der Regierungspartei, ist nicht mehr einsturzsicher.«
Daß die nordrhein-westfälische CDU von einer »Volkspartei« zu einer »konfessionellen Kaderpartei« tendiere, führt die evangelische Wochenzeitung auf den »Druck einer parteiinternen
Koalition« zurück.
Dem protestantischen Rechercheur blieb nicht verborgen, »wo der harte Kurs dieser Gruppe festgelegt wird": in einem »Kreis um den Kardinal«. Der Kölner Oberhirte Frings habe »ein kleines, aber potentes Gremium führender katholischer Kleriker und Laien« als »das bestimmende Machtzentrum« um sich geschart.
Der Kardinals-Kreis stützt sich laut »Sonntagsblatt« bei seinen Entscheidungen auf detaillierte personalpolitische
Unterlagen. Der Prälat Paul Julius Fillbrandt leite in Köln ein Büro, das »sich regelmäßig mit namentlichen Personalvorschlägen einschaltet, wenn in der Düsseldorfer Ministerialbürokratie Vakanzen oder neugeschaffene Planstellen zu besetzen sind«.
Publizistisch würden die ultramontanen CDU-Funktionäre an Rhein und Ruhr von den Wochenblättern »Echo der Zeit« und Rheinischer Merkur« unterstützt. Der »Merkur« differenziere sogar zwischen evangelischen und katholischen Christdemokraten: Das Kölner Blatt, das bekannt sei für die Milde, mit der es Bonner Korruptionsprozessen begegnete, »erstaunt durch die Härte, mit der es Mißstände im nördlichsten Bundesland kommentiert«.
Das norddeutsche »Sonntagsblatt« nannte auch die Motive: Der schleswigholsteinische Ministerpräsident von Hassel »ist Wortführer jener protestantischen Minderheit, die dem katholischen Integralismus in der CDU wehrt - Grund genug, ihn mit den Augen einer Detektei zu beargwöhnen«.
Den Redakteuren des Lilje-Blattes schien die professionelle Enthüllungs-Story so brisant, daß sie ein besänftigendes Nachwort für nötig befanden: »Es geht nicht um Streit. Es geht um den klärenden Dialog.«
Das klärende Gespräch eröffnete die katholische Würzburger »Deutsche Tagespost« unter der Schlagzeile »Hamburger Heckenschützen«. Bald darauf brandmarkte das gleichgesinnte »Echo der Zeit« (Münster) einige »Sonntagsblatt« -Passagen als »journalistische Unverschämtheit«.
Während das »Echo« vornehmlich »die Schnüffeleien in einzelnen Ministerien« verurteilte, empfand die »Tagespost« als besonders despektierlich, daß »eine Zeitschrift Interesse an den gelegentlichen Teegästen des Kölner Erzbischofs Dr. Joseph Kardinal Frings bekundet«. Man könne sich »einfach nicht vorstellen, daß Bischof Lilie als Herausgeber des Blattes diese beiden Beiträge gebilligt hat«.
Dazu »Sonntagsblatt«-Chefredakteur Seeberg: »Natürlich sind die Artikel mit Kenntnis und Billigung des Bischofs erschienen.«
Wie weitgehend die vom bischöflichen Herausgeber autorisierten Artikel der tatsächlichen konfessionspolitischen Lage im größten Bundesland entsprechen, hat inzwischen in einem wesentlichen. Punkt Landesvater Meyers ungewollt auf der Pressekonferenz an der Sieg bestätigt.
In seiner Entrüstung über den kirchenkämpferischen Aufsatz im christlichen »Sonntagsblatt« gestand Meyers ein, daß der klerikale Personalpolitiker Fillbrandt als »Vertreter der katholischen Kirche bei der Landesregierung« tätig sei. Meyers: »Ich habe die evangelische Kirche schon immer gebeten, mir einen gleichen Herrn zu stellen.«
Dazu bemerkte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Joachim Beckmann: »Man hat seinerzeit das Büro Fillbrandt gegründet, ohne uns zu benachrichtigen oder uns zu einer gleichen Gründung aufzufordern.«
Kabinettschef Meyers umriß auch die Kompetenz des in Düsseldorf akkreditierten Klerikers, zu dem jedes evangelische Pendant fehlt: »Mit dem Prälaten Fillbrandt werden sämtliche gesetzlichen, verwaltungsmäßigen und personalmäßigen Fragen erörtert, wenn er es wünscht.«
»Sonntagsblatt«-Chefredakteur Seeberg
In Düsseldorf geschnüffelt
Katholik Frings
Angriffe auf den Kardinal ...
Protestant Lilje
... vom Bischof gebilligt