VERSICHERUNGEN / AUTO-HAFTPFLICHT Tief in Rot
Am Ludwigkirchplatz in Berlin werden in dieser Woche für über 14 Millionen bundesdeutsche Autofahrer die Versicherungsprämien erhöht -- so wie nie zuvor.
Erneut wird das Berliner Bundesaufsichtsamt für das Versicherungs- und Bausparwesen den Kfz-Versicherern eine Prämienverteuerung zubilligen, die -- so Ernst Meyer, Präsident des Gesamtverbandes der Versicherungswirtschaft und Vorstandsmitglied der Allianz -- »nicht so viel sein wird, wie unsere Gegner befürchten, aber mehr als sie uns gönnen
Gegner wie der Allgemeine Deutsche Automobil-Club (ADAC) hatten im Oktober befürchtet: »Die Haftpflichtbeiträge werden um 45 Prozent teurer.« Nunmehr wollen sich die Versicherer durchschnittlich mit 26 Prozent mehr bescheiden.
Bereits In den vergangenen zehn Jahren waren den Versicherungsunternehmen regelmäßig höhere Einnahmen bewilligt worden. So kletterten die Beiträge für die Kraftfahrzeug-Haftpflicht
* 1961 um 12,4 Prozent,
* 1965 um 6,8 Prozent,
* 1967 um 12,5 Prozent für Großstädter und um 7,5 Prozent für Landbewohner,
* 1969 um fünf Prozent für Großstädter und um 2,5 Prozent für Beamte und Landbewohner.
Doch noch nie hatten die Schadensregulierer ihre Forderung so schnell und so hoch nach oben getrimmt wie in den vergangenen vier Monaten.
Ende Juni hatte der HUK-Verband (der Haftpflicht-, Unfall- und Kraftverkehrsversicherer) eine Steigerung des Schadenbedarfs -- Zahlungen und Rückstellungen -- um 12,5 Prozent errechnet und dementsprechend eine Prämienerhöhung für 1971 von durchschnittlich 20 Prozent kalkuliert. Schon vier Wochen später wurde diese Rechnung vom Verbandspräsidenten und Allianz-Vorstandsmitglied Werner Brugger verworfen: Der Schadensbedarf, so verkündete er, liege jetzt mindestens um 17,5 Prozent höher als im Vorjahr. Mitte Oktober sodann stellten die Versicherer gar eine Steigerung von 25 Prozent fest.
Allianz-Meyer lamentierte: »Wenn die Prämien nicht den tatsächlichen Verhältnissen angepaßt werden, kommen die deutschen Schadensversicherer bereits 1970, jedenfalls aber 1971/72, tief in die roten Zahlen.« Sein Hamburger Verbandsgeschäftsführer Hansheinrich Brumm glaubt, daß die rund hundert in der Bundesrepublik tätigen Autoversicherer in diesem Jahr einen Verlust von insgesamt einer Milliarde Mark ausweisen werden.
Nicht nur gestiegene Reparaturkosten der Werkstätten (Brumm: »Jede Lohnerhöhung schlägt direkt zu 51 Prozent auf die Schadensaufwendungen durch"), sondern auch ständig höhere Unfallziffern zwingen die Versicherungsmanager zu größeren Auszahlungen: Der durchschnittliche Aufwand für einen Schadensfall stieg von 1260 Mark Im Jahr 1969 auf 1450 Mark in diesem Jahr; und von jeweils tausend Fahrzeugen verursachten im letzten Jahr 159 Wagen einen Unfall -- In diesem Jahr aber bereits 173.
Der Unfall- und Kosten-Boom ist nach den Ermittlungen der Sachbearbeiter vor allem auf den Anstieg der Pkw-Neuzulassungen zurückzuführen sowie auf das konjunktur-spezifische Verhalten der Autofahrer, die im Boom zügiger und unvorsichtiger fahren. Brumm: »Die Leute sind sorgloser geworden, und das bedeutet für den Verkehr: Sie fahren riskanter.« Und der Sprecher der Allianz, Hans Seyfried, bestätigt: »Früher bestimmte das Wetter die Unfallhäufigkeit, heute wird dies durch die Konjunktureinflüsse überdeckt.«
So verlangen die Assekuranz-Unternehmer vom Bundesaufsichtsamt nicht nur die Genehmigung für eine Prämienerhöhung von 26 Prozent zum 1. Januar 1971, sondern bereits jetzt eine weitere Steigerung der Haftpflichtbeiträge um elf Prozent zum Jahresbeginn 1972.
Außerdem haben die Unternehmer eine Änderung der bisher geltenden Beitragsklassen für Grollstädter (G) Mittelstädter (M) Landbevölkerung (L) und Beamte (B) sowie eine weitere Aufteilung dieser Gruppen auf verkehrsarme (gelbe) und verkehrsreiche (grüne) Zonen beantragt.
Mit insgesamt 12 verschiedenen Tarifen wollen die Versicherer die Merkmale deutscher Autofahrer genauer als bisher erfassen. Anfänger und Mehrfach-Unfaller sollen zum Beispiel bis zu 65 Prozent höhere Prämien zahlen.
Mit ihrer grün-gelben Berufs- und Regionalteilung wollen die Assekuranten zudem jene Spezialversicherungen aus dem Geschäft drücken, die ihren Policen-Verkauf auf bestimmte Gebiete oder Versicherten-Gruppen -- etwa Beamte -- beschränken und mit höheren Nachlässen die Autofahrer anlocken.
Mit den beantragten Tarifen sollen schließlich auch die Schadensfreiheitsrabatte neu geregelt werden: Autofahrer werden in den Genuß des Höchstrabattes von 50 Prozent nicht mehr nach drei, sondern erst nach fünf Jahren kommen.