Tornado: Das Monster von Manching
Die Luftfahrtschau im britischen Farnborough, Monstermesse der Technologie- und der Tötungsbranche, hatte schon manches Absonderliche gezeigt. Im Jahre 1976 aber führte sie etwas unvergleichlich Neues vor: Die gesamte Luft-, Raumfahrt- und Elektronik-Industrie des Westens präsentierte sich in einem einzigen Produkt.
Das Produkt maß 16,5 Meter in der Länge und 13,5 Meter Spannweite über die Flügel. Um das Produkt herum lagerte eine furchterregende Kollektion von Bomben, Raketen, Schuß- und Lenkfeuerwaffen, lagerte das ganze Arsenal moderner Overkill-Technik, mit der die Militärs dem Lande Sicherheit und der Rüstungsindustrie immerwährende Beschäftigung versprechen.
Generale und Generaldirektoren, Politiker und Passanten bestaunten einen Donnervogel, der unverletzlich sein sollte und superschnell, einen Alleskönner, der toter schießen sollte als seine Vorgänger, der zu sämtlichen Ab- und Unarten gepflegter Luftkriegsführung fähig zu sein hatte.
Das Flugzeug, um das es geht, hieß zuerst NKF (Neues Kampfflugzeug), dann MRCA (Multi Role Combat Aircraft oder Mehrzweckkampfflugzeug), dann Panavia und schließlich Tornado. Mit jeder Entwicklungsstufe kam ein neuer Name, mit jedem Namen wuchs das militärindustrielle Potential, und mit jedem Wachstumsschub der Industrie wurde das Produkt teurer: erst 10, dann 24, jetzt 67,5 Millionen und am Ende wohl über 100 Millionen Mark pro Stück.
Für den Preis eines Tornado ist in bester City-Lage ein 300-Betten-Spitzenhotel mit Konferenzzimmern und Swimming-pool zu haben. Der Preis von drei Tornados übertrifft das Aktienkapital der Hapag-Lloyd AG, der größten deutschen Reederei.
»Mit der Kontrolle eines so komplizierten Waffensystems«, so der SPD-Abgeordnete Georg Schlaga, einst Mitglied des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag, »sind Minister und Parlamente hoffnungslos überfordert.« Ein Ding wie der Tornado, mußten sie erfahren, geht nicht mehr zu bremsen, wenn es erst gestartet ist.
Denn am Tornado hängen ein paar Dutzend große Systemfirmen, die über einen Generalunternehmer das direkte Geschäft der Entwicklung und der Fertigung betreiben.
Am Tornado hängen rund 500 Zulieferanten und 70 000 Beschäftigte in drei großen Nato-Ländern, in Großbritannien, Italien und der Bundesrepublik Deutschland. Am Tornado hängt ein Gesamtumsatz von hundert Milliarden Mark.
Um den Tornado ist ein Riesenfilz von Militärs und Industriellen, von internationalen, nationalen und regionalen Größen der Politik, ist eine ganze Generation von Entwicklungstechnikern, sind die Betriebsräte der System- und der Produktionsunternehmen, die Wehr- und die Haushaltsexperten der Parteien, die ihre Beschlüsse von einst verteidigen müssen -- und keiner kann mehr zurück.
Am Tornado sanieren sich internationale Luftfahrt- und Triebwerksunternehmen, verdienen die Elektronik- und die Hydraulikfirmen, profitieren die Waffenfabriken und die Hunderte von zufälligen Teilhabern dieses Konglomerats -- sogar die sozialdemokratischen Stadtrepubliken Hamburg und Bremen.
Am Tornado wollten die alten Technik-Nationen Großbritannien, Italien S.35 und Deutschland beweisen, daß sie mit amerikanischer Hochleistungstechnologie wieder mithalten können -- koste es, was es wolle.
