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KRIEG / ISRAEL / BLITZ-FELDZUG Tötet, tötet

aus DER SPIEGEL 25/1967

Sie rollten wie Rommel. siegten wie Patton und sangen noch dazu. »Dies ist eine singende Armee. Ihre Krieger singen wie die Helden Hemingways«, staunte Kriegskorrespondent James Reston.

In 60 Stunden zerschlugen die gepanzerten Söhne Zions den arabischen Einkreisungsring um Israel, scheuchten sie die panarabischen Propheten aus ihren Großmacht-Träumen, stürzten sie Ägyptens Nasser in niltiefes Jammertal. Der Pharao nahm die Verantwortung für den verlorenen Krieg auf sich und jonglierte mit seinem Rücktritt.

Während Nassers Radio noch gelobt hatte: »Wir werden jeden Daumenbreit, jedes Sandkorn unseres Bodens verteidigen«, zogen Nassers Helden die Schuhe aus, um auf Sinai-Sand flotter fliehen zu können. Wie 1956 erbeuteten die Israelis neben Tanks und Kanonen Tausende Paar Militärstiefel der schuhungewohnten Fellachen.

Während Jordaniens Klein-König Hussein seine Soldaten noch stachelte: »Tötet, tötet, tötet; mit Händen, Nägeln, Zähnen«, stellte sein Land, dem Zusammenbruch nahe, den Kampf gegen Israel ein. Erschöpft und unrasiert dementierte der Monarch einen Tag später, daß er sich nach Rom abgesetzt habe.

Während Algeriens Staatsoberst Boumedienne seine Hilfstruppen für Sinai mit dem Ruf »Tod auf dem Feld der Ehre oder Sieg« in Marsch setzte, waren Ehre und Sieg schon verloren, hatte sich der »Heilige Krieg« der Araber gegen die Juden als frommer Selbstbetrug erwiesen.

In Jerusalem stieß Israels oberster Militär-Rabbiner, Fallschirmjäger-General Schlomo Goren, in das Schofar-Widderhorn -- ein Blasinstrument, das angeblich schon bei der Eroberung Jerichos geblasen wurde. Es verkündete der Welt, daß Davids Stadt wieder voll im Besitz der Juden sei. Die Soldaten riefen: »Hedad, hedad« (hurra).

Während noch Schüsse durch Jerusalem peitschten, verrichtete Rabbi Goren mit seinen Paras an der Klagemauer des Salomonischen Tempels das erste Gebet. Überwältigt von der historischen Stunde, rief der Sprecher des israelischen Rundfunks in sein Mikrophon: »In diesen Minuten gehe ich auf die Klagemauer zu. Noch drei Sekunden, noch zwei Sekunden, noch einen Schritt, ich bin an der Mauer. Leute, ich bin kein frommer Mensch, niemals war ich fromm, aber hier an der Tempelmauer, ich kann es einfach nicht fassen!«

Im Hintergrund beteten die Soldaten: »Gelobt seist Du, unser Gott, der uns zurückführt nach Zion, der Jerusalem erbaute.« Ein betender Soldat wurde von jordanischen Scharfschützen erschossen. Darin ertönte die Nationalhymne »Hatikwa« (Hoffnung). Die Soldaten nahmen Haltung an.

Ein Rabbi rief: »Laßt uns beten für die, die gefallen sind für die Heiligung des Namens Gottes, bei der Befreiung der Heiligen Stadt Jerusalem. Laßt uns das Kadisch (Totengebet) sprechen!«

Eine Stimme: »Das sind die größten Minuten meines Lebens.«

Eine andere Stimme: »Gelobt sei unser Gott, von nun bis in alle Ewigkeit. Amen. Er bringt den Frieden (Aber uns und über das ganze Volk Israel.«

Das Volk Israel, derzeit 2,5 Millionen Menschen stark, schlug nicht nur die 80 Millionen Araber zwischen Atlantik und Persischem Golf aufs Haupt. Die Panzer mit dem Davidstern am Turm überrollten auf ihrem Marsch an den Suezkanal auch die Positionen der Sowjet-Union im Nahen Osten. In drei Tagen walzten sie nieder, was Moskau in jahrelanger Kleinarbeit mit Milliarden Rubel aufgebaut und Ende Mai als Entlastungsfront für Vietnam in Betrieb gesetzt hatte.

