Somalia »Töten und vergelten«
Die Juristin Omaar, 37, beobachtet für die in London ansässige Organisation »African Rights« die Menschenrechtslage in ihrer Heimat Somalia.
SPIEGEL: Viele Somalier sehen in den Uno-Soldaten nicht mehr Helfer, sondern Besatzer. Sie werfen den Blauhelmen Folter und sogar Mord vor. Zu Recht?
Omaar: Die Stimmung ist umgeschlagen, weil Hubschrauber ohne jede Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Raketenangriffe fliegen; weil Blauhelm-Soldaten sofort auf Verdächtige schießen, Somalier ohne Grund geschlagen und erniedrigt werden. Wir haben in zwei Berichten Dutzende Fälle von Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.
SPIEGEL: Wie konnte es dazu kommen?
Omaar: Den Uno-Soldaten ist eingetrichtert worden, jeder Somalier sei ein potentieller Feind. Das hat ein Gefühl des Wir-oder-Die geschaffen. Die Priorität der Uno-Einheiten ist nicht mehr die humanitäre Mission, sondern das Bestreben, unter allen Umständen Verluste zu vermeiden.
SPIEGEL: Im Klartext heißt das doch: Lieber nehmen wir ein paar tote Somalier in Kauf als einen toten Blauhelm-Soldaten?
Omaar: Natürlich verstehe ich, daß Särge aus Somalia das letzte sind, was sich die Politiker in Washington, Brüssel und Bonn wünschen. Aber ihre Truppen verhalten sich den Somaliern gegenüber extrem feindselig, selbst wenn es dafür gar keinen Anlaß gibt.
SPIEGEL: Vielleicht wissen die Blauhelme zuwenig über die Somalier?
Omaar: Die Uno pflegt viel zuwenig Kontakte mit den Somaliern. Als ein Kollege von mir dem belgischen Kommandanten in Kismaju von einer stadtbekannten, beispielhaft arbeitenden Frauengruppe erzählte, sagte der Uno-Offizier: »Wir dachten, das sei ein Bordellbetrieb.« Wie können die Belgier helfen, ein Land aufzubauen, wenn sie absolut nichts über seine Bewohner wissen?
SPIEGEL: Gibt es keine Beschwerdemöglichkeit gegen Übergriffe?
Omaar: Daß es in Mogadischu ein für Beschwerden zuständiges Büro der Amerikaner gibt, wissen die wenigsten Somalier. Besucher fühlten sich eingeschüchtert. Wer wagt sich schon zu seinen Peinigern, zumal er Stacheldrahtsperren passieren und Leibesvisitationen ertragen muß? Wir fordern, daß reguläre, unparteiische Beschwerdeinstanzen geschaffen werden, an die sich betroffene Bürger wenden können.
SPIEGEL: Was sollten die Deutschen in ihrem Einsatzgebiet Belet Huen tun?
Omaar: Sie müssen die lokalen Gegebenheiten studieren und gute Beziehungen zu den Somaliern herstellen. Freundschaftliche Beziehungen dienen der eigenen Sicherheit. Somalia ist derzeit ein gewalttätiges Land.
SPIEGEL: Die Uno-Oberen und vor allem die Amerikaner glauben, Mogadischu werde friedlich, wenn der General Aidid geschnappt werden könnte.
Omaar: Lachhaft. Aidid ist zwar wirklich ein Kriegsverbrecher. Aber die Amerikaner und die Uno haben fertiggebracht, daß heute Somalier hinter Aidid stehen, die den General früher haßten. Die Uno hat sich in eine Lage manövriert, in der sie sich mit dem General nicht an einen Tisch setzen kann, ohne das Gesicht zu verlieren. Letztlich wird sie es dennoch tun müssen. Denn sonst dreht sich die Gewaltspirale immer weiter: Heute töten Aidid-Leute Uno-Angehörige; morgen folgt die Vergeltung.