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ENGLAND / EDEN-MEMOIREN Tigerjagd

aus DER SPIEGEL 5/1960

Eine Auflagesteigerung von 50 000 Exemplaren konnte jüngst die Londoner »Times« verzeichnen, weil sie einem Mann das Wort erteilt hat, dessen Name seit einigen Jahren die antiamerikanischen Instinkte des britischen Durchschnittsbürgers aufstachelt: In der »Times« veröffentlicht zur Zeit Sir Anthony Eden seine Memoiren, jener konservative Premierminister Großbritanniens, dessen unglückselige Suez-Aktion Ende 1956 an dem Veto Amerikas zerschellte.

Zwei Jahre nach seinem selbstquälerischen Rücktritt hat Sir Anthony Eden es unternommen, mit seinem amerikanischen Verbündeten abzurechnen. Seine Hauptthese läuft darauf hinaus, daß Amerika nur selten auf die Interessen seiner Verbündeten Rücksicht genommen und dabei wiederholt die Gefahr eines dritten Weltkrieges heraufbeschworen habe, die nur dank der diplomatischen Kunst Sir Anthonys abgewendet worden sei.

Anthony Eden ist freilich vorsichtig genug, die amerikanische Außenpolitik der letzten Jahre nicht pauschal abzuurteilen. So lobt er beispielsweise den letzten Außenminister der Truman-Administration, Dean Acheson, »der keinen Augenblick vergaß, was man einem Verbündeten schuldig ist«. Schmeichelt der einstige Premierminister: »Ich hätte niemals gezögert, mit ihm auf eine Tigerjagd zu gehen.«

Das freundliche Acheson-Porträt dient dem Privathistoriker Eden jedoch nur dazu, das Auftreten des Bösewichts dramaturgisch gut vorzubereiten: des Acheson-Nachfolgers John Foster Dulles, an dessen starrem Nein nicht nur das Suez-Abenteuer, sondern auch die glänzende Karriere Sir Anthony Edens scheiterte. Eden vermißt denn auch an seinem damaligen Partner nahezu alles, was er an Acheson gerühmt hatte.

Lamentiert der Ex-Premier: »Meine ganzen Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit mit Dulles lagen darin, zu erkunden, was Dulles denn nun eigentlich meinte und welche Bedeutung er seinen eigenen Worten und Taten beimaß. Die Konsequenzen dieser Ungewißheit waren verhängnisvoll für Großbritannien.« Die zuweilen bombastische Rhetorik des verstorbenen US-Außenministers irritierte Eden besonders, denn »Dulles kümmerte sich wenig um die Folgen seiner Worte, wie etwa sein Ausbruch gegen den Kolonialismus während einer kritischen Phase des Suez-Dramas demonstrierte«.

Dem einstigen Regierungschef erscheint John Foster Dulles als ein Politiker, der allzu leichtfertig mit Worten umging. Spottet Eden: »Ich hatte nichts gegen starke amerikanische Worte, aber ich wollte immer sichergehen, daß sie bedeuteten, was sie zu sagen schienen.«

Wie wenig dem amerikanischen Außenminister die zuweilen geschmeidigere Politik des Diplomaten Eden behagte, demonstriert der Ex-Premier am Beispiel des indochinesischen Waffenstillstands im Hochsommer 1954, der laut Eden gegen den Widerstand Amerikas zustande gekommen ist. In der Tat beansprucht Anthony Eden - wenn auch unausgesprochen - das Verdienst, durch seine diplomatische Vermittlung einen dritten Weltkrieg verhindert zu haben.

Die Geschichte des indochinesischen Waffenstillstands begann im April 1954, als sich die Katastrophe der Dschungelfestung Dien-bien-fu und damit auch die französische Niederlage in Indochina abzeichnete.

In dieser Lage schlug Außenminister Dulles vor, alliierte Streitkräfte sollten in den indochinesischen Bürgerkrieg eingreifen und Dien-bien-fu entsetzen, wobei er freilich offenließ, ob sich Großbritannien, an der Aktion militärisch oder nur moralisch beteiligen sollte. Zugleich deutete Washington an, die Vereinigten Staaten planten auch eine Blockade oder eine Bombardierung Chinas, falls Peking die kommunistischen Partisanen in Indochina weiterhin unterstütze.

Großbritanniens damaliger Außenminister Anthony Eden, der später in der Suez -Krise sehr wohl an das Allheilmittel kriegerischer Lösungen glaubte, lehnte indes die Vorschläge aus Washington rundweg ab. Ihm schwebte die Teilung Indochinas zwischen Kommunisten und Antikommunisten vor - eine diplomatische Lösung des Indochinakonflikts, die Eden auf der bevorstehenden Genfer Konferenz mit Rotchina und der Sowjet-Union zu erreichen hoffte.

