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DIPLOMATEN Tiger in Pension

aus DER SPIEGEL 40/1962

Er kam aus Zypern nach Berlin, residierte

dort nur fünfzehn Monate und ging 49jährig In Pension. Am Ende seiner diplomatischen Karriere stand die Erkenntnis: Berlin ist eine Reise wert, vielleicht eine Schlacht, einen Krieg keinesfalls.

Knapp zwei Wochen, nachdem der Gesandte Geoffrey Lyster McDermott auf Anraten des Foreign Office Mitte September seinen diplomatischen Dienst als stellvertretender britischer Stadtkommandant von Berlin quittiert hatte und in den Ruhestand übergewechselt war, veröffentlichte er diese Spree -Einsichten in der angesehenen Londoner Sonntagszeitung »Observer«.

Zugleich verkündete der pensionierte Gesandte Ihrer Majestät dort seinen eigenen Berlin-Plan, dessen wichtigste Punkte lauten:

- Anerkennung der DDR und der gegenwärtigen deutschen Grenzen;

- Trennung Westberlins vom Bund;

- Aufnahme aller drei deutschen

Staaten in die. Uno;

- Überprüfung der deutschen Lage erst wieder in etwa 20 Jahren.

McDermotts Plan setzte sich über die westlichen Berlin-Garantien, an die auch die britische Regierung gebunden ist, hinweg, als seien sie nie gegeben worden. Das erschreckte die Berliner. »BZ«-Kommentar: »Waschküche im Gehirn«.

Dennoch wies das britische Außenministerium entschieden die Vermutung zurück, politische Differenzen seien die Ursache für McDermotts plötzlichen Abschied. Als offizieller Grund wurde eine ernste Erkrankung der Frau des Diplomaten angegeben.

Klagte der CDU-orientierte Berliner »Kurier": »Man hätte annehmen dürfen, daß die Regierung in. London ein starkes Interesse daran habe, sich von McDermotts, politischen Ansichten zu distanzieren.«,

In Wahrheit mußte der Gesandte McDermott weder wegen der Leiden seiner Frau noch wegen mangelnden Mitleids mit den Berlinern seinen Abschied nehmen, sondern weil er sich für klüger hielt als seine Vorgesetzten und glaubte, sie unter Umgehung des Dienstweges überspielen zu können.

Der Ruf eines »äußerst talentierten... unkonventionellen Trouble-Shooters... mit dem man Tiger schießen kann«, ("Observer") war dem Diplomaten Mc-Dermott aus Zypern vorausgeeilt, als er im Juni 1961 sein Amt als Gesandter und Politberater des britischen Stadtkommandanten in Berlin antrat.

Schon in seinen ersten Spree-Tagen bemühte sich Tiger McDermott, diesen Ruf zur Legende auszuweiten: Vornehmlich seinem Verhandlungstalent, so der Gesandte zu Kollegen, sei die friedliche Lösung des Zypernkonflikts zu verdanken.

Der bedeutenden Rolle, die der Musterschüler aus Cambridge auch in Berlin spielen wollte, entsprach sein herrschaftlicher Wohnsitz. Aus zyprischer Zeit noch in Kolonial-Vorstellungen befangen, hatte McDermott abgelehnt, die geräumige Villa in der Griegstraße zu bewohnen, mit der sich sein Vorgänger begnügt hatte. Der Gesandte entschied sich für die ehemalige niederländische Gesandtschaft in der Grunewalder Gustav-Freytag-Straße.

Die Holländer hatten das mit einer Flucht von Sälen und Hallen ausgestattete Gebäude, das sie bis dahin als Gästehaus benutzt hatten, dem Briten unter einer Bedingung vermietet: Offizielle holländische Berlinbesucher müßten auf McDermotts Kosten anderweitig standesgemäß einquartiert werden.

McDermott sagte leichten Herzens zu: Die Miete für das Palais am Herthasee zahlte der Westberliner Senat aus Besatzungskosten. Die holländischen Offiziellen, die während der McDermott -Ära Berlin ansteuerten, wurden - ebenfalls auf Besatzungskosten - im Hilton-Hotel untergebracht.

Der Palais-Mieter gab unterdes laut »Observer« im Grunewald »Partys, wie nie, ein stellvertretender Stadtkommandant vor ihm«.

