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AFRIKA Tödliche Operation

Viel Regen und zuviel Hilfe - in Afrika werden überschüssige Lebensmittel jetzt ans Vieh verfüttert. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Für Charles Omo aus Kambiri in Kenia war 1985 ein gutes Jahr. Der Mais stand prächtig, die Tomaten waren so saftig wie seit Jahren nicht mehr, und die Kaffeesträucher haben soviel Gewinn abgeworfen, daß Omo die vier Raten für sein Motorrad auf einmal gezahlt hat.

Fast war die Ernte zu gut. Der Mann hatte Glück, daß er sein überschüssiges Korn für ein Viertel des üblichen Preises an einen Geflügelzüchter in Nanyuki verkaufen konnte. Viele Bauern in Kenia haben ihren Mais auf dem Halm

verrotten lassen, weil niemand ihn haben wollte.

Von den zwei wichtigsten Nachrichten, die 1985 aus Schwarzafrika kamen, war eine gut, die andere schlecht. Die gute: Es hat ausgiebig geregnet, die meisten Afrikaner haben wieder genug zu essen. Die schlechte: Die Ernten waren so üppig, daß ein Großteil des Getreides jetzt als Viehfutter dient.

Versorgungsengpässe gibt es nur noch in Teilen des Sudan und Botswanas, in den Bürgerkriegsgebieten Angolas sowie Mosambiks und Äthiopiens. Die Lage in Äthiopien insgesamt ist nach Ermittlungen der Welternährungsorganisation (FAO) jedoch »günstig«.

Dank der anhaltenden Regenfälle im letzten Sommer lagen im Sahel-Gebiet die Erträge durchschnittlich um 60 Prozent über den Vorjahresergebnissen. Im Sudan wurden bis zum Spätherbst 4,9 Millionen Tonnen Getreide eingefahren - mehr als dreimal soviel wie 1984.

Der durch fehlende Kontrolle vor Ort bedingte Informationsrückstand bei den Spendern hat zu absurden Verzerrungen geführt. Obwohl die Rekordernten die Kornspeicher bis zum Bersten gefüllt haben, wird noch immer für afrikanische Dürreopfer gesammelt.

Anfang Januar rief der irische Popsänger Bob Geldoff, der im Sommer mit einem weltweit ausgestrahlten Afrika-Hilfskonzert reussiert hatte, die französische Schuljugend zur Operation »Cinq sacs pour l'Afrique« auf. Jeder Schüler soll jeden Monat das Geld für fünf Tüten Mehl oder Getreide sammeln.

In Westafrika haben die guten Ernten und die kostenlosen Importe zum Zusammenbruch der Mais- und Weizenpreise geführt - aber die Europäer und Amerikaner liefern weiter. Zu den bis her schon gut fünfeinhalb Millionen Tonnen aus den USA, Kanada und den EG-Ländern werden jetzt noch einmal 1,2 Millionen Tonnen in Afrika erwartet.

Ein Lehrstück für kontraproduktive Mildtätigkeit ist Togo. Die Togolesen hatten 1983 nach einer schlechten Ernte um Hilfe nachgesucht, um ein kurzfristiges Nahrungsmitteldefizit auszugleichen. Doch als 1984 die ersten Korndampfer in Lome festmachten, hatte sich die Lage längst wieder normalisiert. Die Getreideschwemme drückte nun die einheimischen Maispreise unter die Gestehungskosten. Die Folge: 1985 wurden in Togo 30 Prozent weniger Anbaufläche bestellt als im Vorjahr.

Aufgrund von Transportproblemen, vor allem aber auch weil es an Bedarf fehlt, ist ein Viertel bis ein Drittel der 1985 gestifteten Lebensmittel noch immer nicht verteilt. Um den Druck auf die einheimischen Erzeugerpreise zu lindern, schöpfen einige Staaten die Hälfte aller Hilfslieferungen systematisch ab, zum Teil als Reserve für schlechte Zeiten, zum Teil für den Export.

Das linke Pariser Blatt »Liberation« mahnte die Regierungen der Spenderländer

in Anlehnung an ähnlich lautende Warnungen auf Zigarettenpackungen: »Achtung, Ihre Hilfsleistung ist (für den Empfänger) gefährlich.«

Was schlecht ist für den Binnenmarkt, kann gleichwohl gut sein für die Zahlungsbilanz. Deshalb haben die Empfänger kein Interesse, die Überversorgung zu bremsen.

Der »Club du Sahel«, eine Interessengemeinschaft aller Staaten der Region, weckte bei den Geberländern den Verdacht, daß er schon im Vorjahr zielstrebig Schwarzmalerei betrieben habe, um an dem Hilfsboom zu partizipieren, den die Hungersnot in Äthiopien in Gang gesetzt hatte.

