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OBERLÄNDER Tod im Ausschuß

aus DER SPIEGEL 17/1960

Erstmals nach einem Jahrzehnt widerspruchslos erduldeter Kanzler-Herrschaft über das Bonner Kabinett und die westdeutsche Staatspartei muß innerhalb der nächsten zwei Wochen ein CDUMinister wider den Willen des Kanzlers gehen - und zwar nur deshalb, weil dieser Minister zu Adenauers Betrübnis unter dem Druck der eigenen Parteifreunde zusammenbrach.

Solange die Öffentlichkeit in aller Welt den Sturz des NS-behafteten Bundesvertriebenenministers Theodor Oberländer begehrte, steifte Adenauer dem Attackierten das Sitzfleisch: »Natürlich war Herr Oberländer tiefbraun gewesen ... Aber ich habe mich von Anfang an instinktiv dagegen gewehrt, der SED nachzugeben, ihretwegen gegen ihn etwas zu tun.« Auch nur den Gedanken an eine Demission des Ministers wies der Kanzler weit von sich.

Theodor Oberländer zeigte sich diesem Beharrungsvermögen seines Herrn nicht

gewachsen. Seit Donnerstag vergangener Woche in Urlaub, hat er sich von seinen CDU-Kameraden breitschlagen lassen, auf die Rückkehr ins Ministeramt ein für allemal zu verzichten. Grund: »Der Herr Oberländer war eben mit den Nerven so herunter, daß er müde wurde.« So Konrad Adenauer am Dienstag letzter Woche.

Den entscheidenden Stoß, der den zäh dahinschleichenden Prozeß der moralischen Aufweichung Oberländers schließlich beschleunigte, hatten die Sozialdemokraten geführt, denen am Dienstag vorletzter Woche endlich das einfiel, was man Monate vorher schon von ihnen hätte erwarten dürfen. Die Bonner SPD-Spitze erinnerte sich des Grundgesetzartikels 44, nach dem der Bundestag »auf Antrag eines Viertels seiner Mitglieder die Pflicht (hat), einen Untersuchungsausschuß einzusetzen, der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt«. Also legte die SPD-Fraktion im Bundestag den Antrag vor, Oberländers politische Vergangenheit zwischen 1933 und 1945 durch einen Untersuchungsausschuß prüfen zu lassen.

Zwar war es durchaus fraglich, ob dieses Beweisthema - nämlich die politische Überzeugung und das politische Verhalten eines Parlamentariers - einer ordentlichen Beweiserhebung überhaupt zugänglich ist. Meinte der SPD-Fraktionsgeschäftsführer Menzel, ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß könne, »wenn er es so will«, selbst »das Seelenleben eines Maikäfers durchleuchten«, wogegen der SPD-Kronjurist Arndt anführte, daß ein Ausschuß des Parlaments nicht über die Politik eines Parlamentariers rechten dürfe.

Gleichwohl aber erkannte die CDUFraktion im Antrag der SPD ein Spaltmittel, dazu angetan, die Christdemokraten für oder gegen Oberländer auseinanderzubringen. Um dieser Gefahr des christdemokratischen Bruderstreits zu begegnen, bestellte Adenauer seinen Oberländer für den Mittwochmorgen der vorletzten Woche zum Rapport. In der eigenen Fraktion, so warnte der Kanzler den Minister, gebe es Leute, die für Rücktritt plädierten: »Sprechen Sie mal mit Herrn Krone darüber.«

Eine Stunde später palaverten Fraktionschef ("Papa") Heinrich Krone und CDU-Jurist Karl Weber aus Koblenz mit Oberländer und dessen Staatssekretär Nahm im Bundeshaus, wie man den Ärger, den der Untersuchungsausschuß zu machen drohe, und das zu erwartende Schisma der Fraktion am besten vermeiden könnte. Die vier einigten sich, Oberländer solle, solange der Untersuchungsausschuß amtiere, in den Jahresurlaub retirieren. Das Wort Rücktritt fiel nicht.

