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Bonn »TRAINING BEI JEDEM WETTER«

In den ersten 13 Wochen des Jahres 1971 Ist die »Flugunfallrate« der Luftwaffen-»Starfighter« steil angestiegen. 1968 gab es auf 100 0130 Flugstunden 20 Unfälle, 1970 waren es 24. Im Januar und Februar 1971 betrug diese Zahl bereits 34. Im März folgten die Starfighter-Unglücke noch schneller aufeinander. Am letzten Donnerstag ordnete Bundesverteidigungsminister Helmut Schmidt an, den Starfighter-Flugbetrieb einzuschränken, lehnte aber ein generelles Startverbot ob.
aus DER SPIEGEL 14/1971

SPIEGEL: Herr General, Sie sind seit dem 1. Januar Inspekteur der Luftwaffe. In dieser Zeit sind neun Starfighter abgestürzt. Rächt sich jetzt an Ihnen das Kommando, das Ihr Vorgänger Steinhoff den Geschwadern gab: »Fliegen, fliegen und nochmals fliegen«? Sind die Starfighter verschlissen?

RALL: Der Starfighter Ist höherer Beanspruchung ausgesetzt, als bei seiner Einführung angenommen werden konnte. Einmal mußte er als Folge der geänderten Nato-Strategie zusätzliche Einsatzaufgaben übernehmen, zum anderen müssen wir ihn länger im Dienst halten, weil geeignete Nachfolgemuster später zur Verfügung stehen, als ursprünglich geplant war. Es ist aber absurd zu glauben, daß die F-104 oder einige ihrer Teile »verschlissen« seien. Teile, die den hohen Ansprüchen, die wir wegen der Flugsicherheit und Zuverlässigkeit an sie stellen, nicht mehr genügen, werden ausgetauscht.

SPIEGEL: Die Stimmung unter den Starfighter-Piloten ist schlecht. Kürzlich sind In Jever acht erfahrene Fluglehrer ausgeschieden, weil nach ihrer Meinung in der Luftwaffe personell gewurstelt wird. Schlägt sich dieser Verlust jetzt nieder?

RALL: Von einer schlechten Stimmung unter den Starfighter-Piloten kann generell nicht gesprochen werden. Das von Ihnen angeführte Ausscheiden von Fluglehrern der Waffenschule 10 ist kein sichtbares Zeichen allgemeiner oder lokaler Mißstimmung. Entscheidend für die Entlassungsanträge waren rein persönliche Gründe oder die lukrativen Angebote aus der Zivil-Luftfahrt mit zwei- bis dreifachem Gehalt. Im übrigen waren die Abgänge an Jet-Piloten im Jahre 1970 nicht höher als in den Vorjahren, sie lagen erheblich unter der Zahl anderer Luftwaffen. Das in Jever laufende »Europäisierungs-Programm«, bei dem die in den USA ausgebildeten Piloten auf europäische Wetterbedingungen umgestellt werden, hat keine qualitative oder quantitative Einbuße erlitten.

SPIEGEL: Eine offizielle Auskunft des Verteidigungsministeriums an den Bundestag stellte kürzlich fest, 80 Prozent der Unfälle mit Starfightern gingen auf das Konto von »pilots' error«. Was für Piloten sind jetzt verunglückt -- waren sie jung und unerfahren oder routiniert und leichtsinnig?

RALL: Die Piloten hatten eine Flugerfahrung auf der F-104 von 400 bis 1200 Stunden bei einer Gesamt-Flugstundenzahl von etwa 700 bis 2000 Stunden. Der am 18. März 1971 tödlich verunglückte Flugzeugführer war allerdings nur 270 Stunden auf der F-104 geflogen. Er war zwar kein »alter Hase«, von Unerfahrenheit kann aber auch in diesem Fall nicht gesprochen werden. Ich lasse die letzten Unfälle im Hinblick auf gleiche Symptome besonders kritisch prüfen.

SPIEGEL: Hat die Qualität der Wartung nachgelassen? Sind zu viele kurzdienende Wehrpflichtige in den Technischen Gruppen tätig?

RALL: Der Anteil der kurzdienenden Wehrpflichtigen in den Geschwadern ist höher als erwünscht. Die Luftwaffe muß sich mit dieser Tatsache, die sich weder kurzfristig herausgebildet hat noch in absehbarer Zeit abzustellen sein wird, abfinden. Die Qualität der Arbeit wird durch ständige und unvermutete Kontrollen überwacht. Die Wartung dieses hochkomplexen technischen Waffensystems wäre mit länger dienenden Soldaten sicherlich problemloser. Es wird aber alles getan, um nur funktionsfähiges Gerät für den Einsatz freizugeben.

SPIEGEL: Werden Sie das vom niedersächsischen Innenminister Lehners verlangte Startverbot verhängen, wenn weitere Unfälle passieren?

RALL: Der Auftrag unserer F-104-Verbände erfordert den Einsatz bei Tag und Nacht unter allen Wetterbedingungen. Schon in Friedenszeiten muß ein entsprechender Leistungsstand erreicht sein. Das geht nur, wenn das Training bei jedem Wetter stattfindet.

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