Industrielobby und Technikerwahn, militärische Perfektion und politisches Imponiergehabe schufen jene sogenannten Sachzwänge, die das Flugzeug Tornado am Ende zehnmal so teuer werden ließen, wie veranschlagt, und es meilenweit von seiner einstigen Zielvorstellung entfernten. »Die Luftwaffe«, so der einstige Luftwaffen-Oberstleutnant und sachkundigste Tornado-Kritiker Alfred Mechtersheimer in einer Fallstudie, »bekam ein Flugzeug, das sie gar nicht haben wollte.«
Wegen des Flugzeugs, das die Luftwaffe nicht haben wollte, gerät der Bundeshaushalt des Finanzministers Hans Matthöfer durcheinander, wackelt der Stuhl des Verteidigungsministers Hans Apel und wird das Land von dem düsteren Verdacht durchzogen, um das Militär und die Finanzen entfessele sich ein Jahrhundert-Skandal.
Wenn es aber schon der große Skandal sein soll, dann eher der einer militärindustriellen Technokratie, der Grauzone zwischen Landesverteidigung und Geschäft, des Netzwerks von Staaten, Soldaten und Syndikaten, das noch jeden Abgeordneten und Minister fängt, der sich zu lange und zu dicht damit einläßt.
Die Eigendynamik des militärindustriellen Komplexes, seine Unkontrollierbarkeit und Unkonzipierbarkeit, seine nur formelle, nicht aber tatsächliche demokratische Legitimation sind der eigentliche Skandal, für den der Name Tornado steht.
Dabei hatte alles ganz ehrenwert begonnen. General Johannes Steinhoff, Inspekteur der Luftwaffe und bemerkenswertester Kopf der Bundeswehr, war den Militärs im Jahre 1967 damit gekommen, die Luftwaffe brauche ein neues, vielfach verwendbares Kampfflugzeug, mit dem der pannenreiche Starfighter ersetzt werden sollte.
Steinhoff forderte ein flexibles und schnelles Flugzeug, das von Europäern für Europäer gebaut werden sollte und das nicht erst durch Umrüstungen »germanisiert« werden mußte wie der Starfighter. Er forderte ein Vielzweckflugzeug zu niedrigen Kosten, einen »Volks-Jäger«, ein »Wegwerfflugzeug« unter zehn Millionen Mark je Stück, und davon allerdings allein für die Bundeswehr runde 700 bis 800 Exemplare.
Die Nato-Strategie nämlich hatte sich damals vom Starfighter-Konzept der massiven Vergeltung (mit Atomsprengköpfen) abgewandt und in eine »flexible Antwort« (mit konventionellen Waffen, aber über das gesamte Gefechtsfeld) gewandelt.
Steinhoff wollte deshalb einen Jet, der auf kurzen Rollbahnen starten und landen konnte, der im Tiefflug einfache und in 10 000 Meter Höhe nahezu doppelte Schallgeschwindigkeit erreicht. Das Flugzeug, schlug der auch in Industrie-Dingen bewanderte General vor, solle von den Deutschen »mit einem anderen potenten Partner« gebaut werden.
Doch anders als der Auto-Professor Ferdinand Porsche, der die ihm für den deutschen Volkswagen gegebenen Daten Punkt für Punkt erfüllte, kam die Luft- und Raumfahrt-Industrie mit Steinhoffs Volks-Jäger nicht zurecht. Schon bald sah alles ganz anders aus.
Steinhoffs NKF war ursprünglich als Aufklärer, als Jäger für den Luft- und den Erdkrieg sowie als Bomber mit der Fähigkeit der Verteidigung und des aggressiven Nukleareinsatzes vorgesehen gewesen. Er hatte wegen dieser fünf Rollen das Nato-Kürzel »Multi Role Combat Aircraft« (MRCA) erhalten. Aber im Laufe der Zeit gingen immer mehr dieser Rollen abhanden, kamen immer mehr Aspiranten für die MRCA-Herstellung hinzu, stiegen die Kosten immer steiler.
1969 verhandelten die Deutschen schon mit Kanadiern, Belgiern, Niederländern, Italienern und Briten über ein Sechs-Nationen-Flugzeug, mit dem sämtliche Staaten sich von der übermächtigen US-amerikanischen Luftfahrt-Industrie abkoppeln wollten.
Doch die sechs Partner verhedderten sich bald wegen unterschiedlicher Erwartungen an das Gemeinschaftsprodukt. Kanadier und Belgier sprangen rasch wieder ab, für die Niederländer kündigte deren Verteidigungsminister Wim den Toom die Gespräche mit dem Bemerken »Zu groß, zu schwer, zu teuer, zu spät«. Neun Jahre später bestätigte der Tornado-Kritiker Mechtersheimer das Urteil des Holländers: Der Tornado sei »im Grunde ein Flugzeug der frühen sechziger Jahre«.
Schließlich unterschrieben Briten, Italiener und Deutsche ein Memorandum über die Herstellung des MRCA, doch sie taten es mit neuen Kompromissen. Die Briten nämlich verlangten längere Reichweite, weil sie ihre veralteten »Vulcan«- und »Canberra«-H-Bombenträger damit ersetzen wollten. Die Deutschen und die Italiener wollten schnellere Träger mit kürzeren Reichweiten.
Schon bald waren drei der Multi-Zwecke des MRCA über Bord: Nur S.37 noch als Bombenträger für Konventionelles und Atomares taugte das Ding nun. Deshalb kamen zum unmittelbaren Preisanstieg noch mittelbare Zusatzkosten.
Denn für die weggefallenen Zwecke des Erdkampfes, der Aufklärung und der Jägerei mußte die Bundeswehr Zusatzware einkaufen: 175 deutsch-französische Alpha-Jets und 185 Phantom-Flugzeuge für insgesamt acht Milliarden Mark.
Der finanzielle Aufwand hätte dennoch fast gleich bleiben können, wäre nun nicht jenes militärindustrielle Netz geknüpft worden, das sich politischer Kontrolle und betriebswirtschaftlichem Handeln mehr und mehr entzog.
Zunächst beschlossen die Regierungen der MRCA-Mitgliedsländer Großbritannien, Italien und Westdeutschland den Bau von insgesamt 809 Kampfflugzeugen. Davon sollten die Briten 385 erhalten, und zwar in zwei verschiedenen Versionen. Auch die Deutschen nehmen -- für die Luftwaffe und für die Marine -- zwei unterschiedliche Ausführungen ab: insgesamt 324 Stück. Die Italiener begnügten sich mit genau hundert Stück eines Einheitstyps.
Nach diesem Grundsatzentschluß ging es ans Feilschen um Prozente. Jeder wollte seine Beteiligung an der Produktion hoch und die an den Kosten niedrig halten. Ganz von selbst mußten dabei Prozente herauskommen, die ungefähr dem Anteil der Länder am Kauf der Flugzeuge entsprachen. Punktsieger beim Beteiligungs-, Finanzierungs- und Abnahme-Roulett blieben die Italiener.
Zunächst gründeten die drei großen Technologiefirmen der Mitgliedsländer eine gemeinschaftliche Projektgesellschaft mit dem Phantasienamen Panavia Aircraft GmbH. Sie erhielt ihren Sitz in München. An ihr beteiligten sich das britische Luft- und Raumfahrtunternehmen British Aerospace und die deutsche Messerschmitt-Bölkow-Blohm GmbH (MBB) zu je 42,5 Prozent. Die restlichen 15 Prozent blieben der italienischen Aeritalia.
Nachdem die Beteiligung an Produktion und Gewinn klar war, wurde um die Finanzierung neu gemarktet. Dabei einigten sich die drei Partner auf etwas andere Prozentsätze: Briten und Deutsche steuern jeweils 44,5 Prozent, die Italiener nur elf Prozent der Kosten bei.
Das Organisatorische war damit aber noch längst nicht erledigt. Denn zu dem reinen Projektführer-Unternehmen Panavia und seinen Teilhabern gehörte sich eine militärische Gegenstelle. Um sie zu schaffen, bildeten die drei Länder zunächst eine sogenannte pooling group, die ihrerseits die Nato MRCA Management Organization (Nammo) aus der Taufe hob.