Dem amerikanischen Außenminister, der im Gegensatz zu Eden an einen militärischen Erfolg noch glaubte, bedeutete der Brite, daß Indochina nicht mehr die Knochen eines einzigen Tommys wert sei. Die von Washington erwogene Militäraktion gegen China, so schrieb Eden in einem Memorandum, werde »China allen Anlaß geben, das chinesisch-sowjetische Bündnis anzurufen, und das könnte zu einem Weltkrieg führen«.

Doch Dulles gab nicht nach. Als die Verhandlungen mit dem Osten in Genf längst begonnen hatten und eine Lösung des Indochinakonflikts möglich schien, störte der US-Außenminister immer wieder die Vermittlungsaktion der Briten, wobei er auch die wahrheitswidrige Behauptung verbreitet haben soll, england habe bereits einer westlichen Militäraktion in Indochina zugestimmt. Eden: »Ich aber war entschlossen, auf keinen Fall um der alliierten Einigkeit willen eine schlechte Politik zu billigen.«

Premierminister Churchill, so weiß sein Nachfolger zu berichten, habe das Drängen von Dulles auf eine drastische Formel gebracht: Dulles wolle mit Hilfe der Briten »den (kriegsunwilligen) Kongreß Amerikas irreführen«, indem er nämlich von dem Kongreß Vollmachten für einen örtlichen Krieg verlangt und ihm dabei verheimlicht, daß der Westen den Kampf in Indochina nicht gewinnen könne und einen Weltkrieg riskiere.

Die Enthüllungen des späteren Suez -Bankrotteurs Eden in der »Times« hatten den gewünschten Erfolg: Sie zwangen der amerikanischen Regierung eine Verteidigungsstellung auf, in der Washington nichts anderes übrigblieb, als die Darstellung Edens zu bagatellisieren oder aber Amerikas großen Außenminister zu desavouieren. Präsident Eisenhower behalf sich auf einer Pressekonferenz in der vorvergangenen Woche mit der fadendünnen Erklärung, Eden habe wohl damals nicht bedacht, daß Dulles nur die östlichen Gegner habe bluffen wollen, um die westliche Verhandlungsposition in Genf zu stärken.

Dozierte Ike: »Außenminister Dulles war eine sehr starke Persönlichkeit. Er war imstande, Möglichkeiten anzudeuten, die von manchen Leuten als Vorschläge (der US-Regierung) betrachtet werden konnten, obwohl sie durchaus nicht so gemeint waren. Dabei war es nur seine Absicht, Ideen zu entwickeln.« Und feierlich fügte der Präsident hinzu: »Es hat nie einen Plan gegeben für den Fall, von dem wir hier sprechen.«

Eisenhowers Kommentar war jedoch wenig durchdacht, denn er ließ drei Deutungen zu, die für Amerika gleichermaßen peinlich sein müssen:

- Dulles wollte mit seinen Interventionsvorschlägen nicht nur seine Gegner in Moskau und Peking, sondern auch seinen Verbündeten in London bluffen.

- Dulles plante tatsächlich eine Intervention, unterrichtete jedoch seinen Präsidenten nicht davon.

- Eisenhower hat den Interventionsplan sehr wohl gekannt, zieht es jedoch angesichts der neuen Entspannungspolitik Amerikas vor, sich nicht mehr an das Projekt zu erinnern.

Die amerikanische Öffentlichkeit war denn auch keineswegs bereit, Eisenhowers »außergewöhnliche Beschönigung« - so die Londoner »Times« - widerspruchslos zu akzeptieren. Der diplomatische Korrespondent der angesehenen »Washington Post«, Chalmers Roberts, behauptete, es habe sehr wohl einen amerikanischen Interventionsplan gegeben.

Enthüllte Roberts: »Es gab einen Plan, der von Präsident Eisenhower im März 1954 auf einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates gebilligt wurde und der ein militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten in den Indochinakrieg vorsah. Er wurde allerdings von gewissen Voraussetzungen abhängig gemacht. Eisenhower stellte die Bedingung, es müsse ein alliiertes Unternehmen sein und vom Kongreß gebilligt werden.«

Chalmers Roberts bestätigte damit indirekt, daß Anthony Eden damals zusammen mit den kriegsunlustigen Kongreßabgeordneten Amerikas die sinnlose Verlängerung des Indochinakrieges verhinderte. Die Briten jedenfalls sind geneigt, den Memoirenschreiber Eden für einen Retter des Weltfriedens zu halten. »Was für ein seltsamer Mann«, ereiferte sich selbst der kritische »News Chronicle«. »Man vergißt leicht, daß der verzweifelte Suez-Premier auch der extrem vorsichtige Außenminister war, der fast ganz allein Dulles davon abbrachte, uns alle in einten Krieg zu verwickeln.«

Dulles-Kritiker Eden

Außergewöhnliche Beschönigungen

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