In des Kremls Kausal-Kette fehlte ursprünglich kein Glied.

> Moskau ermunterte Nasser, den Golf von Akaba zu schließen, um Washington zum Engagement für Israel zu zwingen.

> Nasser schwang sich durch die Schließung des Golfes wieder zum Führer der Araber im Kampf gegen Israel auf. Ein Engagement der USA zugunsten Israels mußte den panarabischen Nationalismus herausfordern.

> Washington zögerte und lief Gefahr, bei Israelis wie Arabern das Gesicht zu verlieren. Moskau schien zu gewinnen, ohne einen Mann aufs Spiel gesetzt zu haben.

Dann kehrte sich das vermeintlich meisterhafte politische Kalkül der Sowjets gegen die Meister und deformierte ihre Logik zum Widersinn. Der Aufmarsch der Araber trieb die Israelis so in die Enge, daß diese zum Präventivschlag gedrängt wurden. Ein Schießkrieg im Nahen Osten aber lag ebensowenig im Interesse Moskaus wie eine direkte Konfrontation mit den USA.

Am 25. Mai reiste Israels Außenminister Abba Eban in die USA und enthob Amerika der Sorge, im Nahen Osten eine zweite Front aufbauen zu müssen: In fünf Tagen würden die Israelis mit ihren Gegnern fertig -- wenn man sie nur mit ihnen allein lasse. Das Pentagon bestätigte die Fünf-Tage-Rechnung.

Damit war das Einverständnis zwischen Amerikanern und Israelis perfekt: Die einen konnten ihre Neutralität erklären, ohne Israel gegenüber Amerikas Juden preiszugeben; die anderen hatten bei ihrem Angriff am 5. Juni den Rücken frei. Als Ablenkungsmanöver kündigte Amerika seine Absicht an, mit einem bewaffneten Konvoi die Blockade des Golfs von Akaba zu brechen.

Am 3. Juni gab Israels Londoner Militärattaché seinem deutschen Kollegen einen Wink: Vom Beginn der nächsten Woche an sei im Nahen Osten mit stärkerer diplomatischer Tätigkeit zu rechnen. In London wurde sofort eine Depesche nach Bonn abgesetzt. Doch Verteidigungsminister Schröder begriff deren Sinn nicht. Die Nahost-Deutschen wurden vorerst nicht evakuiert.

»Das Ende Israels ist gekommen«, verkündete Radio Kairo auf hebräisch, als der Krieg begann. Ein kleines, dem Völkermord entronnenes Volk, trat zum Existenzkampf gegen einen erbarmungslosen Feind an. Auf einer Woge von Mitgefühl erklärten sich Frankreichs Juliette Gréco und Yves Montand, Englands Liz Taylor und Peter Sehers und Deutschlands Gruppe-47-Dichter mit dem Staat der Juden solidarisch.

In der Anne-Frank-Stadt Amsterdam randalierten 300 Israeli-Freunde vor dem Haus Nummer 5 am Herman-Heijermansweg, weil sie dort die Residenz des ägyptischen Generalkonsuls vermuteten. Doch der hohe Herr vom Nil war schon vor zwei Jahren ausgezogen.

Von Nordamerika bis Südafrika zeichneten jüdische Gemeinden Spenden für den Sieg. In Toronto brachten 200 kanadische Juden innerhalb von 90 Minuten 8,4 Millionen Mark auf.

Jüdische Frauen in Salford (England) opferten ihre Juwelen, Kinder verkauften ihr Spielzeug für den Krieg. Über 30 jüdische Taxifahrer in London erboten sich, Israel-Freiwillige kostenlos zum Flughafen Heathrow zu fahren. Normaler Preis: 28 Mark.

6000 englische Staatsbürger (davon fast 2000 Nicht-Juden) meldeten sich zum Dienst im bedrohten Land. Der Sänger Chaim Topol, Hauptdarsteller im Musical »Fiedler auf dem Dach«, stieg vom Dach ins Flugzeug nach Tel Aviv: »Ich kann zwar nicht schießen, aber ich werde die Truppen gut unterhalten.«

In Paris wälzten sich jeden Tag Prozessionen für Israel über die Boulevards, skandierten Tausende Autofahrer mit ihren Hupen dreimal kurz, zweimal lang: »Is-ra-el vain-cra« (Israel wird siegen). Sie hatten recht. Israel siegte allein.

