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Afrika Tod der Väter

Mit Somalias Präsident Siad Barre stürzte einer der dienstältesten Tyrannen Afrikas - Demokratisierung auch auf dem Schwarzen Kontinent?
aus DER SPIEGEL 6/1991

Wenn ich zur Hölle muß, dann gehen wir alle zusammen«, hatte Somalias Diktator Siad Barre seinem Volk mitten im Bürgerkrieg gedroht. Der lange blutige Abschied des greisen Despoten kostete Tausende das Leben. Siad Barre entkam in letzter Minute, kurz vor der Erstürmung seines Präsidentenpalastes Villa Somalia durch die Rebellen. Mit einer Handvoll Getreuer setzte er sich in gepanzerten Wagen aus der verwüsteten Hauptstadt Mogadischu in Richtung Kenia ab; mit Barres Flucht ging nach 21 Jahren die Herrschaft eines der dienstältesten und blutigsten Tyrannen Afrikas zu Ende - ein weiteres Hoffnungszeichen für den geschundenen Kontinent, auf dem seit zwei Jahren ein autoritäres Regime nach dem anderen fällt. Zwei gewalttätige Diktatoren verschwanden (in Liberia und Somalia); in zwei weiteren Ländern stellten sich altgediente Autokraten (Omar Bongo in Gabun und Felix Houphouet-Boigny an der Elfenbeinküste) demokratischen Wahlen. Zwar besiegten beide ihre Herausforderer, doch ihre bis dahin unumstrittene Alleinherrschaft war erstmals an Schranken gestoßen.

In Sao Tome und auf den Kapverdischen Inseln wählte die Bevölkerung die seit der Unabhängigkeit regierenden Einheitsparteien ab. So unterschiedliche Länder wie Zaire, Malawi, Sambia und die bisher marxistisch orientierten Staaten Angola, Mosambik und Benin versprachen, ein Mehrparteiensystem einzuführen.

Hat die Stunde der starken alten Männer Afrikas geschlagen, die sich nach dem Ende der Kolonialzeit oft jahrzehntelang als »Väter der Nation« feiern ließen, in Wirklichkeit aber ihre Völker meist ausplünderten und ihre Staaten durch Mißwirtschaft, Korruption und Nepotismus herunterwirtschafteten? Viele Afrikaner verfolgten fasziniert, wie im Ostblock ein diktatorisches Regime nach dem anderen zusammenbrach. »Wir sind genauso fähig und intelligent wie die Völker Osteuropas«, riefen auf Flugblättern Studenten in Abidjan zu Demonstrationen für die Demokratie auf.

Das Ende des Kalten Kriegs beschleunigte auch den Fall afrikanischer Potentaten. Seit sich die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion keine Konkurrenzkämpfe um die Gunst ihrer afrikanischen Verbündeten mehr liefern, können Diktatoren wie Zaires Mobutu oder Malawis Banda nicht mehr auf die blinde Solidarität des jeweiligen großen Bruders hoffen.

Das mußte auch Siad Barre erfahren, der es geschickt verstanden hatte, die Rivalität der Supermächte - zuerst war er treuer Satellit Moskaus, dann ergebener Vasall Washingtons - für sein strategisch wichtiges Land am Horn von Afrika auszunutzen.

Doch noch bedeutet der Fall des Tyrannen von Mogadischu (den die Bild-Zeitung seit der Geiselbefreiung von Mogadischu 1977 als »Freund der Deutschen« pries) nicht, daß nun für sechs Millionen Somalier demokratische Verhältnisse ausbrechen werden. Vielmehr zeichneten sich schlimme Parallelen zum Ende des Diktators Samuel Doe im westafrikanischen Liberia ab: Obgleich es für ihn kein Entrinnen gab, verlängerte Barre wie Doe das Blutvergießen, indem er sich wochenlang verschanzte. Wie in Liberia, wo nach dem Tod des Tyrannen zwei rivalisierende Rebellengruppen übereinander herfielen und an den Doe-Gefolgsleuten grausame Rache nahmen, kämpften auch in Somalia verschiedene Widerstandsorganisationen, die nur der Krieg gegen den Diktator einte.

Die drei wichtigsten Befreiungsbewegungen werden von unterschiedlichen Stämmen beherrscht - den Issas bei der Somalischen Nationalbewegung, den Hawiye beim Vereinigten Somalischen Kongreß, den Ogadeni bei der Somalischen Patriotischen Bewegung.

Siad Barre hatte sich auch deshalb so lange an der Macht gehalten, weil er - selber Angehöriger eines Minderheitenclans - rivalisierende Stämme gegeneinander ausspielte, eine Taktik, die viele Politiker in Afrika geschickt beherrschen.

Die Gegner eines Parteienpluralismus, wie Kenias Präsident Daniel arap Moi oder Sambias Kenneth Kaunda, warnen deshalb vor der Gefahr des Tribalismus, die hinter der Demokratisierung lauere: Parteien in Afrika pflegen sich weniger nach politischen Programmen als nach Stammeszugehörigkeit zu bilden. Mehrparteiensysteme könnten deshalb die nach dem Ende der Kolonialzeit mühsam errungene staatliche Einheit gefährden.

In Somalia riefen die Rebellengruppen zur nationalen Versöhnung auf, ein Runder Tisch soll eine neue Verfassung ausarbeiten. Der neue Präsident, Ali Mahdi Mohammed, kündigte freie Wahlen an und appellierte an die Welt, beim Wiederaufbau der zerstörten Wirtschaft zu helfen.

Die westlichen Geberländer knüpfen wirtschaftliche Hilfe für die Dritte Welt mehr und mehr an strenge politische Auflagen, etwa an die Einführung eines Mehrparteiensystems. »Repressive Regierungen mit korrupten Bürokratien und verschwenderischen und diskreditierten Wirtschaftssystemen«, so hatte der britische Außenminister Douglas Hurd bereits im vergangenen Jahr gewarnt, »können nicht von uns erwarten, daß wir ihre Verrücktheit mit den knappen Entwicklungsressourcen unterstützen, die anderswo besser verwendet werden könnten.«

Viele Afrikaner geben der Demokratie auf ihrem Kontinent nur dann eine Chance, wenn die katastrophale Wirtschaftslage des im Elend versinkenden Kontinents verbessert wird. »Wir sind alle für Demokratie«, so der Generalsekretär der Organisation Afrikanischer Einheit, Salim Ahmed Salim, »doch auch die Demokratie kann die Preise unserer Exportwaren - Kaffee, Tee, Kakao - nicht anheben.« o

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