Der Nammo Board of Directors wiederum unterstellte sich nun die Nato MRCA Management Agency (Namma), die sich in sechs Fachabteilungen aufgliederte, und zwar für
* Systems Engineering,
* Einsatz, Ausbildung, Logistik,
* Finanzen, Verträge,
* Planung, Programme,
* Fertigung, Gütesicherung,
* Verwaltung, Personal. Auf so feine Weise durchorganisiert und mit Verwaltungsvorgängen befrachtet, schlossen die Nammo-Verweser nun mit drei großen industriellen Gruppen ihre Hauptverträge ab:
* Die Münchner Panavia (British Aerospace, MBB, Aeritalia) sollte Zelle, Bodengerät und flugtechnische Einrichtung liefern;
* die zum Bad Homburger Quandt-Konzern zählende Waffenfabrik Mauser, eine Tochter der Industrie-Werke Karlsruhe Augsburg (IWKA), sollte die Bordkanone bauen;
* die von Rolls-Royce, Fiat und MTU (Daimler-Benz, MAN) gebildete europäische Turbo-Union sollte das Triebwerk, eine Rolls-Royce RB 199, entwickeln und bauen.
Um das Tornado-Programm termingerecht abzuwickeln, wurden für den Fall von Verzögerungen Vertragsstrafen vereinbart. Außerdem einigten sich die Partner über Höchstpreis-Klauseln, die allerdings nur für den Fall unveränderter wirtschaftlicher Verhältnisse gelten sollten. Die Höchstpreise werden jeweils in Festpreise umgeschrieben, wenn eine neue Produktionsrate freigegeben ist.
Als System-Preis -- das Flugzeug plus Ersatzteile im Wert von 65 Prozent des nackten Flugzeugs -- dachten sich die Partner Anfang der 70er Jahre 24 Millionen Mark pro Flugzeug aus: Aus dem NKF war über die MRCA 75 nun die »Panavia 200« geworden.
Aus lockeren militärischen und zivilen Beziehungen war gleichzeitig eine feste organisatorische Bindung zwischen der Nato und der Welt-Rüstungsindustrie entstanden, aus einem wenigstens noch militärpolitisch begründeten Projekt wurde unwiderruflich ein Objekt der militärwirtschaftlichen Super-Technokratie. Die politische Kontrollmöglichkeit war nun genauso weg wie die Prinzipien einer Wettbewerbswirtschaft.
Denn das Panavia-Namma-Nammo-System hatte mit seiner Gründung gleich den entscheidenden Fehler mitbekommen: Noch bevor das Flugzeug vom Reißbrett in die Entwicklung geriet, war die Arbeit gleichmäßig unter der Rüstungsindustrie aufgeteilt worden. Konkurrenzentwicklungen -- in den USA üblich -- fanden nicht statt. Kein politischer Kontrolleur konnte nun an den Preisen noch etwas ändern.
Wo aber die Preisprüfung nicht geht, so Bruno Köppl, ein Intimkenner des Rüstungsmanagements, 1979 in seiner Dissertation, »werden Formen rüstungsindustriellen Diktats begünstigt«. Insgesamt 350 Einzelaggregate im Tornado S.39 werden nach solchem Preisdiktat hergestellt.
Am Diktat beteiligt ist die gesamte westliche Hochleistungsindustrie, dies- und jenseits des Atlantik. Sie ist entweder unmittelbar oder als Unterauftragnehmer oder als Kapitaleigner am Projekt beteiligt, oft auch in sämtlichen dieser Rollen.
An der deutschen MBB-Gruppe partizipieren die Oligopol-Unternehmen Bosch, Siemens, Thyssen und das französische Staatsunternehmen Aerospatiale als Gesellschafter.
Den wesentlichen Unterauftrag am Tornado erhielt die damals noch deutsch-niederländische Firma VFW-Fokker, an der neben Krupp und der Bremer Kaffeefamilie Roselius auch die US-Technologie-Riesen Northrop und United Technologies beteiligt waren.
Als MBB Ende vergangenen Jahres die inzwischen von Fokker getrennte Bremer VFW geschluckt hatte, war der Gesellschafterkreis noch einmal neu geordnet worden. Fröhlich vereint nehmen am deutschen Panavia-Geschäft das CSU-Land Bayern und die roten Stadtrepubliken Hamburg und Bremen teil.
