STEUERN Tiger ohne Biß
Für EU-Kommissar Mario Monti war das, was die Finanzminister der Europäischen Union vorige Woche beschlossen hatten, die »Krönung« (Monti) seiner bisherigen Tätigkeit in Brüssel.
Der italienische Wirtschaftsprofessor feierte eine Übereinkunft der Mitgliedstaaten, sich zukünftig bei der Besteuerung von Unternehmen nach einem Verhaltenskodex zu richten und darauf zu verzichten, mit immer neuen Steuerprivilegien den Nachbarn die Investoren und Steuerzahler abspenstig zu machen. »Ein historischer Durchbruch«, sagte Monti strahlend.
Der begeisterungsfähige Italiener sieht den Anfang vom Ende jener Zeit gekommen, da die EU-Mitglieder penibel auf ihre nationale Steuerhoheit pochten und jeden Anlauf der Brüsseler Kommission, Unternehmenssteuern europaweit anzugleichen oder die Belastung von Kapitalerträgen zu harmonisieren, mit ihrem Vetorecht in Steuersachen stoppten.
Doch was er und seine Kollegen am Montag der vergangenen Woche zustande gebracht haben, wird wenig ändern. Christa Randzio-Plath, SPD-Steuerfrau im Europäischen Parlament, kommentiert enttäuscht: »Ein Tiger ohne Biß.«
Es sind die Ausnahmen von der Regel, die den verabredeten Verhaltenskodex bestimmen. Er soll die Steuermaßnahmen eines EU-Mitgliedstaates, die für die anderen schädlich sind, beseitigen. Doch jedes Land hatte seine Bedenken, jeder war darauf bedacht, sich Schlupflöcher offenzuhalten, um sich der allgemeinen Verpflichtung entziehen zu können.
Innerhalb von fünf Jahren, so die Verabredung, sollen auf EU-Territorien bestehende Steuerparadiese geschlossen werden. Die Iren setzten eine Klausel durch, daß diese Frist verlängert werden kann - zum Beispiel für die Dublin Docks, die mit einem zehnprozentigen Körperschaftsteuersatz Investoren willkommen heißen.
Die Italiener wollen sich ihr Veto bei der noch ausstehenden Abstimmung nur verkneifen, wenn neben der Unternehmensbesteuerung auch gleichzeitig die Zinsbesteuerung europaweit geregelt wird.
Franzosen bestehen auf einer Zinssteuer von mindestens 25 Prozent, Großbritannien lehnt es ab, auch die Erträge von Eurobonds und ähnlichen Anlagen einer europaweiten Zinsbesteuerung zu unterwerfen.
Völlig ungeklärt blieb schließlich, wo die nach dem EU-Vertrag ohnehin rechtlich unverbindlichen Verabredungen über die Harmonisierung der Steuersysteme gelten sollen. Mitgliedsländer, die ihrerseits mit Gebieten verbunden sind, die nicht EU-Recht unterliegen, würden sich bemühen, so der vage Text, diese in den Kodex einzubeziehen - allerdings nur »im Rahmen ihrer Verfassungen«.
Und da werden sich wohl besonders die Briten schwertun. Denn die feinsten Steueroasen in Europa und sonstwo auf der Welt hält die britische Königin bereit.
Auf der Isle of Man werden weiterhin Versicherungen ihre Geschäfte mit sogenannten Exempt companies - eine Spezialität der Insel in der Irischen See - steuerfrei abwickeln. Auch die rund 30 000 Gesellschaften, die in der Kronkolonie Gibraltar off-shore günstiges Mittelmeerklima genießen, wird der Kodex nicht sonderlich stören.
Bei aller Kritik am weltweiten Steuerdumping - der Erfolg von Steueroasen hängt vor allem vom Steuersystem daheim ab. Wenn Deutsche bis zu 60 Prozent von ihrem Einkommen an den Staat abliefern müßten, wenn ein Arbeitnehmer mit einem Durchschnittseinkommen von 50 000 Mark im Jahr fast die Hälfte davon nur als Durchlaufposten auf seinem Konto zu sehen bekomme, dann, so »Business Week«, sei es nicht verwunderlich, daß Deutschland sich zu einer »Nation von Steuertricksern« entwickle.
Nach der Opfertheorie, einer der drei Lehren, mit deren Hilfe Finanzwissenschaftler den Steuerzwang des Staates rechtfertigen, finanziert der Bürger entsprechend seiner Leistungsfähigkeit Gemeinschaftsaufgaben und die Existenz seines Staatswesens. Doch die Entwicklung der Steuerstruktur geht in die entgegengesetzte Richtung: Steuerbelastung nach Leistungsfähigkeit findet immer seltener statt.
In Europa insgesamt, aber vor allem in Deutschland, geht die Steuerbelastung des Kapitals ständig zurück, während als Ausgleich die Immobilie und an der Basis besteuerte Arbeit zunehmend belastet wird - mit fatalen Folgen für den Arbeitsmarkt.
Ein europaweiter Anstieg der Besteuerung der Arbeit in den vergangenen Jahren um 9,4 Prozentpunkte, so das Ergebnis einer Analyse der Weltbank, sei für vier der elf Prozent Arbeitslosigkeit verantwortlich.
Noch ist der Trend in Europa, das Kapital zu entlasten und sich dafür bei den Lohneinkommen schadlos zu halten, nach einer neuen Monti-Untersuchung ungebrochen. Steuervermeidung und vor allem auch der Versuch der Finanzminister, mit immer neuen Steuervergünstigungen Wirtschaftspolitik zu machen, lassen die Steuerbasis für Unternehmen und Kapital weiter schrumpfen.
Und daran wird auch der löchrige Verhaltenskodex der EU-Finanzminister nichts ändern.