Am Abend desselben Tages informierten Minister Oberländer und Staatssekretär Nahm den Kanzler in der Gesellschaft Krones über das vormittags vereinbarte Urlaubs-Arrangement. Adenauer erklärte sich einverstanden. Von Rücktritt war wiederum nicht die Rede.

Zwölf Uhr mittags am nächsten Tage, dem Donnerstag vorletzter Woche, setzte sich der CDU-Fraktionsvorstand zusammen. Adenauer berichtete über Oberländers Urlaubslösung vom Vortage. Ein Rücktritt des Ministers »Knall auf Fall«, stellte der Kanzler kategorisch fest, komme nicht in Betracht; die CDU dürfe sich nicht zum Hilfsorgan der kommunistischen Propaganda machen lassen.

Stundenlang hielten drei Christdemokraten, die Rechtsexperten Hoogen und Schmidt-Wuppertal sowie Fraktions-Geschäftsführer Rasner, am Abend dieses Tages die fünf Sozialdemokraten Erler, Arndt, Menzel, Wittrock und Jahn mit langwierigem akademischem Geplänkel über die Rechtmäßigkeit des Beweisthemas für den Oberländer-Untersuchungsausschuß zum besten. Erst als die SPD-Repräsentanten Ermüdungserscheinungen zu erkennen gaben, schlug das CDU-Team ernsthaftere Töne an: Ob die SPD auf dem

Untersuchungsausschuß bestehe, falls Oberländer zurücktrete. Eine derart formlose Erklärung, so entgegneten die

Sozialdemokraten, werde ihnen nicht

genügen. Die Christdemokraten schützten fehlende Vollmachten ihres Fraktionsvorstands vor und versprachen, nach kurzer Beratung wiederzukommen.

Nach der Pause ließen die CDU-Abgeordneten die Katze vollends aus dem Sack: Das Beweisthema für den Untersuchungsausschuß interessiere sie überhaupt nicht mehr, sie suchten jetzt »eine politische Lösung«. Oberländer müsse demissionieren, bis Freitag früh werde der Rücktritt perfekt sein. Schmidt-Wuppertal: »Und wenn ich die ganze Nacht auf ihn einreden soll, ich werde es ihm schon beibringen.«

Schmidt fuhr tatsächlich alsbald in die Bonner Luisenstraße 6 in Oberländers Wohnung. Aber auch er konnte den Minister nicht zum Rücktritt überreden.

Am nächsten Tag, dem Freitag vorletzter Woche, früh gegen neun, herrschte im Deutschen Bundestag allgemeine Verlegenheit. Der amtierende CSU-Parlamentspräsident Jaeger rief die Frage des FDP-Abgeordneten Rademacher auf: »Ich frage den Herrn Bundesvertriebenenminister unter Bezugnahme auf Seite 348 Amtliches Handbuch des Deutschen Bundestages. Wann und durch welche Instanz wurden Sie 1943 zum Tode verurteilt, und wann und durch welche Instanz wurde diese Todesstrafe aufgehoben?«

Oberländer: »Nach meinen Tagebuchaufzeichnungen wurde ich am 10. November 1943 aus der Wehrmacht entlassen. Am 16. November 1943 abends teilte mir der Chef des SD Böhmen und Mähren, Karl Hermann Frank, mit, daß ich zum Tode verurteilt sei und sich der Erschießungsbefehl, von Himmler unterschrieben, in seinem Schreibtisch befinde. Er habe eine Denkschrift von mir gelesen und werde sich dafür einsetzen, daß dieses Urteil aufgehoben werde. Am 18. Januar 1944, 13 Uhr, eröffnete mir Karl Hermann Frank, Himmler sei in Prag gewesen und habe das Urteil aufgehoben.«

Vizepräsident Jaeger: »Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Rademacher.«