Selbstsicher hatten die Sowjets auf Nassers Versprechungen, auf die numerische Überlegenheit der Araber und die Qualität der von Moskau gelieferten Waffen vertraut. Selbstsicher lehnte der sowjetische Uno-Chefdelegierte Fedorenko in New York eine erste, mit dem US-Kollegen Goldberg vereinbarte Resolution für den Sicherheitsrat ab, die verlangte: Rückzug aller Truppen auf die Ausgangsstellungen und freie Fahrt in den Golf von Akaba.

Einen Tag später wollte Goldberg über den Rückzug der Truppen nicht mehr sprechen. Fedorenko, nunmehr unter dem Zeitdruck des israelischen Blitzkriegs, mußte sich mit einer Resolution zufriedengeben, die weit ungünstiger war: Feuereinstellung ohne Rückzug. In Moskau tagte den ganzen Dienstag über das Politbüro. Müde und niedergeschlagen stimmte auch Fedorenko für die Resolution.

Kein arabischer Staat hörte auf die Uno. In aussichtslosem Wettlauf mit Israels Panzern beantragte der leidgeprüfte Uno-Russe in einer neuen Resolution die Einstellung der Feindseligkeiten bis Mittwoch 21 Uhr MEZ.

Um diese Zeit, genau zweieinhalb Tage nach Ausbruch des Krieges, hatten die Israelis ihre wichtigsten militärischen Ziele bereits erreicht. Im Morgengrauen des 5. Juni waren sie im Gaza-Streifen und weiter südlich zum Durchbruch in Richtung Suezkanal angetreten. Israelische Panzer rollten über die jordanische Grenze, israelische Düsenjagdbomber griffen 25 arabische Flugplätze an und zerstörten über 400 Maschinen.

Schon nach einem Tag hatten die Israelis die Luftherrschaft im Nahen Osten errungen, schon nach zwei Tagen die mobilen ägyptischen Kräfte auf der Sinai-Halbinsel zerschlagen, schon nach drei Tagen die nach Israel hineinragende »jordanische Tasche« abgeschnürt.

Auf der Sinai-Halbinsel brausten drei israelische Panzerkolonnen -- oft mit einem Durchschnittstempo von 20 Kilometern in der Stunde -- parallel zum Mittelmeer in Richtung Suezkanal. In der Stadt El-Arisch erbeuteten sie unversehrte Araber-Depots, 15 Kilometer vor dem Ostufer des Kanals machten sie halt -- am dritten Tag des Krieges, 48 Stunden früher als im Feldzug von 1956.

Im Gaza-Streifen trieben israelische Panzer die Araber vor sich her, zwangen israelische Infanteristen zwei ägyptische Divisionen zur bedingungslosen Kapitulation. Sie nahmen die Städte Rafah und Gaza im Handstreich -- am zweiten Tag des Krieges, 72 Stunden früher als im Feldzug von 1956.

In der Ägypter-Festung Scharm el-Scheich, die den Zugang zum Golf von Akaba beherrscht, flohen die Araber, als israelische Fallschirmjäger vom Himmel fielen, israelische Schnellboote vor der Küste auffuhren und israelische Panzer aus dem Staub der Wüste auftauchten -- am dritten Tag des Krieges, 120 Stunden früher als im Feldzug von 1956.

Allein in den ersten drei Tagen zerstörten die Israelis mehr als 200 arabische Panzer, erbeuteten sie mehr Kriegsgut als in den acht Tagen des Feldzugs von 1956, nahmen sie mehr Araber gefangen als vor zehneinhalb Jahren.

Nur die Jordanier, von Nasser in den Krieg gezogen, stellten sich zu heftiger Abwehrschlacht und erlitten mehr Verluste als alle anderen Araber zusammen. Erst nach erbitterten Kämpfen fielen die Städte Jenin und Nablus, Jericho und Bethlehem, fiel auch Jerusalem.

47 Stunden tobte das Gefecht entlang der 13 Kilometer langen Grenze zwischen der jordanischen Altstadt und der israelischen Neustadt. Husseins Krieger besetzten den ehemaligen Gouverneurspalast, das Uno-Quartier in der geteilten Stadt, israelische Soldaten eroberten es im Kampf Mann gegen Mann zurück.

