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GESELLSCHAFT The man

Zwei Jahrzehnte lang lebte der amerikanische Milliardär Howard Hughes abgeschlossen von der Gesellschaft. Jetzt meldete er sich -- telephonisch -- zu einem Streit um angeblich autorisierte Biographien.
aus DER SPIEGEL 4/1972

Der alte Wunderling, den seine 67 000 Angestellten »the man« nennen, brütet nervös über einem simplen Rechenexempel. Auf der Rückseite eines Briefumschlags addiert er seine Besitztümer: eine Spezialfabrik für Öl-Bohranlagen, eine Fluggesellschaft, einen Hubschrauber-Transportdienst. Hotels und Spielkasinos, Fernsehstationen, eine Satellitenfabrik, ein medizinisches Forschungslabor, Bergwerke, Farmen, Grundstücke auf dem Hollywood-Filmgelände Culver City und riesige Wüstengebiete in Nevada.

»The man« ist verunsichert. Er kommt nur auf einen Gesamtwert von 800 Millionen Dollar. »Es muß doch über eine Milliarde sein«, murmelt er ungläubig. Er beginnt erneut zu rechnen, immer wieder.

Zwar widerspricht er nicht, wenn man seinen Reichtum auf 2,5 Milliarden Dollar schätzt. Aber er widerspricht auch nicht, wenn man ihn für unglücklich hält.

Vielleicht ist »the man« ein bißchen verrückt.

Auf jeden Fall ist er blutarm, unterernährt, hautkrank und nahezu taub. Über seinem Bett wölbt sich ein Sauerstoffzelt, daneben stehen Bluttransfusions-Anlagen, Lautsprecher und Verstärker. Doch seine Bediensteten ziehen es vor, ihm Botschaften auf große Tafeln zu malen.

»The man« ißt wenig, trinkt nur Milch und Quellwasser. Er wiegt 42 Kilogramm und ist 1,90 Meter groß. Nahezu hüftlanges Haupthaar zottelt ihm über die Schulter, ein grauer Vollbart reicht ihm auf die Brust.

Er fürchtet Menschen und Bakterien. Wenn er durchs Zimmer schlurft, stecken seine Füße in Kleenex-Kartons. Es sind große Kartons, denn seine Fußnägel sind -- wie seine Fingernägel -- 20 Zentimeter lang.

»The man« lebt auf einer Insel, die wegen ihrer exotischen Schönheit Paradies-Insel genannt wird. Aber die Fenster seiner Feudal-Wohnung sind verhängt, vor einer grünen Eisentür stehen Wachen, die ihn nie gesehen haben. Auf dem Dach patrouillieren Posten mit Bluthunden. Niemand weiß genau, ob sie ihn bewachen oder beschützen.

So wabern die Sagen um den amerikanischen Business-Barbarossa Howard Hughes, 66, der in den 50er Jahren beschloß, sich aus der Öffentlichkeit zurückzuziehen -- und über den es seither nur noch Gerüchte gibt.

Howard Hughes hielt es nie der Mühe wert, Dichtung und Wahrheit in absurden Berichten über ihn durch eigene Darstellung zu trennen -- bis er 1970 totgesagt wurde. Da griff er zum Telephon und dementierte: Die Nachricht sei »übertrieben«.

Alles andere besorgten Männer, die er über Fernsprecher und mit schriftlichen Anweisungen dirigierte. Sie zeichneten seine Schecks, signierten seine Steuererklärungen, schworen für ihn vor Gericht, verwalteten sein Imperium -- und vor allem schwiegen sie.

Nur wenn es ganz und gar unumgänglich war, unterschrieb er Dokumente selbst, in ganz dringenden Fällen hinterließ er zur Beglaubigung einen Fingerabdruck unter seinem Namen.

Plötzlich aber -- so scheint es -- hat das Phantom Howard Hughes der Rekennerdrang übermannt. Gleich in drei Fällen meldete er sich, freilich ohne persönlich in Erscheinung zu treten:

* mit einem vom Fernsehen gesendeten Telephon-Interview am Sonntag vergangener Woche;

* mit einer angeblich von ihm autorisierten Biographie, die der Schriftsteller Clifford Michael Irving aufgrund von hundert Gesprächen mit Hughes in neun Monaten des vergangenen Jahres geschrieben haben will (der Verlag McGraw-Hill in New York will das 999 Seiten starke Buch mit 240 Seiten Dokumentation anreichern und im März herausbringen, die Millionen-Illustrierte »Life« kündigte den Abdruck von Auszügen an);

* mit einer angeblich ebenfalls von ihm selbst autorisierten zweiten Biographie, die -- beruhend auf »intimen, persönlichen Interviews« aus den letzten 13 Jahren und zu Papier gebracht von Hollywood-Schreiber Robert P. Faton -- im Februar im »Ladies' Home Journal« veröffentlicht werden soll.

Doch schon das Telephon-Interview ließ erkennen, daß die plötzliche Publikationssucht des exzentrischen Geheimniskrämers mehr Verwirrung als Klärung stiftet, daß sie seine Versteckspiel-Marotte fast noch übertrifft.

