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PROZESSE Tiefe Schichten

Ein Arzt, der Sexualmord an der eigenen Frau begangen haben soll, will unter Hypnose aussagen -- »einmaliger Vorgang« oder »überflüssige Privatsache« als Beitrag zu dem Münchner Indizienprozeß.
aus DER SPIEGEL 14/1975

In einem Klee-Acker am Langwieder See bei München war, am 1. August vergangenen Jahres, die zerstochene Leiche der 35jährigen Freya Talabani, Frau eines irakischen Arztes, gefunden worden. Ehemann Fouad Talabani, 34, der seit 1959 in der Bundesrepublik studierte, promovierte und praktizierte, mutmaßte, die Bluttat sei ein »politischer Racheakt« und eine »Warnung« für ihn gewesen.

Als mögliche Mörder verdächtigte der orientalische Mediziner mal den irakischen Geheimdienst der ihn habe strafen wollen, weil er angeblich noch von Deutschland aus die aufständischen Kurden im Irak unterstützt habe -, mal aber auch kurdische Fanatiker, die es ihm, selber Kurde der Abstammung nach, verübelt hätten, daß er deutscher Staatsangehöriger geworden sei und eine Deutsche geheiratet habe.

Doch schon die Spuren und Funde am Tatort ließen alsbald naheliegendere Verdachtsmomente zu: An einem Schuhabsatz der Toten fand sich ein Abdruck vom rechten Mittelfingerballen des Witwers. Neben der Leiche lag ein blutverschmiertes Küchenmesser, das die Haushälterin der Arztfamilie wiedererkannte.

In der Talabani-Wohnung im oberbayrischen Wartenberg und auf einer Müllkippe entdeckte die Kripo überdies blutbefleckte Kleidungsstücke, die der Arzt und das Opfer nach Zeugenaussagen am Tag der Tat getragen haben sollen.

»Ermittlungen im Orient«, so Münchens Oberstaatsanwalt Otto Heindl, »konnten wir uns schenken, das haben wir sowieso nicht ernst genommen.« Statt dessen ermittelten die Strafverfolger allein gegen den sistierten Witwer, dem in der nun erhobenen Anklage eine seltene Tat vorgeworfen wird: Talabani soll seine eigene Frau »vorsätzlich zur Befriedigung des Geschlechtstriebs getötet« haben.

Nach einer kleinen Feier in einem Münchner Restaurant, so rekonstruierte die Staatsanwaltschaft, sei das Ehepaar in jener Augustnacht vorgeblich zum Baden an den Langwieder See gefahren. Dort habe der Arzt seine sich heftig wehrende Frau mit Faustschlägen und Messerstichen gefügig machen wollen, sie schließlich mit einem Seidenschal erdrosselt und sich an der Toten vergangen.

Doch so minutiös die Kripo die Indizien für den Sexualmord sammelte -- so schleierhaft bleibt die Tat vor dem Hintergrund einer als mustergültig geschilderten Ehe und der reibungslosen Integration eines Ausländers in bayrische Provinzidylle. »Wir wissen«, sagt ein Bruder der Toten über Talabani. »daß er ein gutmütiger Mensch war. Es ist keineswegs so, daß er aus unseren Herzen getilgt ist.«

Ob in Wartenberg oder vordem im oberfränkischen Kleinstädtchen Schauenstein, »die Talabanis waren ungeheuer populär, beinahe eine Attraktion« (so ein Schauensteiner Bekannter). Fouad Talabani, der seine Frau, eine ehemalige Laborassistentin, 1969 geheiratet und von ihr zwei Kinder hat, setzte sich für Trimm-Pfade und Kindergärten ein. Der Arzt aus Bagdad wurde Schützenmeister beim Königsschießen der Schauensteiner Bürger- und Schützengesellschaft. 1971 machten ihn die Schauensteiner Honoratioren mit dem Grenzland-Besucher und damaligen Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher bekannt, der sich für die ein Jahr später erfolgte -- Einbürgerung des Irakers einzusetzen versprach.

Derart rätselhaft scheint den Angehörigen des Opfers der Fall, daß auch sie ein vom Angeklagten selber vorgeschlagenes und von seinen Verteidigern beantragtes Experiment zur Wahrheitsfindung befürworten: Talabani will sich vor dem -- noch offenen -- Prozeßbeginn unter Hypnose äußern. Ein Talabani-Schwager, selbst Arzt: »Da hat irgend etwas ganz Tiefes stattgefunden, an diese Schichten muß man herankommen.« Talabani-Anwalt Rolf Bossi: »Mein Mandant hat Erinnerungslücken an den Ablauf dieser Nacht, er behauptet nach wie vor, unschuldig zu sein.

Es wäre tatsächlich ein »einmaliger Vorgang« (Talabani-Anwalt Steffen Ufer) in der bundesdeutschen Prozeßgeschichte, wenn die Gedächtniswäsche vom Schwurgericht nicht nur zugelassen würde, sondern wenn ihre Resultate auch Eingang ins Verfahren fänden.

Die deutsche Strafprozeßordnung zählt Hypnose ausdrücklich zu den »verbotenen Vernehmungsmitteln« -- ursprünglich als Schutzmaßnahme für den Beschuldigten, die auch »gilt ohne Rücksicht auf die Einwilligung des Beschuldigten«. Oberstaatsanwalt Heindl: »Das kommt dem Lügendetektor und dem Wahrheitsserum bedenklich nahe.«

Aber denkbar ist dennoch, daß ein solches Experiment mit dem Untersuchungshäftling als »überflüssige Privatsache« (Heindl) zugelassen wird. Und nur so würde sich der von den Verteidigern ausersehene Mainzer Medizinpsychologe Professor Dietrich Langen, 61, ("Ich bin sehr zwiespältig") dazu bereit erklären. Möglicherweise, so spekuliert der Hypnose-erfahrene Spezialist einstweilen, stehe sein Arztkollege Talabani unter der »Tabu-Wirkung einer orientalischen Sittenkonstellation«, einer »Hemmnisschwelle, die ihn am Geständnis hindert«. Vielleicht aber erhoffe sich der Häftling nur eine »bessere Erinnerungsfähigkeit, die er im Wachen reproduzieren kann«.

Wie auch immer, fraglich bleibt, was sich die Verteidiger versprechen, wenn nicht doch Erkenntnisse aus der Hypnose verklausuliert verwertet werden können. Etwa wenn sich deuten ließe, daß »Teile der Tat im Affekt begangen« (so Anwalt Ufer) worden seien und verminderte Zurechnungsfähigkeit herangezogen werden könnte. Möglich scheint den Verteidigern auch, daß Talabani »ein Geständnis ablegt, das er selber nicht wahrhaben will«.

Womöglich eignet sich der Mandant aber gar nicht als Medium für den Hypnotiseur, weil er dessen Methoden gut kennt. Im Frankenwald-Städtchen Schauenstein jedenfalls hat Talabani. wie sich Teilnehmer erinnern, einschlägige Kurse im autogenen Training mit Hypnose-Einwirkung offenbar mit Erfolg durchgeführt: »Das beherrschte er bis zum Effeff, manche von uns waren minutenlang weggetreten.«

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