Während die Soldaten auf beiden Seiten mit Gewehren, Maschinengewehren und Geschützen aufeinander feuerten, fuhr der israelische Bürgermeister Teddy Kollek in seinem grünen »Valiant« durch die umkämpften Stadtteile, ermutigte die Krieger, streichelte verschreckte Kinder.

Als sein Fahrer nicht in eine lange, ungeschützte Straße einbiegen wollte, wies ihn Kollek an: »Fahr los, wenn unsere Zeit gekommen ist, ist sie gekommen.«

Am Mittwochmorgen gegen zehn Uhr hatten die Israelis die Altstadt endgültig erobert. An der historischen Klagemauer schwor Verteidigungsminister Dajan: »Wir werden sie nie mehr preisgeben«, schilderte der Kommandeur den Durchbruch: »Unser Kurier Asarjah war der erste, der durch das Löwentor stürmte -- auf seinem Motorrad. Er raste mitten in eine jordanische Einheit hinein, wir hinter ihm her, direkt hier auf den Vorplatz vor der Tempelmauer. Moischele (Verkleinerungsform für Moses), mein Adjutant seit vielen Jahren, rannte sofort mit ein paar anderen zur Mauer, kletterte hoch und hißte dort oben die Fahne ... Jetzt ist die ganze Altstadt in unserer Hand. Wir sind glücklich.«

Wenige Stunden später kapitulierten die Jordanier als erste Araber -- vor einer Truppe, die ihren Ruf als eine der besten und schlagkräftigsten Armeen der Welt in diesen Tagen rechtfertigte wie kaum je eine Armee zuvor.

Rückgrat dieser Streitmacht ist ein hervorragendes Offizierskorps, in dem der Typ des selbständig denkenden Einzelkämpfers herangezogen wird und das seine jungen Soldaten in 30monatigem Wehrdienst ausbildet.

Schon vor der Dienstzeit kommen Jungen und Mädchen vom 14. Lebens-

* Vor dem Weltsicherheitsrat in New York.

** Spiegel-Titel 9/1965.

jahr an einmal wöchentlich für zwei Stunden und einmal monatlich für einen Tag zur Ausbildung an Handfeuerwaffen zusammen. Einmal im Vierteljahr absolvieren sie eine Marsch- und Gefechtsausbildung von drei bis vier Tagen.

Jeder Israeli, der seinen Wehrdienst abgeleistet hat, wird bis zum 35. Lebensjahr jedes Jahr zu einer vierwöchigen Reserve-Übung eingezogen; vom 35, bis zum 49. Lebensjahr müssen die Reservisten alle zwei Jahre zwei Wochen lang dienen.

Durch dieses Wehrsystem verfügt Israel mittlerweile über mehr als 300 000 voll ausgebildete Soldaten. Da hinter den Linien vorwiegend Frauen und Alte bei der Logistik, beim Nachschub und im Sanitätsdienst helfen, kommen nur junge, trainierte Soldaten an die Front.

Durch dieses Wehrsystem ist obendrein das Verhältnis von Kriegern zu Etappen-Helfern in Israel günstiger als in jeder anderen Armee der Welt. Während zum Beispiel in der US-Armee in Vietnam drei Versorger einen Soldaten an der Front betreuen, haben die Israelis mehr Krieger als Etappen-Helfer.

In kürzester Zeit kann Israels Regierung von 2,5 Millionen Einwohnern mehr als eine Million zu den Waffen rufen. Als Radio Tel Aviv am vergangenen Montag um zehn Uhr morgens die Generalmobilmachung verkündete, verlas Luftwaffengeneral Eser Weizmann 27 Kennworte für 27 Einheiten, etwa »Zerbrochenes Kristall«, »Offenes Fenster«, »Geschliffene Klinge«, »Stierkämpfer«.

Überall im Lande verließen daraufhin die Menschen die Arbeitsplätze und eilten zu ihren Einheiten. Im Orangen-Hain des SPIEGEL-Korrespondenten Rolf Schloß hörte der Arbeiter Ruben sein Kennwort aus dem Transistorradio. Er warf die Hacke weg, rannte zur Autobusstation und rief im Laufen: »Den Lohn hole ich mir nach dem Krieg.«

Israels Soldaten mußten eine Landgrenze von 951 Kilometern und eine Küste von 254 Kilometern schützen und ein Land verteidigen, das an seiner schmalsten Stelle nur 14 Kilometer breit ist. Kein Punkt liegt weiter als 50 Kilometer von der Grenze eines arabischen Nachbarstaates entfernt. Der nördliche Teil kann in ganzer Breite von Jordanien aus mit Artilleriefeuer belegt werden.