Im Konferenzsaal »Studio III« des Hotels »Sheraton-Universal« in Hollywood hockten sieben Journalisten im Halbkreis -- als wären sie Gast in Werner Höfers Frühschoppen. Gebannt starrten sie auf einen kleinen weißen Lautsprecher, aus dem scheppernd eine Stimme drang, die vorgab, Howard Hughes zu gehören.

Aus dem neunten Stock des 4800 Kilometer entfernten Hotels »Britannia Beach« auf der Bahama-Insel Paradise Island lamentierte der Milliardär -- wenn er es war -, daß sein Zerrbild entstanden sei, weil Gerüchte mit dem bösartigen Vorsatz in die Welt gesetzt würden, ihn zu diskreditieren.

Er protzte mit seiner Gesundheit: »Sie ist wahrscheinlich besser, als ich es verdiene.« Er verbreitete sich über seine Manikürtechnik: »Ich halte meine Nägel immer in einer vernünftigen Länge. Ich schneide sie mit Knipsern, nicht wie manche Leute mit der Schere.«

Mit hörbarer Begeisterung renommierte der Fernsprecher über ein Hobby. das ihn zu einer Zeit, als er noch nicht die Öffentlichkeit scheute, mit Legenden umwoben hatte: die Fliegerei.

1935 erreichte er mit einer selbstentworfenen Maschine einen Geschwindigkeitsweltrekord von 352,39 Meilen pro Stunde. 1938 folgte eine neue Weltbestleistung -- er umkreiste die Erde in 91 Stunden und 14 Minuten.

Mit Hilfe von 22 Millionen Dollar aus der Regierungskasse entwarf er während des Zweiten Weltkriegs »ein achtmotoriges, 200 Tonnen schweres Flugboot, das nur knapp vier Meter kürzer war als der heutige »Jumbo«, die Boeing 747. Allerdings wurde das Ungetüm nie auf Serie gelegt.

Sein zweites Hobby -- Frauen -- kam bei dem Interview nicht zur Sprache. In den dreißiger und vierziger Jahren war Hughes, damals Produzent in

* Im Jahre 1947 vor einem Senatsausschuß.

Hollywood, bei seinen öffentlichen Auftritten umgeben von Filmstars und Schönheiten, die über seine Schlaf statt auf die Filmleinwand wollten. Lana Turner, Ava Gardner, Ginger Rogers, Katharine Hepburn und Jean Peters. die er 1957 heiratete (geschieden 1971), zählten zu seiner Sammlung.

Der gutaussehende, aber schon damals kontaktarme Multi-Millionär beschäftigte einen Spezialisten mit der alleinigen Aufgabe, ihm willige Starlets zuzuführen. Ungeniert brüstete er sich damit, 200 Mädchen entjungfert zu haben -- eine Angabe, die das Nachrichtenmagazin »Time« nur deshalb anzweifelt, weil den Redakteuren eine solche Verbreitung von Virginität in Hollywood unwahrscheinlich vorkam.

Solch pikante Details erwartet Amerikas Öffentlichkeit -- neben Aufschluß über das Geheimleben des gealterten Playboys -- von der Irving-Biographie. auf die Hughes während des Interviews seinen Zorn konzentrierte. Er nannte das Werk »eine total phantastische Fiktion«. Den Autor kenne er nicht: »Ich habe ihn nie gesehen. Ich habe noch nicht einmal etwas von ihm gehört.«

Irving, der auf Ibiza lebt und bisher acht Romane veröffentlichte, revanchierte sich zwei Tage später: »Ich bin definitiv der Ansicht, daß da nicht Howard Hughes gesprochen hat.«

Damit freilich stand er ziemlich allein. Selbst seine Verleger teilten die Auffassung der sieben Journalisten -- von denen sechs dem Milliardär vor Jahren persönlich begegnet sind -, daß der Mann am Telephon Howard Hughes war. Ehemalige Hughes-Angestellte und wissenschaftliche Stimmenvergleiche mit alten Tonbändern bestätigten dieses Urteil.

Dennoch beharrten die McGraw-Hill-Verleger darauf, mit der Irving-Biographie ein echtes, von Hughes diktiertes und eigenhändig redigiertes Dokument in der Hand zu haben. Bestätigende Briefe, zwei von Hughes eingelöste Schecks in Höhe von irgendwo zwischen 300 000 und 750 000 Dollar, Schriftvergleiche und Hughes-Fingerabdrücke sind ihr Beweismaterial.

Die These der Herausgeber: Hughes hat auf Anraten seiner entsetzten Berater einen plötzlichen Rückzieher gemacht. Der Stab des Milliardärs befürchte -- nicht zu Unrecht, wie die Verlagssprecher einräumen -- erhebliche finanzielle Einbußen wegen der Offenherzigkeit, mit der Hughes über sein privates und geschäftliches Leben geplaudert haben soll.

Ein erbittertes juristisches Fingerhakeln um die Irving-Biographie dürfte der Veröffentlichung vorausgehen. Hughes könnte sie freilich selbst dann kaum verhindern, wenn er persönlich vor Gericht erschiene. Das aber lehnte er schon in seinem Interview ab: »Ich will nicht den Rest meines Lebens in Gerichtssälen verbringen.«

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