Rademacher: »Herr Minister, da Sie im Handbuch des Bundestages ausdrücklich sagen 1943 ... zum Tode verurteilt, es aber in Ihrem Entnazifizierungsbescheid, den Sie uns, glaube ich, haben zugehen lassen, ausdrücklich heißt: der erwogenen KZ- und Todesstrafe, darf ich Sie fragen: Ist dieser Unterschied nicht derart eklatant, daß man in Ihren Angaben im Handbuch des Deutschen Bundestages eine erhebliche Irreführung der öffentlichen Meinung sehen muß?«

Oberländer: »Bis zur Denazifizierung am 6. Dezember 1947 in der amerikanischen Zone standen mir wichtige Zeugen für diese Tatsache im Gegensatz zu heute nicht zur Verfügung. Deswegen habe ich damals diesen Punkt bei dem Spruchkammer-Verfahren nicht erwähnen können.«

Jaeger: »Die Frage ist erledigt.«

Rademacher: »Ja, ich verzichte bewußt auf eine weitere Frage, da die Antwort für sich selbst spricht.«

Die Geschichte dieses Todesurteils ist in der Tat bislang so verwirrend vielfältig dargeboten worden, daß FDPRademachers Frage allein deshalb mehr als plausibel erscheinen muß.

Im »Amtlichen Handbuch des Deutschen Bundestages« steht laut Oberländers eigenem Zeugnis: »Februar 1943 wegen Eintretens für eine humane Behandlung der Zivilbevölkerung in den besetzten Ostgebieten aus der Wehrmacht entlassen und zum Tode verurteilt. Stadtarrest in Prag.«

In Oberländers Denazifizierungsbescheid vom Dezember 1947 war das beinahe tödliche Ereignis erheblich ausführlicher, wenn auch keineswegs präziser beschrieben worden: »Seine paneuropäischen Gedanken und sein oppositionelles Treiben wurden Gegenstand von Erörterungen hinsichtlich der gegen

ihn erwogenen KZ-Haft und Todesstrafe (Fernschreiben Koch/Himmler, vergl. Erklärung der Telephonistin Hilde Korn). Nach mehreren und längeren Interventionen wurde von der Einlieferung des Betroffenen in ein KZ und der beantragten Erschießung Abstand genommen. Er wurde unter Bewährungsfrist zu Stadtarrest begnadigt, nach Prag beordert und unter Polizeiaufsicht gestellt« (Zeugnis Herta Hein vom 21. 1. 1947).

Für diesen dramatischen, am Ende glücklichen Weg, den das Schicksal des Prager Universitätsprofessors Oberländer zu Großdeutschlands größter Zeit nahm, ist mittlerweile eine Serie von Zeugen präsentiert worden - und zwar in der Broschüre »Die Hintergründe des Falles Oberländer«, zu dessen Verfasser-Team auch Artur von Machui zählt, der in NS-Zeiten Oberländers völkische Artikel redigiert hatte und im Jahre 1949

wegen satzungswidriger Ostkontakte aus der SPD ausgeschlossen wurde.

In der mit Machuis Hilfe erstellten Persil-Schrift für Oberländer werden die Gefahren, die Oberländer im Dritten Reich drohten, so bezeugt: »Ein damaliger Schreiber des KZ Sachsenhausen, Joop Zwart, hat neuerdings berichtet und sich als Zeuge zur Verfügung gestellt, daß eine 'Akte Professor Oberländer' zu jenem Zeitpunkt dort schon als Voranmeldung für die alsbaldige Einlieferung des Mannes von der zentralen Leitung des SD eingegangen sei.«

Dieser Zeuge Zwart, der nun als Bonner Korrespondent die holländische Zeitschrift »Elsevier's Weekblad« vertreten will, ist freilich eben jener Holländer, der sich schon als Sekretär des »Internationalen Untersuchungsausschusses Lemberg 1941« unberufen um Oberländer Verdienste erworben hat, die niemand honorieren will (SPIEGEL 1-2/1960).