Ein Land mit so ungünstiger Militärgeographie läßt sich nicht defensiv, sondern nur offensiv schützen. Um zu verhindern, daß die aufmarschierten arabischen Armeen das Land von allen Seiten zugleich angriffen, in mehrere Teile zerschnitten und die Verteidiger ins Meer trieben, rief General Dajan -- wie 1956 -- zum Angriff.

Voraussetzung für den Blitzsieg im Blitzkrieg war eine schlagkräftige Panzertruppe. Die Waffe für diese Truppe hatte die Bundesrepublik vor zwei Jahren in einem Dreiecksgeschäft mit den USA und Italien geliefert (und mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen durch die meisten Araber-Staaten bezahlt): 200 Kampfpanzer amerikanischen Typs M 48.

Er verfügt mit seiner 90-Millimeter-Kanone über eine hervorragende Feuerkraft Als einziger der im Nahen Osten verwendeten Kampfpanzer besitzt er einen optischen Entfernungsmesser. Diese Anlage, Herzstück einer modernen Feuerleiteinrichtung, ermöglicht es. selbst auf Entfernungen bis 3000 Meter schon mit dem ersten Schuß einen Volltreffer zu erzielen.

Außerdem schickten die Israelis den britischen »Centurion«-Panzer ins Gefecht, einen Kampfwagen aus dem Anfang der fünfziger Jahre. Seine 105-Millimeter-Kanone hat zwar eine noch größere Durchschlagskraft als das Geschütz des M 48, der Centurion hat aber keinen optischen Entfernungsmesser. Aus dem Turm-MG muß der Richtschütze mit Leuchtspur-Munition so lange kurze Feuerstöße abgeben, bis das Ziel getroffen ist. Am Visiergerät liest der Schütze die korrekte Entfernung zum Gegner ab -- und feuert erst dann mit der schweren Kanone.

M 48 und Centurion walzten den Widerstand der arabischen Truppen nieder und schossen mindestens 200 gegnerische Panzer in Brand -- vorwiegend sowjetische Kampfpanzer des Typs T 54. Dieser nur 2,40 Meter hohe, stromlinienförmige Panzer mit 100-Millimeter-Kanone bietet im offenen und flachen Wüstengelände ein schlechteres Ziel als der 70 Zentimeter höhere M 48 der Israelis.

Dennoch war er gegenüber den israelischen Kampfwagen von Anfang an im Nachteil: Dem T 54 fehlt der Entfernungsmesser. Die Besatzung muß die Entfernung zum Gegner schätzen, was wegen des Intelligenzgrades der ägyptischen Panzerschützen und der weiten Flächen der Wüste besonders schwierig ist.

Zur gleichen Zeit, da die Panzer nach Sinai und Jordanien rollten, griffen Israels französische »Mystère«-Jagdbomber die arabischen Flugplätze an. Um 13.25 Uhr am Montag blieb die Uhr am Kontrollturm des Flughafens von Amman stehen, um 13.80 Uhr mußte Radio Amman sein Programm einstellen, weil der Sender getroffen war.

In Ägypten zerstörten die israelischen Bomber beim ersten Anflug bereits 16 Flugplätze und ägyptische Raketen-Abschußrampen. Dajans Piloten flogen bis zu acht Einsätze am Tag -- und narrten die ägyptische Abwehr: Sie flogen nicht über Land, sondern vom Mittelmeer her an. Nassers Luftspäher identifizierten daher die israelischen »Mystère« als Flugzeuge der amerikanischen und britischen Flugzeugträger im Mittelmeer.

Im Tiefflug umgingen die Israelis die arabischen Radaranlagen und zerstörten mit leichten Spezialbomben die am Boden stehenden Maschinen der sowjetischen Typen Mig-17, 19, 21, Iljuschin-28, Suchoi-27. Was in die Luft entkam, wurde von den aus Frankreich stammenden israelischen »Mirage«-Düsenjägern mit französischen »Matra«-R 530-Raketen abgeschossen.

In minuziöser Generalstabsarbeit warteten die Israelis für den zweiten Angriff den Zeitpunkt ab, zu dem die arabischen Maschinen wieder gelandet waren, um Treibstoff und Munition aufzunehmen.

Am Mittwochabend verkündete General Hod, der Kommandeur der israelischen Luftwaffe: »Der Luftkrieg ist vorbei. Wir haben bis zu diesem Tage 441 Flugzeuge zerstört, davon am ersten Tag 410, am zweiten Tag 17 und heute den Rest«

Hod zählte auf, was die Israelis vernichtet hatten, und betonte -- mit erhobener Stimme -- den größten Erfolg: die Zerstörung von 145 Sowjet-Jägern des Typs Mig-21 -- fast der gesamte Mig-Bestand, den Moskau in den Nahen Osten geliefert hatte.

Die Mig-21, nicht minder modern als die israelischen Mirage 111 C, waren der Stolz der Araber. Doch die Abfangjäger mit mehr als doppelter Schallgeschwindigkeit, zielsuchenden Luft-Luft-Raketen »Atoll« und je zwei 30-Millimeter-Kanonen waren in arabischer Hand fast wertlos.

Denn moderne Waffensysteme dieser Art verlangen vorzüglich ausgebildete Piloten und qualifiziertes Personal für Bedienung und Wartung. Die Israelis erwiesen sich als hervorragende Techniker und Piloten, den Besten der westlichen Armeen ebenbürtig. Die Araber indessen waren im Umgang mit Düsenjägern und modernen Panzern schwerfällig und brachten den für hochtechnisierte Waffen unerläßlichen Teamgeist nicht auf.

Mit dem ihnen eigenen Sicherheitsbedürfnis gruben sie ihre Panzer im Wüstensand ein und sicherten diese Bollwerke noch durch Minenfelder -- auf die sie dann fuhren, wenn der Rückzug geboten erschien.

Als über ägyptischen Linien eine Mig-21 aus Versehen eine andere Mig-21 abschoß, holte ägyptische Flak auch noch die zweite Mig vom Himmel -- in der Annahme, es sei ein israelisches Flugzeug.

1956 -- so hatte Mosche Dajan in seinem »Tagebuch des Sinai-Feldzugs« geschrieben -- »verfügten die Ägypter weder über wirksame Waffen noch über die Kampfmoral, um unseren Luftangriffen zu widerstehen«. Diesmal hatten sie die erforderlichen Waffen, die Kampfmoral aber fehlte immer noch.

Am Abend nach der Eroberung der Klagemauer und der Altstadt von Jerusalem gab Mosche Dajan eine Pressekonferenz. Über seine Truppen sagte er nur zwei Sätze: »1956 war die israelische Armee gut, jetzt war sie wesentlich besser. 1956 hat sich die Luftwaffe als Regenschirm bewährt, diesmal wirkte sie wie ein Hagelschauer.«

Über die Ägypter urteilte er: »Nasssers Soldaten haben sich zwar besser geschlagen als 1956, die arabischen Offiziere aber waren wieder unter aller Kritik.«

Wie 1956 zeigte sich neben den Offizieren auch das Gros der ägyptischen Armee dem harten, disziplinierten Gegner nicht gewachsen.

Ägypten rekrutiert seine Soldaten aus Fellachendörfern am Nil, wo 60 Prozent der Männer nicht einmal bedingt wehrfähig sind: Sie leiden an der Bilharzia, einer auszehrenden Wurmerkrankung.

Die Ausbilder müssen den Rekruten, die später modernes Kriegsgerät beherrschen sollen, bei den ersten Exerzier-Übungen oft eine Zwiebel in die eine und einen Stein in die andere Hand drücken: damit sie lernen, wo links und rechts ist.

Die Gemeinen werden schlecht besoldet, schlecht gekleidet und schlecht behandelt -- von Offizieren, die in allen arabischen Ländern von Mauretanien bis Jordanien eine privilegierte Kaste bilden.

Offiziere beziehen im unterentwickelten Ägypten die höchsten Gehälter, sie wohnen in den schönsten Villen und erhalten die lukrativsten Staatsposten. Militärs besetzen die 24 Gouverneursposten des Landes. Schon ein Leutnant verdient unter Nasser 340 Mark -- ein Jungakademiker im Staatsdienst nur 200.

Ägyptens Armee -- das sind zwei Armeen: die der Offiziere und die der Soldaten.

Vor zwei Wochen lockten die Israelis an der Sinai-Grenze einen Ägypter-Jeep in die Gefangenschaft. Die drei Offiziere im Jeep waren wie aus dem Kasino gepellt: Sie trugen feinste Tuchuniformen, frischgewienerte Lederstiefel und glänzendes Koppelzeug. Die zwei Soldaten im Wagen wirkten wie abgerissene Partisanen: zerlumpte Uniformen, unrasiert, an den Füllen billige Tennisschuhe.

Auf der Sinai-Halbinsel fanden die Israelis in einer Panzerstellung für vier Mann neben den Erdlöchern für die Mannschaft einen Offiziersbunker mit Offiziers-Latrine.

Angehörige der »Palästinensischen Befreiungs-Armee« mit rotchinesischen Maschinengewehren.

Unter den gefallenen und gefangenen Ägyptern gab es nur wenige Offiziere: Sie hatten sich beim Nahen des Feindes in ihren Jeeps in Richtung Heimat abgesetzt.

In einem jordanischen Offiziersbunker fanden die Eroberer Nackedeis aus »Playboy«-Heften, Kopfschmerztabletten aus England, Kartoffelkonserven aus Polen, Büromaterial aus Rotchina, Spielkarten und Photos der Insassen in Gala-Uniform vor.

Die Obristen des dritten Heiligen Krieges gegen Israel hatten nichts mehr gemein mit den Reiterführern dein ersten Heiligen Kriege der Araber, die mit Kampf geist, Kismetglauben und Opfermut vor fast dreizehn Jahrhunderten ein Weltreich von den Pyrenäen bis nach Indien eroberten. Mit den Arabern dieser Heldenepoche verbindet die seit Jahrhunderten degenerierten Nachfahren des Propheten Mohammed nur noch der Hang zu phantasievollem Fabulieren: Ihre Kriegsberichte aus Sinai lasen sich wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht.

Glaubte man den ägyptischen Erfolgsmeldungen, so war Israels Panzer- und Luftwaffe am dritten Kriegstag völlig ausgelöscht; die vorstoßenden Israelis konnten eigentlich nur noch eine Geisterarmee sein.

Doch die Araber dürsten nach Parolen und Pathos. »Wie kaum ein anderes Volk«, urteilte der britische Araberfreund und Ex-Staatssekretär Nutting, »denken und handeln sie emotionell und irrational.«

In der Moslem-Überzeugung, daß alles in Allahs Hand liege, Allah über den Lauf der Kugel, über Sieg oder Tod entscheide, marschierten die Ägypter in den gleichen Formationen an den Orten der Niederlage von 1956 wieder auf. Die Israelis brauchten ihre Schläge nur zu wiederholen.

Getreu dem arabischen Lieblings-Schauspiel, der »Fantasia« -- einem Reitersport mit ziellosem Gewehrgeknalle-, pulverten die Ägypter blindwütig Granaten und Bomben in die Gegend, bevor sie sich zur Flucht wandten. Sie plazierten ihre Flugzeuge auf weißgetünchten Quadraten -- so daß die Israelis sie schon von weitem ausmachen konnten.

In der Legende werden sie letztlich dennoch siegen -- so wie 1956. Denn eine ägyptische Armee wurde noch nie geschlagen. Noch heute werden Briefe in Nassers Land mit Marken aus dem Sinai-Suez-Krieg von 1956 frankiert -- in dem die Ägypter fast so eilig retirierten wie 1967: Es sind Sieges-Marken.

Auch jetzt verkündeten, während die Israelis Nassers Divisionen zum Suez trieben, arabische Diplomaten in aller Welt ägyptische Glorie. »Der Sieg ist unser! Berichten Sie der Welt, daß wir des Sieges sicher sind, absolut sicher«, dröhnte Said el-Sarki, Presse-Attaché Nassers in Nairobi, vor Journalisten noch am Donnerstag letzter Woche.

Der Blitz-Vorstoß der Israelis sei in Wahrheit eine ägyptische Kriegslist: »Die Israelis sind in eine arabische Falle gelaufen. Wir haben die Angreifer hereinkommen lassen. Nun werden wir sie total vernichten.«

El-Sarkis letzte Weissagung: »Präsident Nasser hat noch kein Wort gesagt. Aber, bei Gott, wenn er es sagen wird, zittert die ganze Welt, und die Juden werden vernichtet.«

Als Nasser die Sprache wiederfand, elektrisierten seine Worte in der Tat die Welt: Der Neuerer Ägyptens, die Hoffnung der Araber, der Führer der dritten Welt, offerierte seinen Rücktritt.

