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SÜDAFRIKA Trauern verboten

Seine Fähigkeit, die Massen zu fesseln, macht den Bischof Desmond Tutu zum Sprecher der Schwarzen - und zum Gegenspieler des Burenpräsidenten Botha. *
aus DER SPIEGEL 32/1985

Wie ein purpurnes Kreuz ragt Desmond Tutu, der anglikanische Bischof von Johannesburg, aus der vieltausendköpfigen Menge. »Wir wollen frei sein, wir wollen frei sein«, läßt er die schwarzen Teilnehmer einer Totenfeier im staubigen Sportstadion von Kwathema skandieren, einer Schwarzensiedlung östlich von Johannesburg.

Solche Szenen schwarzer Solidarität sind in Zukunft nicht mehr erlaubt: Vorige Woche verbot die Apartheidregierung Massen-Trauerfeiern im Freien für Schwarze, die bei Unruhen getötet wurden. Seit Verhängung des Ausnahmezustands in 36 Distrikten Südafrikas boten Beerdigungen fast die einzige legale Gelegenheit für die Schwarzen, sich noch öffentlich zu versammeln.

»Wenn sie uns jetzt schon das Trauern verbieten, hat das Land seinen Tiefpunkt erreicht«, kommentierte Bischof Tutu. »Keine weltliche Autorität kann mir vorschreiben, was ich predige. Unrechte Gesetze werde ich brechen!«

Der kleine grauhaarige Kirchenmann mit der eindringlichen Stimme scheut sich nicht, die weiße Regierung und ihren Chef Pieter Willem Botha herauszufordern. Tutu wurde als erster Schwarzer zum Bischof der anglikanischen Kirche bestimmt, noch dazu in ihrem wichtigsten Bezirk Johannesburg. In den vergangenen Monaten ist er immer mehr zum Sprecher der Schwarzen geworden. Längst hat er als Integrationsfigur den 1977 ermordeten Studentenführer Steve Biko in den Schatten gestellt.

Zusätzliches Gewicht bekam sein Kampf gegen die Apartheidpolitik, als Tutu vergangenen Herbst in Oslo den Friedensnobelpreis erhielt. Um die gleiche Zeit begannen in Südafrika, nach einer Periode schwarzer Resignation, jene Rassenunruhen, bei denen bisher 500 Schwarze starben. In der explosiven Situation der letzten Wochen beschwor der »Baba« (Vater), wie Tutu genannt wird, immer wieder seine Zuhörer, friedlich zu bleiben: »Laßt uns in unserem Kampf keine Methoden verwenden, deren wir uns schämen müssen!«

Der weiße Präsident Pieter Willem Botha fürchtet den Geistlichen offenbar schon als Gegenspieler. Deshalb lehnte er das Angebot des Bischofs ab, mit ihm Möglichkeiten einer Eingrenzung des eskalierenden Rassenkriegs zu erörtern. Grundsätzlich sei er bereit, mit jedermann zu reden, der auf Gewalt und bürgerlichen Ungehorsam verzichte, ließ der Apartheidchef ausrichten; am 19. August treffe er ohnehin eine Delegation der anglikanischen Kirche, da könne Tutu ja mitkommen.

»Unsere Lage ist verzweifelt, und ich hätte staatsmännisches Verhalten erhofft, kein Spiel um politische Pluspunkte«, verurteilte

der zurückgewiesene Kirchenmann die burische Sturheit. »Wenn Botha nicht mit jemandem wie mir sprechen will, wüßte ich nicht, wie er andere, radikalere Vertreter der Schwarzen akzeptieren könnte.«

Dabei hat Tutu immer betont, daß er ein Geistlicher, kein Politiker sei. »Ich bin nur eine Führer-Notlösung, weil unsere wahren Führer im Gefängnis sind.« Als legitime Vertretung der Schwarzen erkennt auch der Bischof den African National Congress (ANC) an, der 1960 für illegal erklärt wurde. Dessen Chef Nelson Mandela, der seit über 20 Jahren hinter Gittern sitzt, sieht er als ersten schwarzen Premierminister Südafrikas.

Zwar bewundern die meisten Schwarzen den Mut des »Stellvertreters« Tutu, aber viele Anhänger des radikalen ANC kritisieren ihn, weil er mit seinen Predigten von Gewaltlosigkeit auf dem Weg zur politischen Gleichberechtigung der Schwarzen noch keinen Schritt weitergekommen sei. »Ich wundere mich, daß die jungen Leute in Südafrika auf Menschen wie mich hören«, sagt der Bischof. »Daß wir keine Resultate vorweisen können, untergräbt unsere Glaubwürdigkeit.«

Schon einmal, vor den blutigen Schüleraufständen in Soweto 1976, hatte Tutu die burische Regierung gewarnt, die Geduld der Schwarzen allzusehr zu strapazieren, weil nichts ein Volk daran hindern könne, »seine Freiheit zu erringen«. Tutu in einem offenen Brief an den damaligen Premierminister Vorster: »Ich habe große Angst, daß wir bald den Punkt erreichen, an dem es kein Zurück gibt, wo niemand mehr verhindern kann, daß es zu einer blutigen Entscheidung kommt.«

Dieser Moment scheint nun gekommen. Auch Vorster hatte damals die Gelegenheit nicht wahrgenommen, mit einem Führer der Schwarzen zu verhandeln, der sich auch auf die Sprache der Weißen versteht.

Der 53jährige Tutu ist Sohn eines Lehrers, der die Methodistenschule in Klerksdorp, Transvaal, leitete und später zur anglikanischen Kirche übertrat. Seine Familie wohnte in einem Haus ohne Elektrizität, hatte aber immerhin für fünf Personen drei Zimmer mit Toilette und fließendem Wasser. Seine Mutter mußte durch Hausarbeit bei Weißen den Lebensunterhalt mitverdienen.

