Teng: »Den Eisbären an die Kette legen«
Vom Richard-M.-Nixon-Flugplatz fährt der China-Besucher über die Henry-Kissinger-Schnellstraße nach Peking. Dort ist es schwer, ein Zimmer zu finden, denn in den Hotels drängen sich die Grundstücksspekulanten, das Fernsehen unterbricht sein Programm mit Werbespots. »Szetschuan-Enten, größter Hit.«
Bulldozer müssen die Chinesische Mauer niederreißen, damit Raum für Parkplätze entsteht. Ming-Vasen aus Plastik sind wohlfeil zu haben. Und Peking bietet eine erstklassige Aufführung von »Hello Dolly«.
So verspottete dieser Tage US-Kolumnist Russell Baker die Träume seiner Landsleute, denen im Fernen Osten plötzlich ein Licht aufgegangen ist: China, der einst verteufelte kommunistische Ameisenstaat, erscheint ihnen als freundliches Land der unbegrenzten Möglichkeiten, als Neuauflage dessen, was einst Amerika war.
Die »Washington Post« zierte ein Leitartikel mit einem Gruß in chinesisch. Washingtoner Society-Damen schweben im China-Look zu Empfängen. Filmstar Shirley MacLaine ("Irma la Douce") erzählte den Gästen der großen amerikanisch-chinesischen Freundschaftsgala in Washingtons Kennedy Center und Millionen Fernsehzuschauern, wie ihr Leben durch einen Besuch in China verändert worden sei: Nach 20 Jahren habe sie wieder Ballettunterricht genommen und sei auf die Bühne zurückgekehrt. Die MacLaine: »Dafür möchte ich Ihnen danken und fragen, ob Akupunktur gegen Arthritis hilft.«
Dank und Frage waren an jenen Mann gerichtet, der Amerikas jüngste China-Euphorie auslöste: Vizepremier und Vizeparteichef Teng Hsiao-ping, 74. Der 1,54 Meter große Politiker war tagelang Superstar der US-Medien. Und das Land schmeichelte dem Gast mit einer grandiosen Show.
Zwar hatte einst auch Chruschtschow einen Cowboyhut aufgesetzt bekommen und Adenauer seinen Indianer-Kopfschmuck. Doch dieser Kleine aus China war gefährlicher als Chruschtschow und schwieriger als Adenauer -- das merkten die Amerikaner bei aller Begeisterung schon am Tag nach seiner Ankunft.
Da nämlich erschien die »Time«-Nummer 6/1979 mit einem Teng-Interview, das den USA jählings klarmachte, was es heißen kann, die vielzitierte »chinesische Karte« spielen oder mit den drei Kugeln Sowjet-Union, China, Amerika zugleich jonglieren zu wollen. Auf sehr direkte, sehr unchinesische Weise versuchte Teng, den Amerikanern die Sowjet-Kugel aus der Hand zu schlagen.
In »Time« stand nämlich neben mäandergeschmückten Teng-Porträts im Klartext zu lesen, was der Chinese in den USA eigentlich wollte: nicht so sehr Kraftwerke, Coca oder Kulturaustausch, sondern vor allem: »Wenn wir den Eisbären wirklich an die Kette legen wollen, müssen wir uns realistischerweise zusammenschließen.«
Und wer sollte sich da wohl zusammenschließen? Nicht nur die Staaten der Gäste und Gastgeber, sondern auch noch Europa und Japan -- das wäre wirtschaftlich wie militärisch die mächtigste Allianz der Weltgeschichte, die Bestätigung sogar der hysterischsten Moskauer Einkreisungsängste und das mutmaßliche Ende der ost-westlichen Entspannungspolitik.
Im Spiel mit der verlockenden »chinesischen Karte« war Carter schon vor Tengs USA-Auftritt wenig geschickt gewesen. Um das außenpolitische Debakel der USA im Iran zu überspielen, hatte er die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu China und den Teng-Besuch mit übertriebener Hast angekündigt. Prompt blockierten die Sowjets den Abschluß des Salt-Il-Abkommens und verschoben den für Mitte Januar geplanten Besuch Breschnews in Washington.
Ärgerlich wurde Carter zudem aus Moskau korrigiert, als er bekanntgab, Breschnew habe in einer persönlichen Botschaft an ihn die neue chinesischamerikanische Freundschaft abgesegnet -- der Präsident hatte die Bedenken des Russen im zweiten Teil des Briefes ausgelassen.
Und als die Amerikaner im Januar im Sicherheitsrat der Uno bei der Verurteilung der vietnamesischen Intervention in Kambodscha zum ersten Mal gemeinsam mit Peking stimmten, mußten sie dafür in Kauf nehmen, daß Moskau dies als ersten Beweis für aktive Komplicenschaft zwischen Peking und Washington wertete.
Die Amerikaner hatten sich deshalb vorgenommen, den Staatsbesuch Tengs so auszurichten, daß sie -- so ein Beamter des State Department -- »das gleiche auch für Breschnew tun könnten«. Das weitere Reiseprogramm wurde auf drei Städte -- Atlanta, Houston, Seattle begrenzt, und entgegen einer ursprünglichen Absicht verzichtete Carter darauf, mitzureisen.