Der avisierte KZ-Anwärter Oberländer jedenfalls kam nie in Sachsenhausen an. Grund: »Inzwischen ... muß der Reichsführer SS Heinrich Himmler den KZ-Verbringungsbefehl gegen Professor Oberländer in einen Erschießungsbefehl umgewandelt haben.«

Der Würzburger, damals Prager Professor Hermann Raschhofer - seinerzeit fanatischer Propagandist des Hitlerschen Imperialismus - hat nämlich dem Kollegen Oberländer kürzlich erst erzählt, »Reichskommissar K. H. Frank habe ihn (Raschhofer) damals klipp und klar wissen lassen, es gehe um den Kopf Professor Oberländers«.

Ein zweiter Volkstumspolitiker nationalsozialistischen Schlages, Dr. Friedrich Heiss, wird in dem Pro-Oberländer-Pamphlet sogar als Zeuge für dessen eigene antifaschistische Meriten angeboten: »Ich wurde nämlich von dem persönlichen Referenten des Reichskommissars und vom Führer des Prager SD wegen meines Eintretens für Oberländer scharf angegriffen. Ob ich nicht wüßte, daß der Reichsführer SS ein Sonderverfahren zur Erledigung Oberländers angeordnet habe? Oberländer hätte sich wie ein Verräter benommen, er müßte an die Wand gestellt werden.«

Und schließlich muß ein gewisser von Zepussnig, Major a. D., der zugleich mit Himmler und Oberländer Bekanntschaft pflegte, als Zeuge für Oberländers Todesnähe herhalten. Anfang 1947 schrieb dieser Major, um Oberländer über die Denazifizierungshürde hinwegzuhelfen: In zwei Briefen, die mir der Reichsführer ... schrieb, äußerte er sich ... in besonders abfälliger Weise über Oberländer. Unter anderem schrieb er wörtlich: ,Oberländer ist ein ganz übler Bursche, dessen Machenschaften mir schon lange bekannt sind. Man sollte mit ihm kurzen Prozeß machen und ihn an die Wand stellen, damit er kein weiteres Unheil mehr anrichten kann.'«

Mitte 1944 - nachdem also die etwas zu formlosen Verdikte Himmlers gegen Oberländer zu KZ-Haft und Tod in »Stadtarrest« umgewandelt worden waren - hatte derselbe Major von Zepussnig, um Oberländer auf den Dekansstuhl der juristischen Fakultät an der deutschen Karls-Universität zu Prag zu hieven, schriftlich bestätigt, »daß der Reichsführer SS gegen den Inhalt der in den Denkschriften Oberländers formulierten Standpunkte nichts einzuwenden

hat, im Gegenteil, Anregungen daraus aufgriff.«

Oberländer wurde Dekan, und so wunderlich sich seine Rettung - damals vor dem Tode, später vor der Denazifizierung

- ausnimmt, so unbegreiflich klingt die

Version, daß der ostpreußische NS-Gauleiter Koch in Königsberg ihn nicht habe leiden mögen.

Im Sommer 1934 jedenfalls wußte Gauleiter Koch keinen Würdigeren denn Oberländer für eine äußerst delikate Mission, deren Geheimnis so streng gehütet wurde, daß die Öffentlichkeit bis heute nichts von ihr erfuhr. Gauleiter Koch schickte Gauamtsleiter Oberländer damals mit höchster Billigung nach Moskau, um zwischen der Reichsleitung der NSDAP und dem Zentral-Komitee der KPdSU Kontakte zu knüpfen.

Oberländer wurde dort von Karl Radek empfangen, der seit Anfang der zwanziger Jahre als Spezialist der Sowjetspitze für die Reichswehr und die deutsche Rechte fungiert hatte. Radek examinierte den Königsberger Professor in deutscher Geschichte. Oberländer mußte sich sagen lassen: »Ihr wißt eure Geschichte nicht.«

Zum versöhnlichen Abschluß briet Frau Radek Rührei mit Schinken - was die Moskauer Anklagebehörde drei Jahre später, als Radek in Verfolg der stalinistischen Hexenjagd mit zehn Jahren Gefängnis glimpflich davonkam, in einem Anklagepunkt zusammenfaßte: Der Angeklagte habe mit einem Professor aus Königsberg konspiriert und ihn mit Rührei bewirtet.

