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BERLIN-KLAUSEL Treu und Glauben

In den Verhandlungen mit drei Ostblockstaaten will Bonn hart bleiben. Kanzler Brandt gab die Devise aus: ohne Berlin-Klausel keine diplomatischen Beziehungen und keine Reise nach Prag.
aus DER SPIEGEL 34/1973

Bundeskanzler Willy Brandt wurde ungewohnt deutlich. Am vergangenen Mittwoch überraschte der Regierungschef, sonst eher auf diplomatische Formulierungen bedacht, die Kabinettsrunde im Palais Schaumburg mit einer harten Festlegung: »Das muß ganz sauber sein. Ich werde keine Lösung akzeptieren, die nicht die Interessen der Berliner berücksichtigt.«

Des Kanzlers Richtlinien-Entscheidung galt den Verhandlungen über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit den drei letzten Ländern des Warschauer Paktes, in denen Bonn bislang nur durch Handelsmissionen vertreten ist: Tschechoslowakei, Ungarn und Bulgarien.

An einem scheinbar unbedeutenden Detail hatten sich die bis dahin unproblematischen Verhandlungen in den vergangenen Wochen festgefahren: an der Frage, ob West-Berliner Gerichte ihre Ersuchen um Rechtshilfe direkt an die Justizbehörden der drei Ost-Staaten richten müssen oder -- wie Bonn es verlangt -- ihre Anträge über die Botschaften der Bundesrepublik in Prag, Budapest und Sofia zu leiten haben.

Schlechte Erfahrungen früherer Jahre mit der Sowjet-Union und Polen hatten die AA-Diplomaten veranlaßt, diesen Punkt gesondert auf die Tagesordnung zu setzen.

Als die Regierung Adenauer 1955 diplomatische Beziehungen zu Moskau aufnahm, schien ihr eine ausdrückliche Berlin-Klausel nicht erforderlich. Und beim Botschafter-Austausch mit Warschau im September 1972 wurde zwar vereinbart, daß West-Berliner in Polen von Bonn konsularisch vertreten werden; auf eine ausdrückliche Erwähnung des Rechtshilfeverkehrs aber verzichtete das Auswärtige Amt, weil die Bundesregierung »nach Treu und Glauben« (ein Bonner Diplomat) davon ausging, daß der Begriff »konsularische Vertretung« auch diesen Komplex umfasse, wie in der Wiener Konvention von 1963 vereinbart.

Erst in der Praxis stellte sich heraus, daß die Polen ebenso wie die Sowjets alle Schreiben West-Berliner Gerichte ignorierten, die ihnen über die Bonner Botschaft zugestellt wurden. Ihr Argument: Im Viermächte-Abkommen über Berlin beziehe sich das Recht der Bundesrepublik, West-Berliner im Ausland konsularisch zu vertreten, ausdrücklich nur auf Personen. Gerichte hingegen seien Institutionen der selbständigen politischen Einheit West-Berlin, die nach dem Text des Abkommens nicht von Bonn regiert werde. Folglich dürfe die Bundesrepublik im Ausland auch nicht für diese Institutionen tätig werden.

Obwohl der Wortlaut der Berlin-Vereinbarung den östlichen Standpunkt zu stützen scheint, drängte das AA gegenüber Tschechoslowaken, Ungarn und Bulgaren auf Anerkennung der westdeutschen Auffassung, der Rechtshilfeverkehr gehöre nach allgemeinem Völkerrecht unbestritten zum konsularischen Aufgabenbereich.

Doch die Bonner Unterhändler liefen zunächst einmal auf. Bislang waren die Warschauer-Pakt-Staaten, allen voran die DDR, stets darauf bedacht, die Viermächte-Übereinkunft so eng wie möglich auszulegen. In einer konzertierten und mit Moskau abgestimmten Aktion weigerten sich denn auch die drei Regierungen, das Berlin-Abkommen extensiv zu interpretieren.

Sonderminister Egon Bahr hatte die AA-Diplomaten schon zu Beginn der Verhandlungen vor allzu großen Hoffnungen auf die Flexibilität der Moskauer Verbündeten gewarnt. Seine Linie: Man solle die Aufnahme diplomatischer Beziehungen nicht mit einem Detailstreit belasten, sondern zunächst einmal Botschafter austauschen. Da die Außenvertretung West-Berlins durch die Bundesrepublik von allen drei südosteuropäischen Staaten grundsätzlich nicht mehr bestritten werde, könne man die restlichen Berlin-Probleme dann in aller Ruhe ausräumen.

Im Kabinett kam Bahr am Mittwoch auf seinen Vorschlag zurück, nachdem AA-Staatssekretär Paul Frank über die zugespitzte Verhandlungssituation berichtet hatte. Kanzleramts-Staatssekretär Horst Grabert assistierte Bahr. Willy Brandt beendete die Diskussion durch ein Machtwort: »Solange das nicht durchgestanden ist, so lange gibt es keinen Vertrag über diplomatische Beziehungen und keine Reise des Kanzlers nach Prag. Ich kann mich schlecht als ehemaliger Berliner auf Reisen begeben, ehe die Punkte nicht geklärt sind.«

Die Mehrheit der Kabinettsrunde empfand den Spruch als deutliches Votum für die harte Linie Franks, der schon seit langem nachzuweisen bemüht ist, daß sein AA mit unnachgiebiger Haltung bei Ostverhandlungen mehr heraushole als der zu flexibler Taktik neigende Egon Bahr. Noch nie, so erkannte ein Kabinettsmitglied, habe der Kanzler seinen engsten Vertrauten im Regierungskreis derart desavouiert.

Das Votum für Frank fiel dem Regierungschef um so leichter, weil die Bundesregierung sich in der stärkeren Position glaubt. Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur CSSR, zu Ungarn und Bulgarien erscheint ihr nach den grundlegenden Verträgen mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin lediglich als »Kosmetik« (ein AA-Diplomat).

Hinzu kommt, daß alle drei Ost-Staaten aus handelspolitischen Gründen wesentlich stärker als die Bundesrepublik am Botschafter-Austausch interessiert sind. Der tschechoslowakische KP-Chef Gustav Husák verspricht sich vom Besuch des in West und Ost anerkannten Politikers Brandt zudem eine Aufwertung seines nach wie vor vom sowjetischen Einmarsch in die CSSR belasteten Regimes.

*Mit dem Berliner Regierenden Bürgermeister Klaus Schütz (links).

Doch selbst ein Scheitern der Verhandlungen, so glauben die Ost-Unterhändler, brächte Bonn Gewinn: Außenpolitisch entstünden der Bundesrepublik kaum Nachteile, innenpolitisch würde die sozialliberale Regierung sogar vom Ruch allzu großer Nachgiebigkeit gegenüber dem Osten befreit,

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