Zur Ausgabe
Artikel 25 / 109

TERRORISMUS Teutonisch angehaucht

Der mutmaßliche Drahtzieher der Anschläge von Madrid lebte zwei Jahre lang im Saarland - er galt schon damals als Islamist.
Von Dominik Cziesche und Holger Stark
aus DER SPIEGEL 25/2004

Der selbst ernannte Imam, der in der Ausländerunterkunft im saarländischen Lebach den Islam predigte, kam manchen Anwohnern schon bald ziemlich merkwürdig vor.

Eigentlich hatte der Asylbewerber Ende 2000 nur darum gebeten, ein paar Tage während des Ramadan in einem Séparée beten zu dürfen. Doch plötzlich war in der Ostpreußenstraße 21, erster Stock, Zimmer 9, eine Art Mini-Moschee entstanden, die sich regen Zulaufs erfreute. Ungebetene Gäste vertrieb der stets in einen Kaftan gehüllte Imam höchstpersönlich.

So kam das Städtchen Lebach - 21 000 Einwohner, die Stadt rühmt sich der Nähe zu Europas ältester Edelsteinmine - zu seinem ersten Gebetsraum für Muslime.

Seit der vergangenen Woche wissen die Lebacher, dass sie möglicherweise weit Schlimmerem entgangen sind. Denn Rabei Osman al-Sayed Ahmed, 33, wie der Vorbeter heißt, gilt mittlerweile als Top-Terrorist. Spanische Ermittler verdächtigen ihn, der Drahtzieher der blutigen Anschläge von Madrid vom 11. März zu sein, bei denen 191 Menschen starben. Am vergangenen Dienstag und Mittwoch nahmen spanische, italienische und belgische Polizisten ihn und 23 andere Verdächtige fest.

Dass mit »Mohammed, dem Ägypter«, wie Ahmed genannt wird, irgendetwas nicht stimmte, hatten die deutschen Beamten schon früh geahnt. Im Juni 1999 war er von Deutschland aus nach Frankreich gereist, per Zug und ohne gültige Papiere. Ein Illegaler also, der sich den Grenzern als staatenloser Palästinenser namens Mohammed Fayad vorstellte und umgehend in der Justizvollzugsanstalt Ottweiler landete - sein Antrag auf Asyl wurde abgewiesen. Warum und wo der Mann vorher in Deutschland gewesen ist, gehört bis heute zu den ungeklärten Punkten.

Im Gefängnis schien er ein umgänglicher Häftling zu sein. Er arbeitete als Hausreiniger, bat höflich um spezielles Essen für Muslime und las im Wesentlichen ein Buch: den Koran. Länger als ein Jahr saß der mysteriöse Asylbewerber in Ottweiler, und weil eine Klärung nicht in Sicht war, entließ ihn die Leitung der Justizvollzugsanstalt am 12. September 2000.

Der Mann kam in das Aufnahmelager Lebach, Pommernstraße 22, Zimmer 3. Ausgestattet mit einer einjährigen Duldung, eröffnete er bei seinem Zwischenstopp in der Provinz die Mini-Moschee, wo er lautstark gegen Juden agitierte. Kurz vor dem 11. September 2001 verschwand er plötzlich. Landeskriminalamt und Verfassungsschutz, die erste Hinweise auf den Mann hatten, schrieben ihn zur Beobachtung aus.

Welch hochrangigen Kader aus der Belegschaft des Qaida-Netzes die Deutschen beherbergt hatten, wurde den Staatsschützern erst vergangene Woche klar. Da lieferten die Spanier diverse Details - und offenbarten eine mustergültige Mudschahid-Karriere.

Radikalisiert hatte sich Ahmed, der nach spanischen Angaben die marokkanische Staatsangehörigkeit besitzen soll, demnach in Ägypten, wo er fünf Jahre lang in einer Brigade des Heeres den Umgang mit Explosiva lernte. Er trat dem »Islamischen Dschihad« bei und ging nach Afghanistan.

Typen wie ihn fürchten die Ermittler am meisten: Hoch mobile und bestens ausgebildete Dschihad-Profis mit militärischer

Erfahrung und Kontakten in ganz Europa. Doch genau das ist auch die Schwäche von al-Qaida: Halten die Beamten das Ende eines Fadens in der Hand, können sie sich über Kontaktbilder immer weiter hangeln. So kamen die Spanier das erste Mal im Januar 2002 auf Ahmed. Seine Handy-Nummer war bei einer Razzia aufgefallen. Nach den Anschlägen vom 11. März fand sich der Name des Ex-Militärs, der sich nach Mailand zurückgezogen hatte, auch in den Notizen der Madrider Terrorzelle.

Schon im April begannen deshalb die um Hilfe gebetenen Italiener, den Apparat in der Wohnung in der Via Chiasserini anzuzapfen. Und das vergangene Woche veröffentlichte Protokoll liest sich wie eine Offenbarung für die Justiz: »Diejenigen, die als Märtyrer gestorben sind«, soll der Ägypter seinem Freund Jahja P. ausgeplaudert haben, »sind meine über alles geliebten Freunde, das war mein Projekt, ein Projekt, das mich sehr viel Geduld und viel Arbeit gekostet hat.« Ungläubig fragte Jahja: »Wirklich?« Und Mohammed bekräftigte: »Ich sage dir die Wahrheit, der Faden von Madrid, das bin ich.«

Zweieinhalb Jahre lang, sprudelte der Islamist gegen alle Regeln der Konspiration, habe er den Plan vorbereitet. Demnach muss der »Prediger mit der teutonisch angehauchten Biografie« (ein Beamter) unmittelbar nach seiner Abreise aus Lebach mit seinen Plänen begonnen haben. Derzeit rätseln die Behörden noch, warum er Madrid und nicht München oder Berlin als Anschlagsort auswählte - und ob Deutschland wieder einmal als Ruheraum für Terroristen dienen sollte.

In jedem Fall sind die Ermittler heilfroh, dass Ahmed die Bundesrepublik rechtzeitig verließ - zeigt der Fall doch, wie schwer es ist, ein Attentat zu verhindern, selbst wenn man die Verdächtigen kennt. Denn kaum war der »Ägypter« Ende 2001 aus Lebach verschwunden, setzte nach dem Fund seiner Handy-Nummer eine hektische Suche nach ihm ein. Mehrfach baten die Spanier ihre deutschen Kollegen 2002 um Unterstützung, im Sommer 2003 reiste sogar eine Delegation aus Madrid an. Doch da war die deutsche Spur bereits erkaltet.

Während die spanischen Polizisten noch nach ihm fahndeten, bereitete der Mann offenbar in aller Ruhe das Fanal von Madrid vor - getreu jener Devise, die er am Telefon gepredigt haben soll: »Es gibt nur eine einzige Lösung: sich al-Qaida anzuschließen. Wir sind alle Schläfer.«

DOMINIK CZIESCHE, HOLGER STARK

* Im Jahr 2000 im Saarland vor seinem Abtauchen.

Zur Ausgabe
Artikel 25 / 109
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten