IRAK Teurer Saddam
Der Journalist Aziz, 39, Kurde aus Halabdscha im Irak, lebt seit dem Jahr 1981 in Deutschland. Er besucht auch heute noch regelmäßig seine Heimat.
Das Volk ist voller Zwist und Heuchelei. Ich sehe Köpfe, die reif sind. Ich sehe die Zeit des Pflückens gekommen. Und der Pflückende werde ich sein.« So sprach, arabischen Quellen aus dem 9. Jahrhundert zufolge, der grausame Hadschadsch Ibn Jussuf. Er ließ als Gouverneur des Iraks mehr als 120 000 Menschen ermorden.
Die überlieferten Worte von Hadschadsch sind in der arabischen Welt sprichwörtlich geworden. Das irakische Volk kam seit jener Zeit nicht zur Ruhe. Seine Geschichte wurde mit Blut und Tränen geschrieben. Zeitweilig wechselten die Machthaber so schnell, daß die Untertanen nicht mehr mitzählen konnten, und eine Regierung war schlimmer als die andere. Erst nach Saddam Husseins Machtübernahme 1979 kam dieser Reigen zum Stillstand - und dennoch wurde alles nur noch schrecklicher.
Wie hoch darf der Preis für »Stabilität« sein? Das irakische Volk war es gewohnt, geknechtet zu werden. Ich stamme aus einer unpolitischen kurdischen Familie im Norden. Aus meiner Kindheit sehe ich unvergessene Szenen vor mir: Soldaten trampeln mit ihren Stiefeln auf meiner Mutter herum; der Körper meines hingerichteten Neffen wird vor unsere Haustür geworfen; irakische Geheimdienstler übergeben uns den Leichnam meines im Gefängnis verstorbenen Vaters.
Und meine Familie war wie jede Familie - Opfer der ganz gewöhnlichen Unterdrückung, der die Kurden an der Grenze zum Iran seit eh und je ausgesetzt waren, ganz egal, wie sie sich verhielten.
Unsere Schulbücher waren voll Lobpreisungen des jeweiligen Machthabers, dessen Bilder hingen überall. In jedem Jahr verlor ich einige meiner Schulkameraden. Sie waren plötzlich nicht mehr da, verschwunden mitsamt ihren Familien. Man fragte nicht nach dem Grund.
Zu den unausweichlichen Schicksalsschlägen gehörte auch, daß unsere kleine Stadt Halabdscha jedes Jahr mit Napalm bombardiert wurde. Oder daß plötzlich ein ganzes Dorf ausstarb, weil die Bewohner vom kostenlos verteilten, aber vergifteten Getreide der Regierung gegessen hatten. Das alles passierte und wurde als Gottes Wille akzeptiert. Die Opfer mußten nach dem Empfinden der Menschen mit schuld daran sein, denn wie die Mullahs ihnen nach jedem Gebet einschärften, stand zweifelsfrei fest, daß der Herrschende ein Vertreter Gottes sei.
Und so wünschten wir ihm, wenn sein Name fiel, ein langes Leben und den Schutz Allahs. Diese Fürbitte kam wie aus der Pistole geschossen aus unserem Mund, wir lernten sehr schnell die neuen Namen der Mächtigen und vergaßen noch schneller die alten. Bis Saddam kam.
Das Leben im Irak ist eng und voller Gefahren. Plötzlich kann sich alles verändern, Vorsicht ist lebensnotwendig. Der Irak selbst ist die Welt. Andere Staaten existieren auf der Landkarte, nicht aber im Bewußtsein der Menschen. Reisen ins Ausland haben den Hauch des Staatsverrats, ein Paß ist schwer zu bekommen. Die Erde ist nichts weiter als ein Teppich, auf dem nur der Irak zu sehen ist. Ein Tritt über den Teppichrand ist ein Tritt ins Nichts.
Wer aus diesem Weltbild ausbrechen wollte, riskierte kurzen Prozeß. Zweifel an dem von Allah gewollten Machthaber führten in das Nichts des Todes.
Während meines Studiums der arabischen Sprache und Literatur in Bagdad wurde ich regelmäßig Zeuge von Exekutionen. Noch bevor uns die Vorlesungspläne in die Hand gedrückt wurden, stellte sich der Verantwortliche des für die Universität zuständigen Geheimdienstes vor. Er begrüßte uns als Söhne der Revolution, als Kämpfer unseres Führers. Und wie gute Schüler antworteten wir im Chor: »Mit ganzer Seele und unserem Blut opfern wir uns für dich, o Saddam.«
Als Söhne der Revolution wurden wir mehr gefordert als in unserer Eigenschaft als Lernende. Der Studienabschluß hing weniger von der Beurteilung durch unsere Professoren als von unserem »revolutionären Verhalten« ab. Unsere Stunde kam, wenn der Verantwortliche des Geheimdienstes in den Hörsaal stürmte und die Studenten mit einem kurzen »Los, los!« zum Sammeln aufforderte. Es mußte sehr schnell gehen. Wir stellten uns auf, und er teilte uns den Zielort mit, zum Beispiel den Platz der Befreiung. Dabei gab er uns einen Stapel Lobgedichte auf Saddam oder Haßparolen auf den Feind.
