Zur Ausgabe
Artikel 13 / 80

Bundesländer TIERPARK IN DER SCHUBLADE

aus DER SPIEGEL 45/1966

SPIEGEL: Herr Ministerpräsident, Ihre Regierung hat einen Hessenplan ausgearbeitet, der die Entwicklung des Landes für das kommende Jahrzehnt programmiert. Sie wollen damit, wie die Parole heißt, heute schon an morgen denken. Viele denken bei dem Wort »Plan« an etwas anderes, vor allem, wenn ihn SPD-Leute ausgetüftelt haben.

ZINN: Ich weiß, ich weiß. Aber dieser Große Hessenplan ist ja kein Produktivitätsplan im östlichen Sinne, auch keine Planifikation nach französischem Vorbild.

SPIEGEL: Dann ist das gar kein Plan?

ZINN: Es ist ein Entscheidungsrahmen, um die Landespolitik zu systematisieren und um die Möglichkeit zu geben, in Zusammenhängen zu handeln. Eine moderne Regierungskunst hat die Aufgabe, neben dem täglichen Geschäft in die Zukunft zu denken. Das bedeutet planen.

SPIEGEL: Sie meinen also, ohne die ordnende Hand des Staates...

ZINN: . . . geht es in der heutigen pluralistischen Gesellschaft nicht.

SPIEGEL: Was soll geordnet werden?

ZINN: Wir wollen in diesem Lande die Gemeinschaftsaufgaben in den Griff bekommen. Damit fördern wir zugleich das wirtschaftliche Wachstum.

SPIEGEL: Das haben Sie im einzelnen festgelegt, und nun muß in zehn Jahren das Soll erfüllt werden?

ZINN: So nicht. Der Große Hessenplan ist kein Mehrjahreshaushalt. Er stellt, wie gesagt, einen Entscheidungsrahmen dar, der ermöglicht, unter Berücksichtigung der jeweiligen Interessenlage in einer gegebenen Situation die richtigen Prioritäten zu ermitteln. Wir haben gegenübergestellt, wie die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Lande voraussichtlich verläuft und was investiert werden muß. Die Zielvorstellungen umfassen: vordringliche Objekte, weniger dringliche, nur wünschenswerte und schließlich Schubladenprojekte.

SPIEGEL: Was ist vordringlich?

ZINN: Zum Beispiel die Verbesserung der Infrastruktur, Wohnungsbau, das Schul- und Verkehrswesen, die Förderung von Wachstumsbranchen.

SPIEGEL: Und was liegt vorläufig in der Schublade?

ZINN: Nun, zum Beispiel der berühmte Tierpark im Taunus. Das ...

SPIEGEL: ... Grzimeks Tierpark ist auch im Hessenplan?

ZINN: Ja, und darüber andere Dinge, auf die wir im Falle einer Rezession zurückgreifen werden.

SPIEGEL: Wer hat den Plan zum Plan geplant?

ZINN: Der Gedanke stammt von mir. Meine Partei war seinerzeit überrascht.

SPIEGEL: Überrascht? Wie denn?

ZINN: Natürlich freudig überrascht.

SPIEGEL: Was Sie in Hessen tun, möchte Ihre Partei gern im Bund machen, nicht wahr? Blauer Himmel über der Ruhr und so.

ZINN: Ich nehme es an. Die SPD hält eine Investitionsplanung für erforderlich, die sich an der wirtschaftlichen Entwicklung orientieren soll, eine ...

SPIEGEL: ... wirtschaftliche Vorausschau, wie Sie es genannt haben?

ZINN: Genau das. Das liegt, auf Hessen bezogen, hier vor.

SPIEGEL: Wenn die SPD so etwas für gut und richtig hält, warum haben dann Ihre Parteifreunde, die in anderen Bundesländern in der Regierung sitzen, so etwas nicht gemacht?

ZINN: Das ist sehr schwer zu beantworten. Immerhin hat Hamburg jetzt einen mehrjährigen Finanzplan aufgestellt. Das ist ein erster Schritt.

SPIEGEL: Aber wenn Sie Ministerpräsident eines anderen Bundeslandes wären, dann hätten Sie...

ZINN: ... dasselbe gemacht wie hier in Hessen, sicher.

SPIEGEL: Sie haben das nie dem Landtag vorgelegt. Über den Hessenplan ist im Parlament weder diskutiert noch abgestimmt worden. Warum nicht?

ZINN: Weil dieser Plan kein Mehrjahreshaushalt ist. Es ist kein Plangesetz.

SPIEGEL: Setzt der Ministerpräsident Zinn durch, was er für richtig hält?

ZINN: Was er, seine Regierung, seine Landtagsfraktion und seine hessische Partei für richtig halten.

SPIEGEL: In dieser Reihenfolge?

ZINN: Da gibt es keine Reihenfolge.

SPIEGEL: Ihr Hessenplan soll 33 Milliarden Mark kosten, in zehn Jahren. Wer soll das bezahlen?

ZINN: 13,5 Milliarden entfallen auf das Land, 7,5 Milliarden auf die Gemeinden; zu einem Teil handelt es sich um Bundeszuschüsse, zum Beispiel für den Ausbau der Universitäten, im übrigen um Eigenleistungen, zum Beispiel von gemeinnützigen oder privaten Wohnungsbau-Trägern, die Landesbaudarlehen erhalten.

SPIEGEL: Wie haben Sie denn das ausgerechnet?

ZINN: Wir nehmen an, daß in Hessen das Sozialprodukt um 5,5 Prozent jährlich steigt. Wir haben dabei vorsichtig kalkuliert. In der Vergangenheit ist es stärker gestiegen, als der Hessenplan es für die Zukunft annimmt - aus dem Zuwachs des Sozialprodukts ist die Entwicklung der öffentlichen Einnahmen ermittelt worden.

SPIEGEL: Auch ohne Steuererhöhung?

ZINN: Ja, der Hessenplan setzt keine Steuererhöhungen voraus.

SPIEGEL: Wie wird Hessen aussehen an dem Tag, an dem gesagt werden kann, der Hessenplan ist erfüllt?

ZINN: Ich glaube, es wird dann erst recht ein Land sein, das als Modellfall für andere Länder und auch für die Bundesrepublik gelten kann.

SPIEGEL: Sowohl rot als auch gold?

ZINN: So sagt gelegentlich die hessische Presse.

SPIEGEL: Reizt es Sie, so etwas auch einmal in Bonn zu bewerkstelligen?

ZINN: Nein, nein, nein! Ich habe das Gefühl, daß Ich hier noch eine Aufgabe zu erfüllen habe, sie möchte ich auch zu Ende führen.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 13 / 80
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren