VERKEHR Tolle Hechte
Am 9. Mai, gegen 17 Uhr, auf der Autobahn München--Salzburg zwischen den Anschlußstellen Hofolding und Holzkirchen: Eine 34jährige Hausfrau aus München steuert ihren Opel Ascona auf der falschen Fahrbahn Richtung Süden. Bei Kilometer 21,3 prallt sie frontal auf den Ford Granada eines Ingenieurs aus Württemberg. Beide Fahrer sind auf der Stelle tot.
Am 20. Mai, kurz nach Mitternacht, auf der Autobahn Salzburg--München zwischen den Anschlußstellen Siegsdorf und Bergen: Ein 40jähriger Angestellter aus Traunstein fährt mit seinem BMW auf der verkehrten Fahrbahn Richtung München. Am Chiemsee rast er mit Vollgas in einen entgegenkommenden Lastwagen und stirbt in den Trümmern seines Fahrzeugs.
Es waren nur zwei von 53 Geisterfahrten, die in diesem Jahr allein in Oberbayern von der Polizei bis Mitte Juni registriert wurden. Und in Bayern auch wurde vermutlich der diesjährige Streckenrekord aufgestellt: 40 Kilometer verkehrt, Anfang Januar bei Würzburg.
Daß sich die Irrfahrten, aus welchen Gründen auch immer, im Freistaat Bayern häufen (1979 war es etwa jeder fünfte der rund 1800 im Bundesgebiet gezählten Fälle), wird schon seit Jahren beobachtet. Und so sehr bewegt Verkehrsexperten und Politiker zu München die große Geisterschar, daß sie dem Spuk nun von der strafrechtlichen Seite beikommen wollen. Auch Falschfahrer, die keine Unfälle verursachen, sollen über die bislang drohende Geldbuße hinaus mit Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren belangt werden können -so ein einstimmiger Beschluß des Rechtsausschusses im bayrischen Landtag. Via Bundesrat in Bonn soll die Staatsregierung eine einschlägige gesetzliche Bestimmung erwirken.
Die Initiative zielt auf den Paragraphen 315c des Strafgesetzbuches ("Gefährdung des Straßenverkehrs"), der Haftstrafen zwar für das Wenden und Rückwärtsfahren auf Autobahnen androht, aber das Vorwärtsfahren in verkehrter Richtung unerwähnt läßt.
Denn obschon die vom Gesetzgeber gemeinte Gefährdung wohl eher beim Fahren in der falschen Richtung zu suchen ist als bei der Betätigung des Rückwärtsgangs, gehen die Gerichte noch immer von einer »Lücke in der Rechtsprechung« aus. So im April vergangenen Jahres das Landgericht Dortmund im Fall eines Falschfahrers, dem es mit dieser Begründung wieder zu dem in der Erstinstanz entzogenen Führerschein verhalf: »Nach Rechtslehre und Rechtsprechung ist mit 'Rückwärtsfahren' das Fahren nach hinten mit Rückwärtsgang, jedoch nicht das in falscher Richtung nach vorne gemeint.«
Auch ein »Hindernis« für den fließenden Verkehr im Sinne des Paragraphen 315b stellen Geisterfahrer nicht dar. Denn diese Strafbestimmung erfaßt nur »von außen kommende Eingriffe in den Straßenverkehr« -- während ein Geisterfahrer, wenn auch auf falsche Weise, selbst am Verkehr teilnimmt.
Mithin kann das unfallfreie Herumgeistern auf der Autobahn bislang lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, mit Geldbußen (Regelsatz: 300 Mark), Entzug der Fahrerlaubnis (bis zu drei Monaten) und drei Punkten in der Flensburger Verkehrssünderkartei, es sei denn, die Tour hat mit einem Wendemanöver begonnen. Drastische Strafen aber scheinen den bayrischen Falschfahrt-Verfolgern insbesondere geboten, wenn es sich, so der CSU-Landtagsabgeordnete und Rechtsexperte Paul Diethei, um »echt kriminelle Handlungen« dreht.
Nach einer Untersuchung der Kölner Bundesanstalt für Straßenwesen geistern 36 Prozent der Falschfahrer unter Alkoholeinfluß, und 29 Prozent wählen die falsche Richtung auch nüchtern, einfach nur, weil sie eine Ausfahrt verpaßt haben oder einem Stau entgehen wollen.
Und irgendwo in diesen zwei Dritteln stecken auch jene, die nach Ermittlungen der Polizei das Richtungsrisiko als Mutprobe betrachten oder eine Wette daraus machen. Diethei glaubt sogar: »Für Leute, die sich für besonders tolle Hechte halten, ist das regelrecht zum Hobby geworden.«
Einstweilen kann das Hobby noch straflos gepflegt werden. Zwar wird auch im Bundesjustizministerium die »Problematik sehr wohl erkannt«, so Pressesprecher Sepp Binder, und Experten des Ministeriums prüfen die vorgeschlagene Paragraphen-Erweiterung.
Doch mit einer Vorlage im Bundestag ist erst »bei passender Gelegenheit« zu rechnen, wenn wieder ein »größeres Bündel« (Binder) an Gesetzeskorrekturen beieinander ist -- Schonzeit für mobile Geister mindestens bis zur Wahl.