VERFASSUNGSSCHUTZ / BERLIN Toter Mann
Der Beamte hat, so steht es im Berliner Beamten-Gesetz, »über die ihm bei seiner amtlichen Tätigkeit bekanntgewordenen Angelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren«.
Sozialdemokrat Eberhard Zachmann, 58, ist Beamter. Er leitet das West-Berliner Landesamt für Verfassungsschutz. Und er läuft, wie es scheint, nicht dauernd mit dem Gesetz unter dem Arm herum.
Was er preisgab, entfachte einen Berliner Provinz-Konflikt, provozierte einstweilige Verfügungen wie Prozesse und brachte überdies Zachmanns Amt ins Gerede. Springers »Welt« registrierte »Unsicherheit und Mißtrauen«, die »Süddeutsche Zeitung« sah den »Berliner Verfassungsschutz im Zwielicht«.
Im Zuge von Ermittlungen gegen einen Beamten der Bezirksverwaltung Schöneberg, der sich vor Jahren über West-Berlins kommunistische Einheitspartei (SEW) einen Passierschein zum Besuch Ost-Berlins besorgt hatte und seither im Verdacht steht, landesverräterische Beziehungen zur DDR zu unterhalten, war der Leitende Senatsrat Zachmann Anfang Dezember letzten Jahres bei seinem Parteifreund, dem Schöneberger Bezirksstadtrat Günther Gellermann« 40, vorstellig geworden.
Zwar vermochte der Stadtrat für das Schulwesen dem Geheimdienst-Chef Sachdienliches nicht mitzuteilen, kam mit seinem Gast aber gleichwohl ins Gespräch. Die Herren redeten über Gellermanns Vorgesetzten, ihren Genossen Hans Kettner« 51, Bürgermeister von Schöneberg.
Noch am gleichen Tage notierte Gellermann, was ihm von diesem Gespräch im Gedächtnis geblieben war: vermeintliche Verfassungsschutz-Erkenntnisse über Kettner. So zum Beispiel, daß
* der frühere Ost-Bürger Kettner, obschon ehemaliger Wehrmachtsoffizier, vom sowjetischen Geheimdienst auffallend großzügig behandelt worden sei;
* die ehemalige Frau Kettner 1962 in die DDR reisen durfte, obschon West-Berliner seit dem Mauerbau keine Aufenthaltsgenehmigungen mehr bekamen, und
* Kettner den wegen seiner SEW-Kontakte verdächtigen Bezirksbeamten beruflich »sehr gefördert« habe.
Der Stadtrat schrieb nicht nur auf, sondern erzählte auch weiter. Im Genossenkreis zog er aus diesen und anderen Kettner-Histörchen den Schluß, der Bürgermeister sei nach Zachmanns Urteil ein »sicherheitspolitisches Risiko«. Gellermann über Kettner: »Ein toter Mann.«
Ein Gellermann-Genosse freilich, der Schöneberger SPD-Abgeordnete Gerhard Beier, wollte das nicht glauben. Er ging Ende Januar zu Zachmann, bat um Bestätigung der Kettner-Story und »erhielt«, so versicherte er später an Eides Statt, die »Äußerungen des Herrn Gellermann über Herrn Kettner bestätigt«.
Kettner aber wollte derlei Nachrede nicht auf sich sitzen lassen und ließ dem Stadtrat wie weiteren Genossen per einstweiliger Verfügung verbieten, weiterhin Abträgliches über ihn zu verbreiten. Gellermann widersprach diesem Gerichtsbescheid und unterlag.
Das Landgericht Berlin bestätigte am Dienstag vorletzter Woche die Amtsgerichts-Entscheidung. Den Richtern hatten Kettner entlastende Briefe des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz und des unmittelbaren Zachmann-Vorgesetzten, des Innensenators Kurt Neubauer, vorgelegen. Schütz an Kettner: kann ich Ihnen bestätigen, daß bei den zuständigen Behörden keinerlei Erkenntnisse vorliegen, die Sie als Sicherheitsrisiko erscheinen lassen.«
Offen und vom Gericht nicht untersucht blieb freilich die Frage, was zwischen Verfassungsschützer Zachmann und Gellermann wirklich gesprochen worden Ist und ob der Stadtrat aus dem Dialog mit dem Geheimdienstier nicht doch den Schluß ziehen konnte, daß sein Bürgermeister ein Risiko bedeute.
Das festzustellen ist Thema der nächsten Verhandlung, in der Gellermann beweisen will, daß er Zachmanns Erzählungen für bare Münze nehmen mußte. Und die Chancen des Stadtrats sind nicht schlecht. Denn interne Ermittlungen des Berliner Senats haben unterdessen ergeben, daß Zachmann tatsächlich mit Gellermann und Beier auch über Kettner gesprochen hat -- womöglich mißverständlich.
In einem Brief an den Schöneberger SPD-Kreisvorsitzenden Werner Heubaum räumte Ende letzter Woche auch Klaus Schütz ein: »Falls Herr Geilermann oder Herr Beier aus diesen Gesprächen den Eindruck gewonnen haben, daß Herr Kettner ein Sicherheitsrisiko ist, bedauere ich das, weil es nicht den Tatsachen entspricht.« Schütz stellte sich gleichwohl vor Zachmann. Aufgabe des Verfassungsschutzes, so schrieb er an Heubaum weiter, sei es, »jedem Verdachtsmoment ... nachzugehen, und zwar ohne Ansehen der Person und Funktion«.
Solche Verdachtsmomente gibt es freilich gerade in Berlin zuhauf. Dort hat nahezu jeder gebürtige, aber auch jeder aus der östlichen Umgebung zugewanderte Bürger die eine oder andere Beziehung zur DDR-Umwelt, von der Tante in Köpenick bis zum Ex-Kollegen in Karl-Marx-Stadt.
Amtsträger und Bewerber für den öffentlichen Dienst sind dort deshalb größeren Zweifeln in ihre Integrität ausgesetzt als ihre Kollegen im Westen Deutschlands. Und die Sicherheits-Behörden haben sich -- um üble Nachrede zu verhindern -- bei Ihren Recherchen in Berlin mithin größerer Sorgfalt und Verschwiegenheit zu befleißigen als etwa In Hamburg oder München.
Ob sich Verfassungsschutz-Chef Zachmann -- in den 50er Jahren Mitarbeiter des SPD-Ostbüros, später Sicherheitsbeauftragter bei Innensenator Heinrich Albertz und letztes Jahr erfolgloser Kandidat für einen Posten in der Kölner Verfassungsschutz-Zentrale -- dieser Maximen bewußt war, erscheint zumindest zweifelhaft.
Denn der Sicherheitsmann vergaß nicht nur, seinen Gesprächspartner auf die Vertraulichkeit der Unterredung hinzuweisen, er erwies sich zudem als miserabler Kenner des stadtbekannten Schöneberger SPD-Gerangels. Sozialdemokrat Zachmann wußte nicht, daß Sozialdemokrat Gellermann dem Sozialdemokraten Kettner schon lange gram war und folglich für jede Information über Kettner dankbar sein mußte.
Nun freilich übt Eberhard Zachmann, dem möglicherweise ein Disziplinar-Verfahren droht, strikte Verschwiegenheit. Der Verfassungsschützer zum SPIEGEL: »Ich beantworte keine Frage.«