Doch in ihrer Absicht, bei der Ausübung der chinesisch-amerikanischen Freundschaft Maß zu zeigen, wurden die Amerikaner dann doch von der Offensive des Charmes überrascht, den der Chinese entfaltete.
Zum Entzücken seiner Gastgeber schüttelte er auf seiner Reise unzählige Hände, riß er die Arme hoch wie ein siegreicher Boxer, küßte er amerikanische Kinder, die ihm auf chinesisch vorsagten »Ich liebe den Tienanmen-Platz«.
Die Amerikaner hatten dies von einem Asiaten nicht erwartet, schon gar nicht von einem Kommunisten. Entspannt unterhielt dieser hier die Journalisten sogar mit Storys aus seinem Privatleben: über seine Enkelkinder, seine Vorliebe für Bridge, seinen Wunsch, »nochmal zwölf Jahre alt sein« zu können.
Und Tengs Frau Tscho Lin, 64, verhielt sich auf der Reise wie eine amerikanische Politikergattin während der Wahlkampagne: Sie strahlte ihren Mann bewundernd an. Rosalynn Carter schwärmte über die rundliche Dame: »Zeigt sie nicht das wundervollste Lächeln, das man je gesehen hat?«
Politisch gelang es dem Gast, die Bedenken vieler Kongreßmitglieder über die Behandlung Taiwans im chinesischamerikanischen Handel zu beschwichtigen, obwohl er auf die Anwendung von Gewalt hei der Wiedervereinigung der Insel mit dem Festland nicht ausdrücklich verzichtete.
Für die Abgeordneten und Senatoren war Teng, so die »New York Times«, ein »natürlicher Hit« -- und etliche scheuten sich nicht, den chinesischen Gast um cm Autogramm zu ersuchen. CBS-Korrespondent Marvin Kalb tadelte: »Die Regierung benimmt sich wie eine PR-Agentur für Teng.«
Nach dem Paukenschlag des »Time«-Interviews hielt sich der Gast mit antisowjetischen Attacken einen ganzen Tag lang zurück. Aber am Abend des nächsten Besuchstages geißelte er »die Kriegstreiber, die täglich ein Scheinbild von Frieden und Détente verbreiten«, während sie zugleich die »Gefahr eines neuen Weltkriegs« heraufbeschwören.
In einem Gespräch mit Journalisten am Mittwoch rief er dann Amerikaner, Chinesen, Europäer und Japaner nochmals zu gemeinsamem Handeln gegen die sowjetische Expansion auf und heizte die von Amerikanern gefürchtete Konfrontation in Südostasien an: Die Chinesen seien bereit, Vietnam eine »notwendige Lektion« zu erteilen.
Nun konnte Präsident Carter wohl nicht anders, als sich der Umarmung energischer zu erwehren. Öffentlich betonte er, daß die »Sicherheitsbelange
* Mit Präsidententochter Amy und einem der Pandabären, die Nixon von den Chinesen erhalten hatte, im Washingtoner Zoo.
der Vereinigten Staaten ... nicht völlig mit denen Chinas zusammenfallen«.
Um den neuen US-Star Teng in seinem aufdringlichen Liebeswerben aber nicht allzu hart vor den Kopf zu stoßen, fanden sich die Amerikaner dann doch zu einem Kommuniqué bereit, das sie aus Sorge vor antisowjetischen Ausfällen ursprünglich hatten vermeiden wollen -- und prompt gelang es dem Chinesen, darin die in Moskau als Reizwort empfundene Vokabel »Hegemonie« unterzubringen.
Was Teng in Washington über die Sowjet-Union sagte, war für Moskau im übrigen nicht neu, sehr wohl aber, daß er es auf amerikanischem Boden sagen konnte. Der Abschluß von Salt II dürfte daran kaum scheitern, wenngleich es »mit Sicherheit« -- so ein europäischer Salt-Experte in Washington -- »zu einer Verhärtung« kommen dürfte.
Störend für die Regierung Carter war vor allem, daß Teng die US-Falken bestärkt hat, die unter Berufung auf die angeblich expansiven Absichten und die angebliche militärische Überlegenheit Moskaus seit Monaten gegen Salt II trommeln.
Genüßlich nämlich verwies Teng die Amerikaner auf eine Warnung vor Moskau, die 171 pensionierte amerikanische Generäle und Admirale kurz vor Tengs Ankunft ganzseitig in der »New York Times« veröffentlicht hatten. Und gewiß hat nun auch Carters Sicherheitsberater Brzezinski, der seit langem gegen Moskau härter vorgehen möchte, mit Teng einen in den USA populären Kronzeugen bekommen.
Da kam ausgerechnet Moskau dem Entspannungspartner Carter zu Hilfe, und ausgerechnet mit einem Argument, das sonst vor allem gegen die USA eingesetzt wird. Angewidert schrieb die »Prawda«, was der Chinese da in Amerika versucht habe, sei eine »Einmischung in die Innenpolitik eines fremden Staates« -- Amerikas.