Sohn Desmond verkaufte Erdnüsse in U-Bahn-Stationen und besuchte in Johannesburg die Bantu-Oberschule. Da das Geld zum Medizinstudium fehlte, wurde er Lehrer wie sein Vater. Nach drei Jahren wollte er die »pervertierte Bildung« nicht mehr vermitteln, die schwarze Kinder daran hinderte, Selbstbewußtsein zu entwickeln.

Tutu beschloß, Priester zu werden. Sein Vorbild war der britische Pfarrer Trevor Huddleston, heute Anglikaner-Bischof in England, damals Geistlicher in den schwarzen Vorstädten von Johannesburg. Offen kritisierte der Weiße die Apartheid. Zum Theologiestudium ging Desmond Tutu nach Großbritannien und lebte mit Frau und vier Kindern in der Umgebung von London.

Nach Stationen als Superintendent in Johannesburg und Bischof in Lesotho wurde er 1978 zum Generalsekretär des 13 Millionen Mitglieder zählenden südafrikanischen Kirchenrats (SACC) ernannt - eine Position, die ihm auch politisches Gewicht gab: Im SACC sind 23 Kirchen und 11 religiöse Vereinigungen vertreten. Tutu nutzte das Amt zur Agitation gegen die Rassentrennung.

»Nicht durch ein Netz von Verboten und Gesetzen wurde ich im tieferen Sinne zum Menschen, sondern indem ich in einer wirklich freien Gesellschaft lebte«, sagt Tutu. Die England-Aufenthalte haben den temperamentvollen Geistlichen geprägt. Wo er auch auftritt, weiß er sich ins beste Licht zu rücken. Seine Zuhörer versteht er durch seine lebhafte, gestenreiche Sprechweise zu fesseln.

Als der Nobelpreisträger im vergangenen Oktober von seinen kirchlichen Mitarbeitern bejubelt wurde, erzählte er erst einmal einen Witz: »Meine Frau ist völlig durcheinander. Unlängst hat sie gesagt, sie würde sich nicht wundern, wenn sie eines Morgens aufwache und neben ihr der Papst an meiner Stelle im Bett läge.« Seine Exzellenz, der »Komödiant Gottes«, wie er wegen seiner Vorliebe für Inszenierungen genannt wird, hat Humor - und Charisma.

Schon öfter hat sich Bischof Tutu in seinem Seidenornat und den eleganten italienischen Mokassins durch die Massen gedrängt und sich schützend über ein Opfer drohender Lynchjustiz geworfen. Wenn der Bischof, der den Luxus des Lebens eines »Ehrenweißen« (so seine Feinde) genießt, zu den Schwarzen spricht, hören sie auf ihn: »Ihr seid nicht die Untermenschen, zu denen die Weißen euch erklären. Glaubt derartige Ketzereien nicht!«

Im Kampf um die Rechte der Schwarzen in Südafrika findet er unmißverständliche Worte: »Die Apartheid ist das verbrecherischste System seit dem Hitler-Regime. Es basiert genauso auf Rassismus.« In seiner Nobelpreis-Rede klagte Tutu die Rassentrennungspolitik an: »Den Schwarzen wird ihre südafrikanische Staatsbürgerschaft systematisch genommen, sie werden zu Fremden in ihrem Geburtsland.« Die Regierung zerstöre durch Zwangsumsiedlung von schwarzen Arbeitern die Familien.

Präsident Botha bezeichnet seinen Gegenspieler als »demagogischen Tribun im Bischofsgewand«. Seine Popularität hat Tutu bisher vor dem »Bann« geschützt: Schon vor Verhängung des Ausnahmezustands konnte die Regierung unliebsamen Gegnern durch diese Maßregel verbieten, an Versammlungen teilzunehmen, sich zitieren zu lassen und zu reisen. Tutu mußte zweimal seinen Paß abliefern: 1980, nachdem er in Dänemark zum Boykott südafrikanischer Kohle aufgerufen und 1981, als er während einer Europa- und USA-Reise wirtschaftliche Sanktionen gegen den Apartheidstaat verlangt hatte.

Internationalen Druck hält Tutu für das einzige Mittel, Änderungen in Südafrika herbeizuführen. Deshalb griff er immer wieder Präsident Reagans Politik des »konstruktiven Engagements« für Südafrika an. »Botha hat die Unterstützung der stärksten Macht der westlichen Welt, und er hat unglücklicherweise auch die Unterstützung der Regierung des Bundeskanzlers Kohl«, so Tutu dieser Tage.

In diesem Bewußtsein könne der Burenchef sich vieles herausnehmen. Der Sprecher der schwarzen Opposition, der Staatsfeind, differenziert: »Botha weiß, was getan werden muß, aber er hat Furcht vor dem rechten Flügel der weißen Gesellschaft.«

Mit seinem entschiedenen Auftreten während der letzten Wochen stahl Tutu sogar dem populären Zulu-Häuptling Gatsha Buthelezi die Show. Das kompromißbereite Oberhaupt der größten südafrikanischen Bevölkerungsgruppe verficht eine »Politik des Möglichen« und lehnt Boykott als Druckmittel ab. Solche Strategien würden nur wieder auf dem Rücken der Schwarzen ausgetragen, argumentiert der Stammesfürst.

Friedensnobelpreisträger Tutu hält dagegen: »Ich bin kein Pazifist. Es gibt Zeiten und Umstände, in denen man kämpfen muß.« Und: »Solange keine Gerechtigkeit herrscht, wird auch kein Friede sein.«

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