Eingepfercht in Busse, die vor dem Eingang bereitstanden, hörten wir seine Stimme: »Vergeßt nicht, auf die Verräter zu spucken!« Bei der Ankunft wartete schon eine grölende Menschenmenge. Wir waren froh, daß die erste Reihe bereits besetzt war. Trotzdem kamen wir nicht umhin, die sogenannten acht Spione am Galgen hängen zu sehen, mit langen Hälsen und geschwollener blauer Zunge. Der Anblick ihrer leeren Augen und ihrer blutverschmierten Körper brannte sich jedem von uns in die Erinnerung. In all dem Lärm festigte sich die lähmende Gewißheit, in einem Terrorstaat zu leben, in einer kleinen Hölle mit einem großen Despoten.
Macht und Willkür gehörten zusammen. In der Tradition der Militärdiktatoren pflegte sich der erste Mann der Öffentlichkeit in Uniform zu präsentieren, die Pistole am Gürtel, obwohl er nie eine Offiziersschule besucht hat. Es war üblich, daß auch nachgeordnete Chefs ihren obersten Herrn imitierten, indem sie in Militärkleidung vor ihre Untergebenen traten. Als Ableger der zentralen Macht bemühten sie sich, dem vorgegebenen Terror in nichts nachzustehen, um nicht den geringsten Zweifel an ihrer Loyalität aufkommen zu lassen.
Neben dem Studium arbeitete ich für arabische und kurdische Zeitungen wie auch für Radio Bagdad. Meine beiden Vorgesetzten waren zwei dieser gnadenlosen Staatsrepräsentanten. Mehrmals wurde ich mit Kollegen, die teilweise schon 30 Jahre in der Redaktion arbeiteten, mit vorgehaltener Pistole in einen Raum getrieben, als Hurensohn beschimpft und mit Füßen getreten. Uns allen war klar, daß wieder eine Beschwerde des Bildungsministeriums wegen zweideutiger Wörter in einem Kommentar vorlag. Das Problem war nur, daß auch scheinbar unverfängliche Wörter zweideutig sein konnten, »Schnee« zum Beispiel oder »Welle": Das eine wurde als Chiffre für Gerechtigkeit, das andere für Veränderung verstanden.
Unsere Pflicht sei es, sagte der Chef, auf diese Dinge in Zeiten der Revolution zu achten. Und dann konnte es passieren, daß ein erfahrener Kollege vor die Tür gesetzt wurde. Irgendwann, so wußten wir, würde man seine Leiche nach Hause bringen.
Jeder im Land war ein Gefangener, der Chef wie auch die Minister. Wie viele Minister, deren Namen noch an einem Tag gefeiert wurden, waren am nächsten verschwunden, beseitigt von einer der vielen Geheimdiensteinrichtungen, die Gefängnis, Folterkammer und Hinrichtungsstätte zugleich sind. Nach dem Beispiel der DDR und Rumäniens hat Saddam vier Untergruppen des Geheimdienstes gegründet, die einander kontrollieren. Und sie unterstehen jeweils einem seiner Familienangehörigen. Daneben existieren noch mindestens vier weitere sogenannte Sicherheitsverwaltungen, die Saddam, seine Söhne Udai und Kussei sowie sein Cousin Ali Hassan Madschid beaufsichtigen.
Ab und zu zeigt sich der Herrscher, inzwischen 60 Jahre alt, verheiratet mit zwei Frauen, von seiner mildtätigen Seite. Bilder vom durch das Land reisenden Führer werden gezeigt, Bilder, auf denen Saddam einem Mann die Tapferkeitsmedaille an die Brust heftet. Auszeichnungen gab es für den Vater, der kurz entschlossen den eigenen Sohn niederschoß, weil dieser sich weigerte, als Soldat in den Krieg zu ziehen. Für den Professor, der in einer Zeitschrift fünf Seiten lang über die Zigarre des Führers dozierte. Für den Poeten, der sich wortreich im Lobgedicht »O teurer Saddam« über die Tapferkeit und den Kampfesmut des Staatsoberhaupts ausließ.
Als arabischer Ceausescu kennt Saddam seine Untergebenen. Er weiß, wie sehr die Menschen ihn hassen. Er weiß, daß jene, die heute für ihn demonstrieren, ihn und seine Kinder schon morgen zerfleischen würden, wenn sie könnten. Er weiß es, weil es den Potentaten vor ihm genauso erging.