Das MRCA-Geschäft wurde von MBB so verinnerlicht, daß die Top-Positionen im Unternehmen stets von Panavia-Fachleuten besetzt worden sind. Schon Firmengründer Ludwig Bölkow war ein Panavia-Fanatiker gewesen. »Er hat«, mokiert sich Mechtersheimer, »nicht nur Waffen, sondern meist auch eine Idee zur Rechtfertigung dieser Waffen geliefert.«
Bölkows Nachfolger wurde der Panavia-Manager Helmut Langfelder. Nach dessen Unfalltod folgte ihm der Panavia-Geschäftsführer Gero Madelung. Und neuer VFW-Chef in Bremen wird am 1. April 1981 der gegenwärtige Panavia-Chef Carl-Peter Fichtmüller.
Italiens Aeritalia ist über verschiedene Verträge mit dem US-Luftfahrt-Konzern Boeing verbunden. Der Triebwerkshersteller Rolls-Royce sitzt außer in der Turbo-Union auch in gemeinsamen Programmen mit der französischen Triebwerksfirma Snecma.
Über die Generator-Herstellung und das Freund-Feind-Erkennungsgerät ist MBB-Teilhaber Siemens auch unmittelbar noch am Tornado-Geschäft beteiligt. Mit elektronischen und Radaranlagen liegt Siemens-Konkurrent AEG, an dem wiederum der US-Triebwerkshersteller General Electric beteiligt ist, im Rennen.
Auch Amerikas Litton Industries und ITT, Italiens Mazzoni und Englands Ferranti sowie Deutschlands Dornier (Aufsichtsrats-Vorsitzender: General a. D. Johannes Steinhoff) stecken im System. Über Titan-Lieferungen sind sogar die Sowjets am MRCA-Geschäft beteiligt.
Eine Rüstungsindustrie solcher Machart ist nichts Unternehmerisches, sondern ein Regiebetrieb der Nato. Und wie oft bei Regiebetrieben werden Kosten und Gewinne nicht marktwirtschaftlich, sondern kameralistisch kalkuliert. Im speziellen Fall der Rüstung, wo Verteidigungs- und Terminfragen die entscheidende Rolle spielen, lassen sich die Gewinne besonders hoch hinaufschieben.
Bekanntgeworden ist der Fall des deutschen Geräteherstellers Klöckner. Das rheinische Unternehmen, im zivilen Geschäft gelegentlich am Rande der Rentabilität, gehört zu den fast 500 Unterauftragnehmern des Tornado-Programms und hatte die sogenannte Gear Box zu liefern -- sie überträgt einen Teil der Tornado-Motorenkraft auf die vielen mechanischen Nebenaggregate im Flugzeug.
Klöckner, der ohnehin schon die teuerste aller denkbaren technischen Lösungen geliefert hatte, war durch technische Vertragsänderungen zu 54 Einzeländerungen an seiner Konstruktion gezwungen worden und hatte deshalb den ursprünglichen Preis bemerkenswert über die vormals gesetzte Grenze erhöht. Der damalige Verteidigungsminister Georg Leber verfügte eine Preisprüfung. Daraufhin drohte Klöckner, die Lieferungen zu stoppen.
Dies jedoch hätte den Ablauf des gesamten Programms gefährdet. Das S.42 Verteidigungsministerium konnte keine andere Firma einschalten und mußte nachgeben. Eine Preisdiskussion können Lebers Nachfolger jetzt nur noch führen, weil inzwischen aufgefallen ist, daß Klöckners Gear Box die versprochene Lebensdauer nicht erreichen wird.
Ständig neue technische und taktische Forderungen der Militärs, die Monopolstellung der Produzenten und die Art der Preiskalkulation verteuerten das Gefährt drastisch. Zudem hatten sich die Generäle angewöhnt, den üblichen zivilen Ton auch dort außer Kraft zu setzen, wo er eigentlich vorgeschrieben war.