In 13 Herrscherjahren hat der oberägyptische Postmeistersohn das Antlitz der arabischen Welt verändert. Er half, den korrupten König Faruk vom Thron zu jagen, und stürzte dann selbst den Faruk-Bezwinger General Nagib. Er brachte den Suezkanal unter Kairos Oberhoheit und machte bei den Russen Milliarden locker

für den Bau des gewaltigsten Stauwerkes der Welt: den Assuandamm.

Er vereinigte Syrien mit Ägypten und ging daran, den von ihm besetzten Jemen als Hebel für die Machtergreifung in ganz Südarabien zu nutzen.

Doch in den letzten Jahren sank der Stern des Pharao am Nil. Syrien fiel wieder von Kairo ab, im Jemen verbluteten ägyptische Divisionen, die Araber-Staaten verzankten sich untereinander immer mehr. Ägypten wurde -- pro Kopf der Bevölkerung -- zum größten Schuldner in Ost und West (Auslandsverschuldung: zwölf Milliarden Mark), seine Wirtschaft schlitterte ins Chaos.

Durch den Waffengang gegen Israel hoffte Nasser, sich wieder an die Spitze der arabischen Welt zu katapultieren und deren Nöte vergessen zu machen.

Doch dabei überhob sich der einstige Gewichtheber (Teilnehmer an den Olympischen Spielen 1936 in Berlin).

»Ich kann die Tatsache nicht verbergen«, sagte Nasser, 49, am letzten Freitagabend vor seinem Volk, »daß Ägypten einen schweren Rückschlag erlitten hat, Für diese Tragödie nehme ich die volle Verantwortung auf mich.« Zum Nachfolger schlug Nasser zunächst seinen Vize Zakaria Mohieddin vor, der gute Kontakte zu Politikern im Westen hat.

Sogleich demonstrierten die Ägypter für ihren leidgeprüften Helden. Der versprach mit theatralischer Geste, den zuvor »endgültigen« Abgang noch mal zu überdenken und -- »wenn Gott will« dem Volk anheimzugeben. Das Parlament beschloß daraufhin: »Du bist unser Führer. Du sollst es bleiben, solange wir leben.«

Die Führer Ägyptens waren nicht zuletzt, das Opfer ihres mächtigsten Verbündeten geworden.

Die Russen, von den Arabern heftig um Hilfe bedrängt, hatten den Botschaftern der arabischen Staaten zum Einlenken geraten: Sie konnten und wollten für die unsicheren Verbündeten in Nahost nicht tun, was sie dem Genossen Ho Tschi-minh in Vietnam seit Jahren verweigern: eine direkte militärische Intervention.

Vergebens schworen die Araber, amerikanische und britische Flugzeuge hätten eingegriffen. Die Russen glaubten den Wüstensöhnen nicht mehr.

Nur mit Worten donnerte Moskaus Fedorenko gegen die siegreichen Juden. Mit Worten half sogar Peking: Auf der Seite der Araber, gelobte die »Volkszeitung«, ständen 700 Millionen Chinesen -- »bewaffnet mit den Gedanken Mao Tse-tungs«.

Sie konnten Sinai so wenig retten wie die Hilfstruppen, die Pakistans Ajub Khan und Marokkos Hassan -- dessen Wirtschaft entscheidend von jüdischen Unternehmern abhängt -- in letzter Minute ankündigten.

Der Zorn der verlassenen Fantasia-Krieger richtete sich nun gegen den vermeintlich treulosen Bundesgenossen im Kreml. »Das ist Moskaus bedingungslose Kapitulation gegenüber Israel«, sagte der irakische Außenminister Pachachi. In den Straßen Kairos fragten bestürzte Ägypter: »Warum haben die Russen uns verlassen?«

»Wenn sich die Russen über die militärischen Qualitäten der Araber irrten, so die Araber auch über den Willen der Russen, ihnen im Ernsttüll zu helfen«, sagte ein hoher westlicher Nahost-Diplomat.

Als sich arabische Uno-Diplomaten über mangelnde Qualität der sowjetischen Waffen beklagten, antwortete ein Russe: »Es liegt nicht an den Waffen, sondern an den Männern, die sie bedienen.«

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