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HOCHSCHULEN / VON BRENTANO Terrible Nichte

aus DER SPIEGEL 52/1970

Bei der Wahl zur Vizepräsidentin der Freien Universität (FU) Berlin fragte im Konzil ein Hochschullehrer der »Notgemeinschaft für eine freie Universität": »Wie kommt es, daß die Kandidatin unter dem Namen von Brentano kandidiert, wo doch jedermann weiß, daß sie vor zwei Jahren Herrn Taubes geheiratet hat?«

Die Kandidatin war auf die professorale Prüfungsfrage vorbereitet: Margherita Taubes-von Brentano di Tremezzo, 48, legte eine Genehmigung des Polizeipräsidenten von Berlin vor, derzufolge sie sich Margherita von Brentano nennen darf.

Spätestens seit diesem Vorfall weiß die Akademische Rätin mit dem uradeligen Namen, Ehefrau des Religionssoziologen Professor Jacob Taubes, was es heißt, als FU-Vizepräsidentin (neben dem linksliberalen FU-Präsidenten Rolf Kreibich) für hochschulpolitische wie gesellschaftspolitische Veränderungen einzustehen.

»Ulbricht-Nutte Brentano über die Mauer« -- so lautete eine Pinsel-Parole, die Unbekannte in hellgrüner Farbe am 16. November an der Außenmauer des Auditorium maximum der FU anbrachten.

»Das kenne ich alles aus der Theorie«, befindet dazu die zierliche Linksintellektuelle, die seit anderthalb Jahrzehnten eine Assistenzstelle an der FU innehat und derzeit eine Übung veranstaltet: über »Begriff und Theorie der bürgerlichen Gesellschaft«. Die Nachfahrin von Clemens und Bettina Brentano, die einen Alfa Romeo fährt und ein Fertighaus in Berlin-Schmargendorf besitzt, nennt sich selber »Sozialistin«.

Von 1960 bis 1969 gehörte sie zum Herausgeberkreis der West-Berliner kritisch-marxistischen Zeitschrift »Das Argument«, die im Urteil der katholischen »Werkhefte« eine »Art theoretischer Keimzelle der Studenten-Opposition« war. Während sie -- für die Öffentlichkeit -- bloß manchmal als terrible Nichte des Adenauer-Außenministers Heinrich von Brentano fungierte, verlagerte sich das Interesse der Aristoteles-Kennerin von reiner Philosophie mehr und mehr »zur Grenze zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften« -- und zur Politik: 1961 erregte sie einen ersten Sturm, als sie im »Argument« zur Oder-Neiße-Grenze schrieb: »Wir erkennen diese Grenze an, und wir halten dafür, daß die Bundesrepublik diese Grenze anerkennen sollte.«

Schon immer der Zeit ein wenig voraus, erkannte die weibliche Universitätsangehörige »zur Situation der Frauen« schon 1963, was heute als neueste Erkenntnis zur Emanzipation gehandelt wird. »Die Unterprivilegierung der Frauen geht (heute) über das Bewußtsein und das Selbstverständnis der Frauen selbst.« Und ihre Analysen zum Problem des Antisemitismus brachten der Katholikin vom NS-Experten Joseph Wulf das Kompliment ein: »Die bedeutendsten ... nach denen von Jean Paul Sartre.«

Zu den Elogen aber kam die Kritik, als Margherita von Brentano in der Reform-Ära nach der von ihr mit vorbereiteten studentischen Protestbewegung ins politische Fadenkreuz geriet. Als FU-Vizepräsidentin für Fragen der Prüfungen, Studienreform und Erwachsenenbildung zuständig, sah sich die -- mit 45 zum erstenmal -- Vermählte Pressionen ausgesetzt, wie sic bis dahin nur konservative Professoren durch radikale Linke verspürt hatten.