So gilt in sämtlichen Bundesministerien eine gemeinsame Geschäftsordnung, die durch Unterrichtung und Gegenzeichnung bis zu höchsten Spitzen gekennzeichnet ist und die Gesetze der preußischen Beamtenhierarchie erfüllt. In den militärischen Führungsstäben des Verteidigungsministeriums dagegen können solche Vorschriften gelegentlich durch militärischen Befehl außer Kraft gesetzt werden. Die Herren gehorchen dem höheren Dienstgrad, weil sie es so gewohnt sind. Und sie gehorchen auch, wenn ihnen Verschweigen befohlen wird.
Deshalb kann der Militärklüngel im Ministerium selbst den politisch verantwortlichen Minister so lange von Spezialfragen abschotten, bis der nur noch ja und amen sagen kann. Die Preise des nun »Tornado« genannten Flugzeugs kletterten mithin ins Abstruse.
Als die 24 Millionen nicht mehr reichten und die Linken im Verteidigungsausschuß schon von 60 Millionen Mark Stückpreis beim ersten Serien-Tornado redeten, schlug der damalige MBB-Chef Bölkow zurück: »Alles, was über den Preis von 20 Millionen Mark hinaus gesagt wurde, waren Zahlen aus der Märchenwelt.«
Als das Märchen -- schon lange vor der Serienproduktion -- Wahrheit wurde, sprach Steinhoff-Nachfolger Günther Rall, ein Haudegen mit 275 Abschüssen im Zweiten Weltkrieg, den kernigen Satz: »35 Millionen und keine Mark mehr.«
Lebers Staatssekretär Siegfried Mann, später wohldotierter Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, versuchte den Verteidigungsausschuß mit wolkigen Worten hinters Licht zu führen und hielt den Tornado-Preis mit Tricks niedrig. So reduzierte er kurzerhand den üblichen 65-Prozent-Aufschlag für die Ersatzteile auf 50 Prozent des reinen Flugzeugpreises.
Später halbierte er auch diesen Satz noch und redete davon, »laufende Anpassung an den Bedarf« sei besser. Für den Ernstfall aber ist eine solche Ersatzteilebbe gefährlich und deshalb unrealistisch. »Die Schätzungen der Gesamtkosten für den Produktionsverlauf«, schrieb Mann dem Ausschuß in sinnentleertem Amtsdeutsch, »haben sich nach mehrfacher Korrektur konsolidiert.«
Ausgerechnet die Linken im Verteidigungsausschuß erwiesen sich bald als die besseren Rechner. 1976 mußten die Tornado-Manager immerhin zugeben, der Systempreis werde bei 48 Millionen liegen. Die Linken kalkulierten dagegen für 1976 mit 54 Millionen. Der Abgeordnete Georg Schlaga rechnete den Tornado-Systempreis für 1979 auf 67,5 Millionen Mark hoch und wurde im Verteidigungsministerium »Idiot« genannt. Der Idiot behielt auf den Pfennig genau recht.
Mit jeder Verteuerung kletterten auch die Gewinne der Industrie. Denn öffentliche Aufträge werden nach Arbeitsstunden und Materialeinsatz abgerechnet, und auf den gesamten Umsatz wird ein kalkulatorischer Gewinn von fünf Prozent geschlagen.
Dieses Abrechnungssystem stellt die Regeln einer Wettbewerbswirtschaft auf den Kopf. Nicht wer die Kosten am niedrigsten hält, macht den höchsten Gewinn, sondern wer sie am üppigsten steigen läßt. Unternehmensgruppen wie MBB, die 80 Prozent ihrer Arbeit auf solche Weise abrechnen, S.44 können damit ihren gesamten zivilen Umsatz risikolos subventionieren.
Der angeschlagene britische Rolls-Royce-Konzern, dem dank Tornado rund 2000 Triebwerke schon für die Erstausstattung abgenommen werden, konnte sich mit dem Großauftrag endgültig sanieren.
Das westeuropäische Rüstungssystem ist inzwischen nahezu monopolistischer und wettbewerbsfeindlicher als selbst das sowjetische. In der Sowjet-Union stehen immerhin noch mehrere große Entwicklungsbüros in gegenseitiger Konkurrenz, so etwa die in der Luftfahrt renommierten Büros Jakowlev (Yak) und Mikojan (MiG). Sie liefern verläßliche und robuste Produkte der Waffentechnik und halten die Sowjet-Union ausgerechnet in der für den Westen gefährlichsten Branche, der militärischen, voll konkurrenzfähig.