Dieser Meister des Jonglierens mit Leben und Tod hält sich seit 18 Jahren an der Spitze. Schon als Jugendlicher verübte er den ersten Mord, um eine bessere Position zu bekommen. Seitdem tötet er, um nicht getötet zu werden. Hunderttausende Menschen hat er auf dem Gewissen, mit vielen Stämmen im Irak lebt er in Feindschaft.
Immer seltener überschreitet er die Grenzen der Republik. Bei öffentlichen Auftritten im eigenen Land sind die Sicherheitsvorkehrungen immens. Stunden bevor er eine Straße passiert, wird das Viertel durch den Geheimdienst gesäubert. Das bedeutet, daß in jedem der anliegenden Häuser, die zuvor sorgfältig durchsucht wurden, ein Geheimdienstler postiert wird; daß bewährte Claqueure herbeigeschafft werden; daß Saddam selbst in einer von etwa 20 schwarzen Mercedes-Limousinen unerkannt vorbeifährt.
Sicherheit gewähren ihm letztlich nur seine Bunker; etliche davon haben deutsche Firmen mit Billigung der damaligen SPD-Regierung erbaut. Das Leben hat Saddam gelehrt, nichts und niemandem zu vertrauen, außer seiner Pistole, die sich immer in Reichweite befindet.
Neben der totalen Unberechenbarkeit speist sich Saddams Macht vor allem aus der permanenten Kriegssituation. Krieg und ein festes Feindbild - wie es seit Jahren die USA abgeben - zwingen die Bevölkerung zum Zusammenhalt, zeigen ihr den vermeintlichen Verantwortlichen für ihr Unglück. Krieg lenkt ab von den nächsten Gegebenheiten.
Dabei gibt es kein ideologisches Konzept, keine unumstößlichen Grundsätze. Saddam handelt zweckgebunden. Nach acht Jahren Krieg gegen Iran, in dem Hunderttausende Iraker umkamen, schickte er einen Versöhnungsbrief an Ajatollah Chomeini. Vor dem Überfall auf Kuweit war er gern bereit, mit Amerika zusammenzuarbeiten. Hätte er die Sicherheit, mit Hilfe der Israelis zum führenden arabischen Staatsmann zu werden, er würde es tun.
Der Irak steht für Aggression. Spätestens seit dem Golfkrieg werden deutsche Bundesbürger mißtrauisch, wenn sich ein hier lebender Iraker zu seinem Herkunftsland bekennt. Könnte er etwa ein kleiner Saddam sein? Da wird nicht unterschieden zwischen Volk und Herrscher. Warum auch, wenn Tag für Tag die Bilder der menschlichen Schutzschilde in den Präsidentenpalästen um die Welt gehen?
Die Uno hält weiterhin auf Druck der USA das Embargo gegen den Irak aufrecht, und das ist gut so. Denn nur ein Jahr würde Saddam Hussein brauchen, um mit Hilfe lukrativer Ölverträge seine frühere militärische Stärke, die er vor dem Krieg um Kuweit hatte, wiederzuerlangen. Die irakische Bevölkerung würde von der Lockerung des Embargos kaum etwas bemerken. Ganz im Gegenteil, sie wird jetzt mit Hilfe der Uno eher mit dem Lebensnotwendigen versorgt als nach einer Aufhebung des Embargos ohne Uno-Aufsicht.
Die Iraker warten auf eine Hand, die sie befreit. Sie erwarten, nicht im Stich gelassen zu werden. Sie erwarten, daß die Bilder von den für Saddam Hussein demonstrierenden Menschenmassen als erzwungen und erkauft entlarvt werden.
Im Alter von 22 Jahren hatte ich als jüngster Mitarbeiter einer Bagdader Tageszeitung die Ehre, vom damaligen Bildungsminister Latif Nusseif Dschassim empfangen zu werden. Er überreichte mir einen Brief an meinen Chefredakteur. Als ich ihn weiterleitete, wurde mir eine Kommentarspalte auf der Titelseite zugewiesen.
Noch im Nebel dieser Freude hörte ich, wie der Chefredakteur mir mit leuchtenden Augen und in strammer Haltung mitteilte, ich sei von höchster Stelle auserwählt worden, auf unseren Führer ein Lobgedicht zu verfassen und es im Fernsehen vorzutragen, zur besten Sendezeit, um 21 Uhr.
Ich hörte die Worte und wußte, daß ich zum Tode verurteilt war. Noch am gleichen Tag verließ ich Bagdad, am nächsten floh ich über die Grenze.
Erst heute, in Deutschland und in Sicherheit, erlaube ich mir, jenem Auftrag gerecht zu werden.
* Am 28. April in Bagdad.