Nachdem die FU-Vizepräsidentin Mitte Oktober auf einer Veranstaltung vor Wilmersdorfer Jungsozialisten (Jusos) gesprochen hatte, kursierten alsbald anonyme Protokolle bei Parteien und Gazetten. Danach sollte sie unter anderem gesagt haben: > Natürlich ist unser Ziel die Revolution. Aber das Ist noch ein langer Weg.«

* »Wir brauchen die Roten Zeilen als kontinuierlichen Druck von unten. Es ist schade, daß sie ... nicht immer da sind, wenn man sie braucht, zum Beispiel bei Stellenanforderungen, wo man eine Gruppe von Studenten vorweisen müßte, die kontinuierlich an einem Thema arbeitet.«

* »Ich habe keine moralischen Bedenken gegen Gewalt. Man muß nur von Fall zu Fall prüfen, ob es politisch opportun ist, besonders wenn es an die Öffentlichkeit kommt.«

Dazu Margherita von Brentano: »Ich habe einen ganz guten demokratischen Record. Die wissen genau, daß es sehr schwierig wäre, mich auf Grund dessen, was ich wirklich sage, zu belangen: Man muß also fälschen.« Sie dementierte sofort ("Ich bin nicht geisteskrank") und erläuterte Mitte November in einem Brief an den West-Berliner Senator für Wissenschaft und Kunst, Professor Werner Stein, wie »aus Fragen, die auf der Jungsozialisten-Tagung gestellt wurden, aus Antworten von mir und aus Beiträgen anderer Teilnehmer ... gerade solche Wendungen und Implikationen aus den Fragen, die ich in meinen Antworten ausdrücklich kritisiert und abgewiesen habe ... zu einer positiven Behauptung« zusammengefügt worden seien.

* Bei der »Vokabel Revolution« etwa habe sie »darauf hingewiesen, daß Revolution nach den historischen Vorbildern des Wortes obsolet sei, daß aber in unserer Gesellschaft grundlegende Strukturveränderungen notwendig seien, wenn sie ihre eigenen Ansprüche ... erfüllen wolle; daß solche Veränderungen langfristig und prozessual möglich seien über Bewußtseinsveränderung und Arbeit in den Sozialisationsbereichen«.

* »Ebenso habe ich deutlich erklärt, daß der Vorwurf, der aus der Versammlung kam, wir (das Präsidialamt) unterdrückten die Forderungen der Roten Zellen und anderer sozialistischer Gruppen, abzuweisen sei. In spektakulären Auftritten vorgebrachte und schlecht verbalisierte Forderungen seien wirkungslos ... nur kontinuierliche Arbeit an konkreten, wissenschaftlich begründeten Projekten sei ein »Druck von unten«, der ihnen auch institutionellen Raum verschaffen könne.«

* Und zum dritten Vorwurf: »Ich habe deutlich erklärt, daß ich, weil ich die in der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung entwickelten Methoden wie »go-ins« etc. nicht für Gewalt halte, keine moralischen Bedenken gegen sie habe, daß (aber) gegen physische Angriffe und individuellen Terror selbstverständlich straf rechtlich vorgegangen werden sollte ...«

Der Brief kreuzte sich mit einem Schreiben des Senators für Wissenschaft, in dem er der FU-Präsidentin mitteilte, er habe »Vorermittlungen gemäß Paragraph 27 der Landesdisziplinarordnung« angestrengt*. Ob diese Prozedur, eingeleitet auf Grund eines zumindest undifferenzierten Gedächtnisprotokolls, angemessen war, erscheint zweifelhaft.

Und obwohl aus der Freien Universität früher zu hören war, daß die Präsidentin in der Theorie effektiver arbeite als in der Praxis, gab es angesichts der Protokoll-Affäre von links bis weit zur Mitte hin nur noch Solidarität.

Über 30 deutsche Professoren, unter ihnen Ernst Bloch, verurteilten die »Denunziation der Vizepräsidentin«, und die »Aktionsgruppe Hochschullehrer«, der über hundert linke und liberale Wissenschaftler in Berlin angehören, zog in ihrer »Chronologie eines Skandals« Bundeskanzler Brandt zum Bundesgenossen heran, der gesagt hatte: »Mit Entschiedenheit gilt es, gegen jene Kräfte Front zu machen, die im Jahre 1970 immer noch -- oder wieder -- von den notwendigen Reformen der Gesellschaft dadurch ablenken möchten, daß sie antisozialistische Emotionen wecken oder anderen ihren neurotischen Marxistenschreck aufreden ...«

Die Frage, ob man Sozialistin und gleichzeitig Landesbeamtin sein kann, überläßt die FU-Vizepräsidentin einstweilen den Vorermittlungen »der anderen Seite«. Margherita von Brentano: »Die sollen sich mal den Kopf darüber zerbrechen.«

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