MRCA-Fachmann Köppl schätzt die »Ineffizienzen« im Tornado-Programm auf ein Drittel der Beschaffungskosten. Die vermeidbaren finanziellen Verluste addierten sich damit schon 1976 auf 15 Milliarden Mark. Die gesamte Nato, so Köppl, hätte von 1964 bis 1975 beim Kauf von Waffen rund 200 Milliarden Dollar sparen können, wäre das Rüstungsmanagement besser gewesen.
Nach und nach hörte im Verteidigungsausschuß des Bundestags das peinliche Fragen auf. Nach einem Riesenkrach mit dem Verteidigungsminister verließen die Tornado-Kritiker den Ausschuß. Der damalige Ausschußvorsitzende Manfred Wörner, Reservemajor und Düsenpilot, stand ohnehin auf der Seite der Militärs. Das »Ding« war nicht mehr zu bremsen, und seine Anbeter waren nun unter sich.
Am 7. Februar 1977 meldete die Branchenpostille »Wehrdienst« den Tornado-Fans: »Die linken Stänkerer wie Karl Heinz Hansen und Georg Schlaga stehen nicht mehr auf der Liste der ordentlichen Mitglieder. Der Ausschuß sieht nach einer Desinfektion mit Sagrotan aus.«
Nach zwei Abstürzen bei Tornado-Versuchsflügen -- in der irischen See und über der Bundesrepublik --, nach einer streikbedingten Verzögerung im Triebwerksbau, nach Haar-Rissen im Schwenkflügelkasten und an den Schaufelrädern der Triebwerke verzögerte sich das Programm dramatisch. Statt am 1. Oktober 1978, wie Staatssekretär Mann versprochen hatte, wurden erst im Herbst 1980 die ersten Tornado-Serien-Flugzeuge geliefert. Und Luftwaffen-General Steinhoff, der einstige Initiator, erkannte nicht wieder, was da aus seinem NKF geworden war. Der Tornado sei, so Mechtersheimer, ein »politisches Monster«.
Statt Steinhoffs vielfach verwendbarem Billigjäger hatte der militärindustrielle Filz ein superteures James-Bond-Flugzeug gebaut, das -- schreibt Mechtersheimer -- nichts anderes geworden sei als ein »optimales Trägersystem für Nuklearwaffen«. Doch die Technokraten waren stolz: Sie hatten den Supervogel des Jahrzehnts gebaut.
Der Tornado hatte von seinen Konstrukteuren Schwenkflügel verpaßt bekommen, damit er die entgegengesetzten flugtechnischen Bedingungen Überschallflug und Kurzstartfähigkeit vereinen konnte. Die fast stufenlos verstellbaren Flügel erlauben nahezu jede Art von Warte-, Lande- oder Hochleistungsflug in jeder Höhe zwischen 60 und 12 000 Metern.
Um in Schallgeschwindigkeit unter dem Radarschirm wegtauchen zu können, erhielt der Tornado einen raffinierten elektronischen Autopiloten. Er reagiert auf Bohnenstangen im Feld und auf fünf Meter hohe Meereswellen, er nimmt ohne Handsteuerung jede Bodenwelle auch im Dunkeln wahr und kann auf sechzig Meter Höhe über differenzierteste Landschaften rasen, ohne irgendeinen Gegenstand zu streifen -- für die Insassen ein hochgestochenes Achterbahn-Erlebnis, mit dem sich allerdings nur wenige Pilotenjahre existieren läßt.
Der Mann im hinteren Cockpit kann über Bildschirme, Datengeräte, Bodenbildradar und Kartenbildsysteme jederzeit jede denkbare Navigation ausführen. Mit der gleichen unheimlichen Genauigkeit können die Tornado-Piloten im Ernstfall ihre kombinierten Sprengkörper ins Ziel bringen und sich anschließend in 60 Meter Höhe im Überschallflug davonmachen.
Für den Erdkampf können Tornados Sprengsätze wie aus einer Sprühdose rasch über ganze Areale streuen und meilenweit weg sein, noch bevor der letzte Knall verflogen ist.
