UMWELT Teure Brut
Einem Gourmet würde es Tränen in die Augen treiben. Was der Feinschmecker schon bei übersichtlichen Portionen im Restaurant teuer bezahlen muß, versenken Gerhard Feldhaus und Detlev Ingendahl kiloweise auf dem Grund der Sieg.
Doch mit Gaumenkitzel darf den Männern niemand kommen, wenn sie mit bloßen Händen bei Temperaturen nahe Null Löcher ins Kiesbett des bergischen Flüßchens buddeln. Mit einer überdimensionalen Spritze legen sie dann Tausende von Lachseiern, das Stück mit rund 20 Pfennig bezahlt, in die künstlichen Laichmulden.
Der zaghafte Hinweis, die teure Brut könne als Lachskaviar so manches Menü veredeln, trifft auf streng wissenschaftliches Unverständnis: »Hier geht es um Artenschutz und nicht um Sekundärnutzung.«
Feldhaus, Mitarbeiter der nordrheinwestfälischen Landesfischereianstalt, und Ingendahl, Diplombiologe an der Uni Köln, arbeiten mit klammen Fingern und kalten Füßen an einem hochgesteckten Ziel. Bis zum Jahr 2000, so beschlossen die zuständigen Minister der Rhein-Anliegerstaaten Ende der achtziger Jahre auf einer Konferenz in Rotterdam, solle der Lachs im Rhein und seinen Nebenflüssen wieder heimisch werden.
Doch die Aufzucht des Grätentiers im Rhein ist, so erweist sich fünf Jahre nach dem mit viel Publicity-Rummel angelaufenen Programm »Lachs 2000«, schwieriger als gedacht. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, daß die Wiedereinbürgerung des Königsfisches noch Jahrzehnte dauern wird.
Immerhin hatte es auch 150 Jahre gedauert, um den Lachs aus dem Rheinsystem zu vergraulen. Noch zu Beginn des vorigen Jahrhunderts holten nach alten Aufzeichnungen Fischer und Bären bis zu 20 Kilo schwere Lachse aus den Flüssen; im Rheinland ließen sich Hausangestellte vertraglich garantieren, nicht jeden Tag Lachs essen zu müssen.
Industrialisierung und Regulierung der Flüsse sorgten dafür, daß bereits in den fünfziger Jahren die letzten Exemplare im deutschen Schicksalsstrom gesichtet wurden. Von da an »galt der Rhein auch unter seriösen Wissenschaftlern als Pißrinne Europas«, erinnert sich Gottfried Schmidt, der für das Lachsprogramm zuständige Dezernent bei der NRW-Fischereianstalt. Die Internationale Kommission zum Schutze des Rheins (IKSR) sollte die Sanierungsmaßnahmen koordinieren.
Ausgerechnet die größte Umweltkatastrophe am Rhein zeigte erste Erfolge bei der Wiederbelebung des toten Gewässers. Während eines Großbrandes beim Baseler Chemie-Giganten Sandoz wurden 1986 mit dem Löschwasser tonnenweise hochgiftige Substanzen in den Rhein gespült. Hunderte Tonnen toter Fische trieben aus der Schweiz durch Deutschland bis nach Holland. Die Rheinschützer von der IKSR schwärmten: »Er lebte ja, der alte Strom. Wie hätten sonst Fische sterben können?«
1992 hielten die Anliegerstaaten den Rhein reif für das Programm »Lachs 2000«. Die EU stellte rund sechs Millionen Mark zur Verfügung, welche die Länder um den gleichen Betrag aufstockten. Sandoz zahlte 500 000 Mark in einen Fonds ein. Ungezählte Millionen flossen aus allen möglichen nationalen Ökotöpfen der beteiligten Staaten, aus Fischereiabgaben und durch freiwillige Spenden von Fischerei- und Angelvereinen in das ehrgeizige Programm.
Die Gesamtsumme mag Anne Schulte-Wülwer-Leidig, stellvertretende Geschäftsführerin des IKSR in Koblenz, nicht einmal schätzen. Andere Experten gehen von bislang rund 30 Millionen Mark aus.
Weil der Lachs ein Wanderfisch ist, mußte mit einem Großteil des Geldes zunächst einmal der Weg ins Meer und zurück freigemacht werden. Künstliche Fischtreppen sollen wie Bypässe im Flußsystem verhindern, daß die Lachse an Wehren und Schleusen aufgehalten oder gar von Wasserturbinen zerstückelt werden.
Dann wurden Hundertausende in Irland und Norwegen gekaufte Jungfische im seit Jahrzehnten lachsfreien Rhein und seinen Zuflüssen ausgesetzt. In Nordrhein-Westfalen werden zudem Lachseier ausgebrütet und inzwischen auch befruchtete Eier in künstlichen Laichmulden abgelegt.
Erste Erfolge stellten sich ein. »Im Winter 1993/94 haben wir sogar einige natürliche Laichgruben gefunden«, sagt Schmidt. Doch die hätten sich schnell als Zufallstreffer erwiesen. Solle die Wiedereinbürgerung wirklich gelingen, müßten noch auf Jahre Hunderttausende von Eiern und Brütlingen allein in der Sieg ausgesetzt werden.
Nach einer bislang nicht veröffentlichten Untersuchung von Mitarbeitern des Zoologischen Instituts der Universität Köln erscheint die Aussetzung von Eiern, Dottersacklarven und Jungfischen sogar als Fehlschlag. Selbst »optimale Laichhabitate« hätten sich kurze Zeit nach dem Buddeln von Laichmulden wieder mit Schlamm und anderen Trübstoffen zugesetzt. Die extreme Sauerstoffarmut, heißt es in einem internen Papier, sei »für Laich bzw. Dottersacklarven tödlich« gewesen.
Gegen die Verschlammung der Gewässer, so Biologe Ingendahl, müßten etwa die Flüsse durch die Schaffung von Auen weiter dereguliert werden. Auch müßte der Zerstörung der Ufer durch trinkende Kühe sowie der Sandeinlagerungen von im Winter brachliegenden Äckern Einhalt geboten werden.
Mit viel Glück, glaubt Dezernent Schmidt von der Landesfischereianstalt, gebe es dann in 20 Jahren vielleicht wieder eine selbsterhaltende Population - wenn auch nur als Symbol für ein halbwegs intaktes Ökosystem im Rhein und seinen Nebenflüssen. Doch »wie 1885, als im Rhein 250 000 Lachse gefangen wurden, wird es in jedem Fall nie wieder werden.«
Da die sensiblen Wanderfische sich offensichtlich dem Primat der Politik so schnell nicht beugen, wurden die Vorbereitungen zur Feier der Wiederkehr des Lachses in zwei Jahren beim nordrheinwestfälischen Umweltministerium ad acta gelegt. Geplant ist eine Fortführung des Programms - der Arbeitstitel: Leitbild 2010.