Martin Morlock TOP SECRET
Bei den »Vereinigten Flugtechnischen Werken« (VFW) in Bremen, dem Unternehmen, das gemeinsam mit anderen die Europa-Version des klagenumwobenen Starfighters F 104 G hervorbringt, herrscht Historische-Stunden-Stimmung.
Ein Vier-Sterne-General der U.S. Air Force weilt zu Gast und soll der Presse vorgestellt werden: Bernard ("Ben") Adolf Schriever, 55 Jahre, 1,88 Meter; emigrierter Sohn der Hansestadt, siebenfacher Ehrendoktor, vom Völkermund »Raketenvater« ("Time") und »Schlieffen der Weltraumzeit« ("Die Welt") zubenannt; seit 1961 Befehlshaber des »Air Force Systems Command« (AFSC), jener Behörde, die für sämtliches Luftkriegsgerät von der Konzeption bis zur Lieferung an die Truppe verantwortlich zeichnet.
Den Mann wollen die VFW präsentieren, der, wider US-Parlamente und -Präsidenten lökkend, das Raketenprogramm vorwärtstrieb, »unser Vermögen, im Weltraum (militärisch) zu operieren«, für den »Schlüssel unseres
überlebens« hält und der fortan als Programmdirektor ("Director of the Manned Orbiting Laboratory Program") nicht rasten wird, bis die erste bemannte Raumstation diesen Planeten umrundet.
Sein Auftritt ist gut vorbereitet. Zuerst wird ein Buntfilmchen gezeigt, das mit der zu Herzen und Augen gehenden Kunstfertigkeit eines Walt Disney die Existenz des AFSC berechtigt erscheinen läßt: Nie sah ich gefälligere Atompilze, nie farbenfreudigere Bombenteppiche. Die »Atlas«-Rakete, gelbschwarz-rot geschminkt, kontrastiert anmutig mit dem Azurblau des Himmels; Naphthal-Feuerzauber, zur Befriedung von Guerilla-Stützpunkten ersonnen, schmeichelt der Netzhaut; sogar das konventionelle Abwurfgut hat ein wenig Signal-Rouge aufgelegt.
Auch die Public-Relations-Prospekte, die AFSC überreichen läßt, verströmen - unaufdringliche Eleganz. Man ist versucht, bei einer der 14 Abteilungen dieses exklusiven Hauses, etwa bei der »BSD« (Ballistic Systems Division), wenn schon keine »Thor«, so wenigstens eine »Minuteman« zu bestellen.
Wie mag er wohl aussehen, der Top-Manager der Abschreckung? denke ich, als sein Schritt im Korridor vernehmlich wird.
Er sieht aus, wie Berthold Beitz aussehen würde, wenn er der Halbbruder von Rock Hudson wäre und einen Vetter mit Namen James Stewart besäße.
Man möge, ersucht eine schnurrbärtige Begleitperson, dem Träger allerhöchster Geheimnisse »keine politischen Fragen stellen«.
Die Erkundigung, was ihn denn nach Bremen geführt habe, ist rasch beantwortet: Der General hat seine Heimatstadt seit 1917 nicht mehr gesehen.
Auf die nachstoßende Frage, ob es in den USA auch so viele Schwierigkeiten mit dem Starfighter gebe, faltet Schriever ein unbeschriebenes Blatt Papier genau in der Mitte und falzt den Knick mit dem Zeigefingernagel. Nein, sagt er endlich, die F 164 G sei »ein sehr gutes Flugzeug« und werde drüben von allen Piloten hoch geschätzt.
Wie es in Vietnam stehe? - In Vietnam (das leere Blatt wird umständlich geviertelt) herrsche »eine sehr dynamische Situation": Als das Papier kantengleich auf ein Zweiunddreißigstel geschrumpft ist, will jemand wissen, was es mit dem Raketenrüstungsstand der Russen für eine Bewandtnis habe. Jäh weht Film - Lustspielcharme
über Schrievers Miene, und sein verschmitztes »I have no comment on this question« klingt wie Bettgeflüster auf die Doris-Day-Frage: »Wirst du mich dann aber auch heiraten, Liebling?«
Nach der Pressekonferenz knüpfe ich, kurzfristig unter vier Augen, ein Gespräch an, hoffend, von Mann zu Mann Unerhörtes zu erfahren.
Ja, den Franz-Josef Strauß, den kenne er gut; ein wenig auch den Kai-Uwe von Hassel. Welcher von beiden ihm sympathischer sei? - Der Weltraum-Schlieffen betrachtet mich wie einen vorzeitig abgebrochenen Countdown, behält aber unterhalb der Nase sein Rock-Hudson-Lächeln bei.
Um überhaupt noch Bescheide zu erlangen, schweife ich ab zur Intimsphäre:
»Sie sind seit 1938 verheiratet, und Ihre Frau heißt Dora?«
»Ja.«
»Sie haben einen Sohn und zwei Töchter?«
»Ja.«
»Sie spielen gerne Golf?«
»Ja.«
Durch eine so unverfängliche Wißbegier vertraulich gestimmt, entschlüpft ihm etwas für mich Neues, so daß ich die Hansestadt Bremen nicht unverrichteterdinge verlassen muß: Bernard Adolf Schriever, höre ich, geht auch ab und zu fischen.
Schriever