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BRANDSTIFTUNG Tod im Trichter

aus DER SPIEGEL 48/1966

Im zweiten Obergeschoß des Altbaus in

der Braunschweiger Jasperallee klammerte sich eine Frau ans Fensterkreuz und schrie: »Hilfe, Hilfe, rettet mich doch, ich brenne ja schon.«

Rettung war nicht mehr möglich. Fünf Minuten lang vermochte sich die Frau noch der Flammen zu erwehren. Dann - der erste Löschzug der Feuerwehr bog gerade um die Ecke - sank sie rücklings in die Glut.

In dem Feuer verbrannten in der Nacht zum 21. Januar dieses Jahres fünf Menschen: die 28 Jahre alte Ingrid Stech mit ihren beiden kleinen Kindern, ihre Muter und ihre Großmutter. Unter Anklage der fahrlässigen Brandstiftung mit Todesfolge (Mindeststrafe: ein Monat Gefängnis) steht deshalb am Dienstag

dieser Woche der Pharmaziestudent Klaus Horst, 27, vor der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig.

Korpsbruder Horst, zweiter Chargierter der schlagenden Verbindung »Corps Rhenania«, die im Erdgeschoß und Keller des Hauses ihre Pauk- und Kneipräume hatte, soll das Feuer durch groben Unfug verursacht haben: Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hatte er einen Stapel alter Zeitschriften, der im Kamin auf der Hausdiele nicht recht brennen wollte, mit Benzin übergossen. Sofort standen nicht nur die Zeitschriften, sondern auch der Benzinkanister aus Kunststoff in Flammen. Horst sprang zurück, schüttete dabei Benzin auf den gewachsten Fußboden und ließ den Kanister fallen. Nun fing auch die Holztäfelung der Diele Feuer.

Die 17 anwesenden Rhenanen, deren erklärtes Ziel es ist, ihre Mitglieder »insbesondere zu selbständigem Denken und verantwortungsfreudigem Handeln unter Achtung berechtigter Interessen anderer« zu erziehen, ergriff Panik: Erst versuchten sie, die Flammen auszutreten, dann sprangen- sie durchs Parterrefenster ins Freie. Ein Rhenane, der im Obergeschoß schon zu Bett gegangen war, hangelte sich im Pyjama an einem Laken in den Vorgarten.

An die Frauen und Kinder oben im Haus dachte offenbar niemand. Student Horst: »Erst draußen auf der Straße hörte ich die Hilferufe. Aber da kam ja auch schon die Feuerwehr.«

Zwar bekunden auch die Feuerwehrmänner, die aus acht Rohren Wasser in das brennende Gebäude pumpten, daß es keinen Zugang in die Obergeschosse mehr gab, als die Löschzüge eingetroffen waren: »Es kam zu einer außerordentlich schnellen, trichterförmigen Ausdehnung des Brandes nach oben.«

Wieviel Zeit jedoch bis zur Alarmierung der Feuerwehr (23.17 Uhr) tatsächlich vergangen und von den Korpsstudenten mit aussichtslosen Löschversuchen vertan worden war, blieb ein Geheimnis der Jungakademiker.

»Hat wirklich keiner der jungen Leute, als das Feuer ausbrach, an die Menschen in der Wohnung gedacht? Hat keiner gewagt, über die vielleicht schon brennende, aber noch tragende Treppe nach oben zu stürzen?« fragte die »Braunschweiger Zeitung«.

Diese Fragen werden möglicherweise auch in dem Prozeß gegen Horst unbeantwortet bleiben. Ein gegen die Horst-Kommilitonen geführtes Ermittlungsverfahren wegen unterlassener Hilfeleistung wurde eingestellt*.

»Unterlassene Hilfeleistung kann nur vorsätzlich begangen werden. Wer fahrlässig die tatsächlichen Voraussetzungen seiner Hilfspflicht verneint, ist nicht strafbar«, begründete der Erste Staatsanwalt Ulrich Grages seinen Einstellungsbeschluß. Und: »Das muß erst recht gelten,

wenn er die tatsächlichen Voraussetzungen ... nicht kennt oder - sei es auch noch so verwertbar - nicht erkennt.«

Nach seinen Ermittlungen - erläuterte der Anklagevertreter - haben die Studenten die den Hausbewohnern drohende Gefahr erst erkannt, »als eine Rettung infolge der schnellen Brandentwicklung im Treppenhaus nicht mehr möglich und damit ... nicht mehr zumutbar war«.

Aber immerhin wird jetzt die Strafkammer auch danach fragen können, weshalb die 17 schlagenden Studenten der Gefahr, die ihnen drohte, sich durch die Flucht entzogen, die Gefahr für die fünf Leute im zweiten Stock jedoch zu spät erkannt haben sollen: Die Herren sind allesamt als Zeugen geladen.

* Paragraph 330 c des Strafgesetzbuches: »Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und Ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.«

Brennendes Rhenanen-Haus in Braunschweig: Hilfe unterlassen?

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