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HOCHSCHULEN Tiefes Tal

In Zeitungsanzeigen und mit lockeren Werbesprüchen bemüht sich die Universität Trier um Studenten. Die Probleme dieser Hochschule sind beispielhaft für die schlechte Balance der westdeutschen Studienplätze.
aus DER SPIEGEL 26/1980

Wenn der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Vogel, dem das Kulturelle besonders am Herzen liegt, wieder mal Klagen hören muß über die fehlenden Studienplätze und den Numerus clausus, dann scherzt er in die Zukunft hinein: »Es läßt sich der Zeitpunkt absehen, zu dem die Hochschulen an den Gymnasien auf Büttenpapier um Studenten werben.«

In Trier ist es wohl schon so weit. Wenn auch noch nicht auf Bütten, so doch auf Hochglanzpapier bietet das Presseamt der Stadt in Zeitungsinseraten Studienplätze feil: »Studieren in Trier -- Warum eigentlich nicht? Eine der modernsten deutschen Universitäten wartet auf Sie.«

50 000 Mark hat Presseamtsleiter Walter Queck bei der Stadt für die Kampagne lockergemacht, die zunächst in Regionalblättern, aber auch im SPIEGEL gestartet wurde. Mit »Französischer Küche« und »reiner Luft« wirbt die 96 000-Einwohner-Stadt um Akademiker.

Wer den Coupon aus der Anzeige einsendet und vielleicht ein Vorlesungsverzeichnis erwartet, erhält flotte Reklame: farbiges Anschauungsmaterial mit Barbusigem aus den Bars und Hinweisen auf das »kelto-romanische Temperament ... der Triererinnen«. Die »Wirte schreiben bei uns noch an«, lobt Queck, und auch Universitätskanzler Ignaz Bender kommt mit Werbesprüchen auf den Geschmack: Seit S.69 Jahren, schwelgt er, gebe es in Trier »eines der besten Mensa-Essen, was dazu führt, daß auch Professoren mit ihren Familien in der Mensa die Mahlzeiten einnehmen«.

Wenig Aufhebens machen die Abiturienten-Werber, verständlicherweise, um die Schwächen der Trierer Hochschule -- ein bescheidenes, vor allem geisteswissenschaftlich orientiertes Fächerangebot, weit auseinanderliegende Studien-Stätten. Daß es an Studenten fehlt, liegt aber nicht nur an solchen Eigentümlichkeiten, wohl auch nicht an dem »tiefen Studentental«, in das der Mainzer Hochschulreferent Karl Martin Graß angesichts geburtenschwächerer Jahrgänge schon blickt.

Die Uni Trier leidet an einer Strukturschwäche, die typisch ist für viele Hochschul-Neugründungen im Bundesgebiet: das einseitige Setzen auf die Lehrerausbildung. »Alle Unis«, sagt Graß, »die zum Beispiel aus Pädagogischen Hochschulen hervorgegangen sind, halte ich für existenzgefährdet.«

In einer Art Blitzaktion war die Uni Trier Ende der sechziger Jahre vom Unionspolitiker Helmut Kohl, damals Mainzer Regierungschef, und dessen Kultusminister Vogel gegründet worden, vor einer Landtagswahl und nach langjähriger Bildungspolitik auf Zwergschulart. In der Rekordzeit von nur 16 Monaten wurde damals die Doppeluniversität Trier/Kaiserslautern präsentiert; 1975 erhielten beide Teil-Unis ihre Selbständigkeit.

Doch mehr als den technisch-naturwissenschaftlich orientierten Kaiserslauterern brachten die Lehrerschwemme und die damit verbundenen Berufsprobleme den Geisteswissenschaftlern an der Mosel Stagnation. War in Trier während der ersten Gründungseuphorie noch von 15 000 Studenten die Rede, die eines Tages den Campus beleben würden, so reduzierten sich die Prognosen bald auf 12 000, dann 7500. Schließlich ließ Vogels Kultusministerin Hanna-Renate Laurien die Planungen für den Endausbau auf 6000 Studienplätze herunterfahren.

Diese Zahl sei zu halten, wenn, so Graß, »wir es schaffen, uns von dem Klotz der Lehrer zu lösen«. Da gut 1000 der 2400 geplanten Lehramts-Studienplätze gestrichen wurden, sollen nun als Ersatz vermehrt Juristen und Volkswirte her -- ehe die Erstsemester um 1985 herum spärlicher werden.

Der Studentenmangel in Trier (derzeit nur 3700 Studierende) steht im Widerspruch zu dem Ausbildungsdefizit, das Rheinland-Pfalz, ähnlich wie Niedersachsen und Schleswig-Holstein, unter den Bundesländern hat. Gut jeder zweite aus Rheinland-Pfalz stammende Student ist an Universitäten außerhalb des Landes immatrikuliert. Der Ludwigshafener geht von jeher gern nach Mannheim oder Heidelberg, den Koblenzer zieht's nach Bonn, Köln oder Aachen.

So wie etwa zwischen der Mammutuniversität München und der Neugründung Augsburg »die Umverteilung im Studentenberg nicht klappt« (Graß), hat es, sagt der Trierer Uni-Präsident Arnd Morkel, auch in Rheinland-Pfalz »die Zulassungspolitik nicht verstanden, Studienanfänger gleichmäßig auf die Hochschulorte zu verteilen«.

Ein bundesweites Phänomen: Während die Länder die Zahl der ursprünglich 28 westdeutschen Universitäten inzwischen um 24 erweitert haben, besucht nach Berechnungen des Trierer Kanzlers Bender heute nur knapp ein Drittel aller Studenten die neuen, häufig recht schmalspurigen Hochschulen. Oft nur Rumpf- und Schrumpf-Unis, geraten sie wie Trier in den Verdacht, mit sogenannten Orchideenfächern (Beispiele: Ägyptologie, Papyrologie) die dünne Basis überdecken zu wollen.

Einfallsreich geht es auch in Trier zu, wenn es etwa gilt, für Gymnasiallehrer ohne Zukunft noch ein paar Nischen auf dem Arbeitsmarkt zu erkunden. Zum Studiengang erklärt wurden in dem geschichtsträchtigen Touristenrevier Berufsbilder wie »Stadthistoriker oder Fremdenverkehrsgeograph«. Und vorgesehen sind in Trier nun der Ausbau der Orientalistik, der modernen Sinologie und der Angewandten Wirtschaftsmathematik.

Erschüttert sind indessen die großen Hoffnungen, das benachbarte Ausland interessieren zu können. Vogels Vorstellung, man werde vor allem angehende Juristen aus Benelux-Ländern anlocken, erwies sich als falsch. Ausgerichtet auf das französische Rechtssystem, zieht es die Luxemburger Jurastudenten eher nach Lüttich.

Daß die Biederkeit der tiefschwarzen Mosel-Metropole Jungbürger abhalten könnte, auf ein paar Jahre nach Trier zu ziehen, will Werber Queck nicht einleuchten. »Vom Heiligen Rock und so«, sagt er, »sprechen wir bewußt nicht.« Und die Stille habe auch was Gutes für den Studenten: »Da kann man nebenher ein Buch schreiben.«

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