Die wichtigste Ursache des absurden Zustandes liegt in Europa und Amerika: Weil sie unter permanentem Aktionsdruck stehen, so sagt Samir Basta vom Uno-Kinderhilfswerk (Unicef), müssen die Hilfsorganisationen ihre Spendenmittel schneller umschlagen, als die Not es erfordere. Basta: »Sie müßten daheim mit Gezeter und Empörung rechnen, wenn sie zurückkehrten und mitteilten: Sorry, Leute, der Hunger ist vorbei.«

FAO-Chef Edouard Saouma hat Mitte Dezember den Westen aufgefordert, die Hilfe einzudämmen, weil sie zum Preisverfall und zur »Entmutigung der Bauern« führe. Statt dessen sollten mehr Geldmittel in die Förderung der Landwirtschaft investiert werden.

Vergleiche zeigen, daß es am fehlenden Kapital allein nicht liegen kann. Sonst wäre die sozialistische Republik Tansania, seit vielen Jahren einer der am großzügigsten alimentierten Staaten der Welt, nicht gleichzeitig eine der ärmsten des Kontinents.

Die Tansanier rutschen immer tiefer ins Defizit, obwohl ihnen die meisten westlichen Staaten ihre Altschulden ersatzlos gestrichen haben. Der kapitalistische Nachbarstaat Kenia dagegen, der seine Schulden weiter tilgen muß, produziert seit zwanzig Jahren fast unablässig Wachstum.

Allein der »Zwischenstaatliche Ausschuß für den Kampf gegen die Dürre im Sahel« (CILSS) hat seit 1975 rund zehn Milliarden Dollar an landwirtschaftlicher Strukturhilfe eingenommen - pro Kopf der Bevölkerung fünfmal soviel wie die asiatischen Hungerländer. Das Ergebnis ist gleich Null.

Nach einem von der US-Hilfsorganisation AID erstellten Gutachten wurde in den zehn Jahren seit Gründung der CILSS kein einziges CILSS-Projekt von Belang realisiert.

Entgegen den von den Spendern vorgegebenen Schwerpunkten flossen nur 4,5 Prozent der Hilfsmittel in die Förderung der Landwirtschaft und nur 1,5 Prozent in die Aufforstung der von Verwüstung bedrohten Savanne, zusammen nur ein Bruchteil der Beträge, die für Spesen und Gehälter der CILSS-Bürokratie verbuttert wurden.

Von der Strukturhilfe für den Sahel, befand Uno-Generalsekretär Perez de Cuellar bei einem Besuch, sei praktisch nichts geblieben. Das Sahel-Gebiet ist von der angestrebten dauerhaften Selbstversorgung so weit entfernt wie zu Beginn des Hilfsprogramms.

Geringes Interesse afrikanischer Regierungen am Wohlergehen der eigenen Bevölkerung stellten auch Uno-Beobachter im Sudan und die französische Hilfsorganisation »Ärzte ohne Grenzen« (MSF) in Äthiopien fest.

Die MSF-Ärzte waren im Dezember von der Regierung in Addis Abeba des Landes verwiesen worden, weil sie die Massendeportation von Bauern aus den umkämpften Hungergebieten in Eritrea und Tigre kritisiert hatten. Der »tödlichen Operation« (so Ärzte-Präsident Rony Braumann) sind in den letzten zwei Jahren mindestens hunderttausend Menschen zum Opfer gefallen. Mit weiteren 200000 Toten müsse gerechnet werden, wenn die Zwangsumsiedlung planmäßig weitergeführt werde.

Die äthiopische Hungerkatastrophe hätte vermieden werden können, wenn die Außenwelt rechtzeitig über die Mißernten unterrichtet worden wäre. Aber die regierenden Marxisten verschleierten - ähnlich wie zwölf Jahre zuvor Kaiser Haile Selassie - das drohende Unheil, weil sie um die Reputation ihrer Agrarreform fürchteten.

Der Washingtoner Agrarökonom Robert Dunn, der an mehreren afrikanischen Universitäten als Gastdozent lehrte, macht in erster Linie die Regierenden dafür verantwortlich, wenn die Afrikaner nicht satt werden. Sie versuchten mit Zwangskollektivierung und Niedrigpreisdiktaten das politisch unstabile Stadtvolk bei Laune zu halten, nähmen dadurch aber den Landwirten die Lust am Wirtschaften.

Für die nächsten anderthalb bis zwei Jahre ist die Versorgung zwar gesichert, aber die Perspektiven sind düster. Die nächste Katastrophe kommt bestimmt. Denn langfristig wird das Nahrungsmitteldefizit immer größer. Das ungehemmte Bevölkerungswachstum von durchschnittlich drei Prozent jährlich frißt jeden Fortschritt auf.

Die Agrarproduktion pro Kopf ist seit fünfzehn Jahren permanent rückläufig. Nur marktwirtschaftlich orientierte und außenhandelsintensive Staaten mit stabilen politischen Verhältnissen wie Kenia, Malawi und die Elfenbeinküste haben die Krisen bisher leidlich bewältigt.

Das klassische Hungerland Indien produziert heute Lebensmittelüberschüsse. In Afrika dagegen wird die Kluft zwischen

Bedarf und Produktion immer größer.

Wenn alle Afrikaner satt werden sollen, wird Afrika in zwanzig Jahren bei anhaltendem Babyboom 200 Millionen Tonnen Lebensmittel importieren müssen - zehnmal soviel wie im Hungerjahr 1985.

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