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ITALIEN Tina gab alles zu

aus DER SPIEGEL 8/1950

Sichtlich erleichtert stieg Albertina Crico in London aus dem Flugzeug: »Ich mußte der Volkswut in Rom entfliehen!« Am Tage vorher war in London bekanntgeworden, daß ein italienischer General durch sie sein Leben verlor. »Die Spionin Tina kam zurück«, schrieb »Daily Herald«.

Die Italienerin mit den kupferroten Haaren und den stahlblauen Augen hat aufregende Stunden hinter sich. Eine römische Nachmittagszeitung brachte als erste die Nachricht: »Unter uns lebt die Frau, die den General Bellomo vor das englische Hinrichtungskommando brachte!« Am Abend sprach bereits die ganze Stadt davon. Eine Menschenmenge rottete sich drohend vor Tinas Wohnung zusammen.

Am nächsten Morgen fehlte Tina auf ihrem Arbeitsplatz in einer römischen Bank. Die britische Botschaft hatte ihr eiligste Flucht nach London empfohlen. Zwar hätten ihr italienische Behörden als vom Friedensvertrag geschützter alliierter Agentin nichts anhaben können. Aber die wütenden Menschen vor ihrer Wohnung schienen sich nicht an den Friedensvertrag gebunden zu fühlen.

Durch einen Zufall war Tinas Geheimnis ans Tageslicht gekommen. Ihr vorletzter Mann, ein ehemaliger britischer FSS-Offizier, lüftete es in London, als er wegen Bigamie vor Gericht stand. Kaum zwei Tage später platzte in Rom die Pressebombe. Kurz vor ihrer Flucht gab Tina alles zu.

Von 1938 bis 1943 lebte die Halbjüdin in England. Als Agentin landete sie mit den alliierten Truppen in Sizilien. In Bari wurde sie eine der wertvollsten Hilfskräfte des britischen Kommandanten. Eines Morgens, im Spätherbst 1943, hörte sie beim Friseur, wie man sich über den General Bellomo unterhielt, der damals noch italienischer Kommandant von Bari war. »Jetzt geht er bei den Engländern aus und ein«, sagte der Friseur, »einst aber hat er ihre Gefangenen malträtiert und einige von ihnen erschossen«.

Tina spitzte die Ohren. Sie gab sich und ihren Vorgesetzten keine Ruhe, bis alles Belastungsmaterial zusammengetragen war. Anfang Januar 1944 wurde General Bellomo verhaftet. Vom 23. bis zum 28. Juli 1945 fand vor einem britischen Militärgericht in Bari der Prozeß gegen ihn statt. Er war der erste Kriegsverbrecherprozeß überhaupt. Am 11. September 1945 wurde der General auf der Insel Nisida erschossen. Er hatte sich geweigert, Feldmarschall Alexander um Gnade zu bitten.

Völlig konnten damals auch die britischen Richter, unter ihnen der später in Nürnberg bekannt gewordene Judge Advocate Stirling, die Ereignisse des 30. November 1941 nicht klären. Einiges Dunkel liegt noch heute über ihnen.

Zwei britische Offiziere, Captain Playne und Lieutenant Cook, waren 1941 aus dem Kriegsgefangenenlager Torre Tresca bei Bari entflohen. Wenige Stunden später waren sie bereits wieder eingefangen. Am selben Abend kam General Bellomo in das ihm unterstehende Lager. Er schäumte vor Wut über das Versagen der Wachtposten.

Der General ließ sich die beiden Engländer vorführen und befahl ihnen, ihm an Ort und Stelle vorzumachen, wie sie ihre waghalsige Flucht bewerkstelligt hätten. Die Gefangenen gehorchten und ergriffen erneut die Gelegenheit. Aus der nachgeahmten Flucht wurde Ernst. Der General befahl »Feuer!« Der Captain sank tödlich getroffen, der Lieutenant schwer verwundet zu Boden.

Unklar blieb auch während des Prozesses, ob den beiden Gefangenen bei ihrer Flucht die Hände auf dem Rücken zusammengebunden waren. Dann wären sie nicht weit gekommen, und es hätte Bellomos Schießbefehls nicht bedurft. Der General blieb bei seiner Aussage. Wenn die Hände wirklich zusammengebunden gewesen seien, so habe er das jedenfalls infolge der Dunkelheit und seiner starken Erregung nicht bemerkt.

Die italienische Regierung war damals zu schwach, um gegen das Todesurteil Berufung einlegen zu können. Es nützte Bellomo nichts, daß er bereits vor Jahren durch ein italienisches Militärgericht freigesprochen worden war.

Auf Nisida streuten seine Witwe und seine drei Kinder Blumen über die noch warme Leiche. Bellomo blieb Italiens einziger als Kriegsverbrecher hingerichteter General.

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