NS-Gauleiter Koch hingegen entzog seinem Gauamtsleiter Oberländer sein Vertrauen erst, als dessen Dienststelle in der ostpreußischen Gauleitung eine geheime Reichssache verbummelt hatte.

Derlei Abenteuer Oberländers in NSDiensten, speziell aber die bedrückende Unbeholfenheit, mit der Oberländer am Freitag früh der vorletzten Woche dem Plenum des Bundestags seiner Beinahe-Tot-Story Geltung zu verschaffen suchte, ließ die CDU-Fraktion ahnen, was sie am Nachmittag dieses Tages zu erwarten habe, falls - wie vorgesehen - der Etat des Oberländer-Ministeriums in zweiter Lesung beraten werden würde.

Gleich nach der Fragestunde bestürmten deshalb die Christdemokraten ihren Fraktionschef Krone, bis er sich schließlich, von Vertriebenen-Staatssekretär Nahm begleitet, auf den Weg zu Oberländer machte. Nach anderthalb Stunden war Oberländers Widerstandswille, ungeachtet des Rückhalts durch Adenauer, gebrochen. Den Fangstoß gab ihm Krones Floskel: »Mit Ihrem Rücktritt dienen Sie dem deutschen Volk.«

Nun galt es, das Geschäft perfekt zu machen, um hernach die hartnäckigste Bastion vor Oberländers Ministerstuhl den Kanzler - mit einem Falt accompli zu überrennen. Krone und Fraktionsgeschäftsführer Rasner suchten die SPDUnterhändler Erler, Arndt und Menzel auf. Die drei Sozialdemokraten erklärten sich gegen eine verbindliche Zusage Adenauers, das Rücktrittsgesuch Oberländers zu akzeptieren, namens ihrer Fraktion damit einverstanden, daß die Debatte über den Etat des Oberländer-Ministeriums bis zum 5. Mai von der Tagesordnung abgesetzt werde. Außerdem werde ihr Antrag, einen Untersuchungsausschuß gegen Oberländer einzusetzen, fallengelassen, sobald Oberländei demissioniert habe.

Mit diesem Vorvertrag ausgerüstet, wagte CDU-Fraktions-Papa Krone um elf Uhr vormittags den Gang zum CDUPatriarchen Adenauer, wofür er außer Staatssekretär Nahm auch noch den Kanzler-Freund Pferdmenges als Begleiter wählte. Der Kanzler pochte auf sein Verbot einer »Knall auf Fall«-Demission Oberländers, ließ sich aber angesichts des Oberländerschen Umfalls dann doch herbei, einen Brief an die CDU-Fraktion zu unterschreiben, mit dem er sich verpflichtete, Oberländers Rücktrittsgesuch anzunehmen. Bedingung: Die Rücktritts-Prozedur müsse stufenweise vollzogen werden; Oberländer solle um Urlaub einkommen und erst später demissionieren; außerdem müsse die SPD zur Diskretion verpflichtet werden.

Die Sozialdemokraten Erler und Menzel, denen CDU-Krone den Brief Adenauers zeigte, versprachen denn auch, den Mund zu halten - ein Gelöbnis, das indes innerhalb der SPD heftige Erschütterungen hervorrief.

Das Pressereferat des Oberländer-Ministeriums hatte eben Oberländers Urlaubspläne ("in einem deutschen Bad") verbreitet, der Bundestagspräsident die »interfraktionelle Vereinbarung« bekanntgegeben, nach der »die Zweite Lesung des Einzelplans 26 (Oberländer-Ministerium) bis zum 5. Mai zurückgestellt wird«, als auch schon die SPDGenossen ihren amtierenden Fraktionsvorsitzenden Erler belagerten. Erler berief eine Fraktionssitzung ein. Die ungestümen Genossen besänftigte Erler: Oberländer werde - so habe es ihm die CDU zugesagt - aus dem Urlaub nicht wieder in sein Amt zurückkehren.

