THOMAS VON DER VRING
ist nach dem 31jährigen Berliner Diplom-Physiker und Soziologen Rolf Kreibich (FU Berlin), dem 34jährigen Diplom-Ingenieur Alexander Wittkowsky (TU Berlin) und dem 37jährigen Theologen Peter Fischer-Appelt (Universität Hamburg) der vierte Nachwuchs-Akademiker, der im Zuge der Hochschul-Reform mit der Leitung einer Universität betraut wurde. Der bremische Senat bestellte ihn am Dienstag letzter Woche zum Gründungsrektor der geplanten Hanse-Universität.
Der Bremer Hochschul-Chef, Jahrgang 1937, hat durch die Habilitation die herkömmliche Qualifikation für die Berufung auf einen Lehrstuhl erworben. Seine Habilitationsschrift über das Problem einer Wahlrechtsänderung ("Reform oder Manipulation? -- Zur Diskussion eines neuen Wahlrechts") verschaffte ihm Ansehen bei Politologen wie Politikern.
Von der Vring, einst Assistent des Polit-Professors und jetzigen niedersächsischen Kultusministers Peter von Oertzen und danach Dozent für Politische Wissenschaft an der TU Hannover, hatte eine der einflußreichsten Politologen-Schulen angegriffen: die Gruppe um den Kölner Professor Ferdinand Hermens, der in der Verhaltniswahl die Hauptursache für das Scheitern der Weimarer Republik und in der Mehrheitswahl nach englischem Muster das einzige Heilmittel für das parlamentarische System der Bundesrepublik sieht.
Vrings ausführlich belegtes Verdikt -- ein Mehrheitswahlrecht würde in der Bundesrepublik konservative Kräfte stärken, ihr Zusammenspiel undurchsichtiger machen und weithin als Manipulation empfunden werden -- trug mit dazu bei, daß die Sozialdemokraten zur Zeit der Großen Koalition Pläne für eine Wahlrechtsänderung vertagten.
In seiner Habilitationsschrift, die als Buch erschien, polemisierte von der Vring zwar gegen Notstandsgesetze und Große Koalition, doch respektierte seine Kritik die politischen Spielregeln des Systems. So sieht er »ein Gleichgewicht zwischen Machtkonzentration durch Mehrheitsbildung und Machtkontrolle durch Gruppenkonkurrenz, zwischen Integration und Desintegration« als »für die Demokratie unabdingbares Erfordernis« an.
Auch in seiner politischen Karriere bewegte sich der Jung-Akademiker stets am linken Rand, aber nicht außerhalb des etablierten Parteienspektrums. Zwar gehörte er zu Beginn der sechziger Jahre zum Bundesvorstand des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), der von der SPD gerade verstoßen worden war -- 1961 verließ er die Partei, um einem Ausschluß wegen seiner SDS-Aktivitäten zuvorzukommen. Doch den Weg des SDS in die außerparlamentarische Opposition ging er nicht mit. Vielmehr kritisierte er den »kleinbürgerlichen Voluntarismus« und das »Wandervogel-Denken« der Dutschke-Gefolgschaft. 1967 trat von der Vring erneut in die SPD ein, zwei Jahre später wählten ihn die inzwischen auf antikapitalistischen Kurs gegangenen SPD-Jungsozialisten zu ihrem stellvertretenden Bundesvorsitzenden.
Auf dem Münchner Juso-Kongreß im Dezember letzten Jahres erfand der rhetorisch begabte Sohn des Lyrikers Georg von der Vring den Slogan, mit dem der kritische SPD-Nachwuchs seither sich selbst und dem Partei-Establishment Mut zu machen sucht: »Wir sind die SPD der achtziger Jahre.«
Im Bundesvorstand der Jusos verblüffte Wahlrechts-Experte von der Vring seine Kollegen mit Schnellrechnungen über die Folgen verschiedener Wahlverfahren auf SPD-Parteitagen und riet bei drohenden Auseinandersetzungen mit der Partei zur Vorsicht. Die Jungsozialisten -- so von der Vring bei der Diskussion um den. Ulbricht-Besuch des Juso-Chefs Karsten Voigt vor drei Wochen -- dürften sich den Konflikt mit der SPD-Führung nicht »zur falschen Zeit und um die falsche Sache« aufzwingen lassen.