Für kultivierte Atmosphäre bei den diplomatischen Vergnügungen sorgte vornehmlich Frau McDermott, Erbin des britischen Marmelade-Konzerns Robertson. Sie erbarmte sich des darniederliegenden Westberliner Antiquitätenhandels und füllte die Prunkgemächer mit kostbaren Stücken.

Die dunkelhaarige, grünäugige, nervöse Lady trug stets schwarze Netzstrümpfe. Ihre biederen Westberliner Gäste fühlten sich bei ihrem Anblick an die attraktive Titelheldin des Films »I married a witch« ("Meine Frau - die Hexe") erinnert.

Daheim am niederländischen Kamin im Grunewald-Sitz philosophierte Geoffrey McDermott, wie er, zu seinem und zu Englands Ruhme, die Berlin-Krise lösen könne.

Für ebenbürtige Diskussionspartner hielt er neben Willy Brandt und General Clay nur die Spitzen der amerikanischen Mission.

Von seinen Landsleuten erwartete McDermott nichts: Stadtkommandant Generalmajor Sir Rohan Delacombe, formell der Vorgesetzte McDermotts, war ein altgedienter Troupier ohne politische Erfahrung. Ein von McDermott über die Berliner Intimitäten unterrichteter »Observer«-Kommentator nannte den General wegen seiner Reaktionsgeschwindigkeit »Jumbo«.

Der General mit dem Elefanten -Spitznamen fand nach Meinung Mc-Dermotts sein Bonner Pendant in Sir Christopher ("Kit") Steel, der die britische Regierung als Botschafter in Bonn vertritt und nominell als Hochkommissar zugleich oberster britischer Repräsentant im nicht-souveränen Westberlin ist.

Über die Sorglosigkeit, mit der Steel sich dem Berlin-Problem widmet, schrieb der »Observer": Der Botschafter »pflegte alle sechs Wochen einmal nach Berlin zu kommen und dort einen Teil seiner Zeit auf dem Golfplatz zu verbringen - eine Haltung, die man kaltblütig nannte«.

Der tatendurstige McDermott nahm nicht nur an der Trägheit seiner Landsleute in Berlin und in Bonn Anstoß, ihn dünkte auch die alliierte Kommandostruktur denkbar ungeeignet, auf sowjetische Pressionsmanöver rechtzeitig und wirksam zu reagieren: Vor jeder einzelnen Aktion müßten die alliierten Repräsentanten bei ihren Botschaftern in Bonn, bei den Außenministerien der drei Mächte und gelegentlich auch bei der Viermächte-Arbeitsgruppe in Washington rückfragen.

Wie langsam diese Maschinerie in Krisensituationen läuft, schilderte Mc-Dermott im »Observer« am Beispiel des 13. August 1961. Obwohl Ulbrichts Brigaden schon nach Mitternacht mit dem Mauerbau begonnen hatten, trat das Triumvirat der alliierten Militärs erst mehrere Stunden später zusammen. Nach einstündiger Beratung wurden Brandt und sein Team zitiert, um die Entscheidungen entgegenzunehmen.

Doch entschieden wurde nichts. Mc-Dermott: »Tatsächlich hatten die langen Beratungen der Kommandanten am 13. und 14. August kaum praktische Gegenmaßnahmen zur Folge.« Erst der direkte Appell Willy Brandts an Kennedy habe die erste sichtbare Gegendemonstration, den Besuch des US-Vizepräsidenten Johnson, ausgelöst.

Um wenigstens den englischen Teil der schwerfälligen Westberliner Kommandantura - McDermott: »ein häßlicher deutsch-russischer Wortbastard«

- beweglicher zu machen, entschied sich

der britische Politkommissar, hinfort direkt mit dem Londoner Foreign Office zu verhandeln.

Der vorgesetzte Kommandant und der nominell für Berlin zuständige Botschafter in Bonn wurden überspielt. Sir Kit am Rhein erhielt nur noch die Kopien der Ratschläge und Forderungen, mit denen der Tiger aus Zypern das Foreign Office überhäufte.

McDermott strauchelte im Dickicht der Berlin-Kompetenzen: Während seines Urlaubs im Juni 1962 schwärzte Delacombe gemeinsam mit Steel den unbequemen Untergebenen in London an. Noch im Urlaub erreichte McDermott die Nachricht, daß London ihn aus Berlin abberufen werde und ihm den Abschied nahelege.

Der Elefant hatte den Tiger vertrieben.

Abberufener Berlin-Diplomat McDermott

»Waschküche im Gehirn«

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