Die Fraktion gab sich mit dieser Erklärung nicht zufrieden. Die Genossen, die sich mit Fleiß für die Etat-Debatte und den Untersuchungsausschuß präpariert hatten, sahen sich um die Frucht ihrer Arbeit betrogen. Sie wünschten, Konkretes zu hören. Erler wand sich, es sei alles vertraulich.

Die einstige Schumacher-Sekretärin Annemarie Renger höhnte, der Fraktionsvorstand habe sich im Sack verkaufen lassen; er sei dem Alten auf den

Leim gegangen; denn was dessen Zusagen wert seien, wisse doch jeder. Eine schriftliche Zusage Adenauers gegenüber der Fraktion sei das wenigste, was man hätte verlangen müssen, zumal die Fraktion eigentlich nicht darauf hätte verzichten dürfen, den Kanzler vor dem Plenum festzunageln.

Der stets aggressive Schmitt-Vockenhausen trieb die Stimmung auf den Höhepunkt: Nicht die Sozialdemokraten, sondern die Amerikaner hätten Adenauer gezwungen, Oberländer preiszugeben. Zwischenruf: »Wir sind eine masochistische Partei!« Zuruf Jeanette Wolffs, an Erler gerichtet: »Rede nicht so einen Stuß!«

Erler sprang auf, bat die Fraktion, ihn zu entschuldigen, hastete zur Tür und warf sie mit einem Knall hinter sich zu.

Sozialexperte Schellenberg meldete sich zu Wort. Er beantragte, die Fraktion möge eine Erklärung über Oberländers Rücktritt verabschieden und publizieren. SPD-Geschäftsführer Menzel, der sich gleich Erler der CDU gegenüber zum Schweigen verpflichtet hatte, nahm schließlich den Wortbruch auf seine Kappe. Vor Zeitungsleuten verlas er die von Schellenberg veranlaßte Fraktionserklärung: »Nachdem die verbindliche Zusage der Unterhändler der CDU im Namen ihrer Fraktion und für den Bundeskanzler vorliegt, daß Bundesvertriebenenminister Oberländer von dem heute angetretenen Urlaub in sein Amt nicht zurückkehren und ein Rücktrittsgesuch bis zur zweiten Lesung des Haushalts des Bundesvertriebenenministeriums angenommen und seine Entlassung bis dahin erfolgt sein wird, nimmt die SPD-Bundestagsfraktion zustimmend davon Kenntnis, daß die Beratung dieses Haushalts am 5. Mai durchgeführt wird.«

CDU-Fraktionsgeschäftsführer Rasner kommentierte: »Das ist das erste Mal, daß die SPD eine vertrauliche Abmachung nicht gehalten hat.« Als »menschlich hervorragend« wertete Rasner immerhin den Umstand, daß Erler sich durch seinen Ausmarsch aus der Fraktionssitzung distanziert habe. Die amtliche Reaktion der CDU auf die SPD-Erklärung fiel indes überraschend milde aus: »Der heute Vormittag mit der SPD getroffenen Vereinbarung über die weitere Plenarbehandlung des Haushalts war vorausgegangen eine von Minister Professor Dr. Theodor Oberländer getroffene freie Entscheidung. Den Verhandlungspartnern auf seiten der SPD ist davon vertraulich Kenntnis gegeben worden. Diese Vertraulichkeit wurde nicht gewahrt.«

Nicht weniger überraschend erklärte Kanzler Konrad Adenauer - der Oberländer monatelang gegen jederlei Anwürfe im Ministergestühl festgehalten hatte - am Dienstag letzter Woche den »Fall Oberländer« ungeachtet des Vertrauensbruchs der SPD für »erledigt«. Aber: »Ich möchte mit aller Macht betonen, daß wir uns nicht einen nach dem anderen abschießen lassen.«

Oberländer-Advokat Machui

Wurde die Todesstrafe ...

Beurlaubter Minister Oberländer

... verhängt oder erwogen?

Oberländer-Zeuge Zwart

Akte voraus ins KZ

Radek

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