Eine Elektro-Steueranlage hält das Flugzeug selbst bei starken Böen in ruhiger Fluglage und kann Übertragungsstörungen auf Grund schweren Wetters automatisch stabilisieren. Die speziell für den Tornado entwickelten Triebwerke brachten bislang noch nicht die geforderte Leistung: Sie blieben um zehn Prozent darunter und verbrauchten zehn Prozent zuviel Sprit.
Im Tornado sind 350 verschiedene Einzelaggregate verbaut, 10 000 Kabel mit einer Gesamtlänge von 50 Kilometern. Sämtliche Tornado-Flugzeuge müssen, so die MBB-Techniker, während S.46 ihrer Lebenszeit viermal die Produktionsstraßen des MBB-Werks Manching bei München durchlaufen, um generalüberholt zu werden. Das lastet der Bundeswehr erhebliche Folgekosten auf und sichert dem Manchinger Werk dreißig Jahre Beschäftigung mit dem neuen System.
Auf dem Höhepunkt der Tornado-Fertigung wird ein Drittel der gesamten italienischen Luft- und Raumfahrt-Industrie nur für dieses Projekt eingespannt sein. Deutschlands MBB wird dann die Hälfte seines Gesamtumsatzes allein mit dem Tornado schaffen und fast zwei Drittel seiner sämtlichen Leute dafür benötigen -- bei weiter steigendem Preis.
Für die kommenden Jahre berechnen Fachleute den Systempreis des Tornado auf rund 110 Millionen Mark -- zehnmal soviel wie geplant, teurer als ein Supertanker, so teuer wie zehn Zerstörer der deutschen Weltkrieg-II-Flotte oder wie 400 von Hermann Görings Messerschmitt-Me-109-Jägern. Zum Preis zuzuschlagen ist die Massenbestellung von Phantom- und Alpha-Jets, zum Preis zuzuschlagen ist außerdem die Nachrüstung der Starfighter-Flotte, weil die Tornado-Termine nicht eingehalten worden sind.
Noch nie in der deutschen Militärgeschichte hat ein Waffensystem so viel Geld gekostet wie das des Tornado. Selten ist das Mißverhältnis zwischen militärtechnischem und zivilem Aufwand so kraß gewesen wie hier.
Mit dem Preis von drei Tornados samt Ersatzteilen wäre die Lücke im Etat des finanziell angeschlagenen Stadtstaates Bremen zumindest für das Jahr 1981 zu schließen. Mit zehn Tornados wäre der Schieflage des Elektro-Konzerns AEG beizukommen.
Imponierzahlen solcher Güte sagen viel, aber nicht alles. Je teurer und ausgeklügelter ein Waffensystem geworden ist, desto mehr droht die Gefahr, daß der finanzielle Aufwand für das nächste noch gewaltiger wird und der Industriefilz noch schlimmer.
Schon droht aus der Sowjet-Union ein Radarsystem, unter dem der Tornado nicht mehr wegtauchen kann. Und schon drohen die Verwalter des großen militärindustriellen Syndikats, ohne neue Waffensysteme ihr Technikerheer nicht mehr beschäftigen zu können.
Schon erklären -- andererseits -die Kritiker des Tornado-Systems wie etwa der einstige Luftwaffenoffizier Mechtersheimer, »in der wahrscheinlichsten Form eines militärischen Konflikts hat das Eindringflugzeug MRCA keine Funktion, die es optimal erfüllen könnte«.
Kaum daß der erste Tornado über die Deutschen gekommen ist, droht ihnen der nächste. Minister und Parlamentarier aber müssen auch beim nächsten wieder glauben, was militärischer Sachverstand ihnen vorgaukelt.
Rien ne va plus.
S.34Auf der Luftfahrt-Schau im britischen Farnborough.*S.37Am Tisch sitzend von links: Mattacotta (Italien), Schiffers(Deutschland), Cook (Großbritannien). Hinter Schiffers mit schwarzerBrille: Steinhoff; rechts im Bild die niederländische Delegation,die nicht unterschrieb.*