KONZENTRATION / CHEMIE Tribunal ohne Urteil
Der Konzernherr gab sich einsichtig: »Auch nach unserer Auffassung geht es um einen sehr bedeutsamen Zusammenschluß.« Also sprach Professor Bernhard Timm, Vorstandsvorsitzender der Badischen Anilin- & Soda-Fabrik (BASF) am vorletzten Donnerstag auf einem Hearing, zu dem das Berliner Bundeskartellamt eingeladen hatte.
Westdeutschlands oberste Wettbewerbs-Hüter argwöhnten, Timms BASF (Umsatz: 7,1 Milliarden Mark, 81 547 Beschäftigte) habe durch den Erwerb des Kasseler Düngemittel-Konzerns Wintershall (Umsatz: 1,8 Milliarden Mark, 13 138 Beschäftigte) eine monopolartige Stellung auf dem deutschen Markt erworben.
Doch anders als Amerikas Anti-Trust-Behörden, die derartige wirtschaftliche Machtblöcke zerschlagen dürfen, kann das Berliner Kartellamt laut Gesetz lediglich die Beteiligten »zu einer öffentlichen mündlichen Verhandlung oder zu einer schriftlichen Äußerung über den Zusammenschluß« auffordern. »Die geltende Fassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen«, klagt Kartellamts-Präsident Eberhard Günther, »ist für die Monopol-Kontrolle unzureichend.«
Die Fusion BASF! Wintershall beweist, wie sehr das deutsche Kartellgesetz -- Ludwig Erhard propagierte es einst als Kernstück seiner sozialen Marktwirtschaft -- die beamteten Konkurrenzwächter zur Ohnmacht verdammt: Die »Beschlußabteilung Marktbeherrschung« der West-Berliner Behörde konnte die BASF-Vertreter unter dem Aktenzeichen BM4O 00 00-U-63/69 nur zu einem Verfahren ohne Urteil bitten.
In der fünf stündigen Verhandlung am vorletzten Donnerstag hielten die Kartell-Juristen den BASF-Herren vor, sie könnten jetzt so gut wie allein die Preise für Kali-Salze und Stickstoff-Düngemittel bestimmen. In den Bergwerken der Wintershall, die Bernhard Timms gefräßiger Konzern Ende 1968 verschlang, wird fast die Hälfte der deutschen Kaliproduktion abgebaut. Wintershall wiederum hatte vor wenigen Monaten 43 Prozent der Anteile am zweitgrößten westdeutschen Kali-Unternehmen, der Hannoveraner Salzdetfurth AG, erworben.
Damit kontrolliert die BASF nun nach den Berechnungen des Kartellamtes bei einigen Stickstoffprodukten bis zu 53 Prozent des Inlandmarktes. Bei Kali-Salzen beherrscht das Ludwigshafener Unternehmen sogar fast 90 Prozent der deutschen Produktion. Folgert die Aufsichtsbehörde: »Der BASF-Konzern hat jetzt eine überlegene Stellung als Anbieter nahezu sämtlicher landwirtschaftlicher Düngersorten von Bedeutung.«
Was die Monopolisierung den deutschen Bauer und letztlich den Verbraucher kosten kann, wurde freilich schon vor dem Zusammenschluß von BASF und Wintershall deutlich: Statt mit ihren Preisen uni Käufer zu werben, hatten die Großen der Branchen schon zu Beginn eines jeden Dünge-Jahres Ihre Preise und Rabatte abgestimmt. »Außerdem«, so die Berliner Kartell-Rechercheure, »haben sie sich untereinander, jeweils täglich, von allen eventuellen Sonderzugeständnissen fernschriftlich unterrichtet.«
Selbst derartige »Marktinformationen« (Tarnname für Preisabsprachen) haben die nunmehr verflochtenen Düngemittel-Fabrikanten nicht mehr nötig. Denn am 1. Juli wollen die BASF-Tochter Wintershall und die BASF-Enkelin Salzdetfurth ihre Kali-Werke unter einem Firmendach, in der »Gesellschaft für Kali-Interessen GmbH« vereinigen.
Der Ludwigshafener Chemie-Gigant wollte dennoch nicht wahrhaben, daß er mit seinen Akquisitionen den Wettbewerb auf »einem bedeutenden Sektor« (Kartellamt) fast völlig ausgeschaltet habe. BASF-Vorstand Timm ließ der Behörde entgegenhalten, sein Unternehmen stehe »im scharfen Wettbewerb« mit ausländischen Konzernen. Im EWG-Raum würden acht bis zehn Düngemittel-Hersteller hart um jeden Kunden konkurrieren.
In Wahrheit freilich sind die BASF und ihre neu erworbenen Verwandten auch schon längst mit den bedeutenden europäischen Herstellern versippt. Die meisten Stickstoff-Produzenten des Kontinents haben sich schon 1962 in einem internationalen Export-Kartell, der Nitrex AG in Zürich, zusammengeschlossen. Sie haben die Märkte unter sich aufgeteilt und sorgen dafür, daß keines der beteiligten Unternehmen seinen Kunstdünger in dritte Länder zu günstigeren Konditionen liefert als zuvor abgesprochen. Die Nitrex, so erklärten ihre Urheber 1962 ganz ernsthaft, sei ein Beitrag zum Kampf gegen den Hunger in der Welt.
Die Experten des Kartellamtes vermuten sogar, die Nitrex-Mitglieder hätten sogenannte Heimatschutz-Abkommen vereinbart und sich gegenseitig zugesichert, daß keiner in den Inlandsmarkt des anderen einbreche. Derartige Geheimabsprachen verstoßen gegen die EWG-Verträge, zu denen sich die verdächtigten Manager alle Tage salbungsvoll bekennen, und Absprachen sind den Konzernen freilich auch nicht nachzuweisen. Tatsache aber ist, so vermerkten die Wettbewerbs-Schützer in der Verhandlung über die Folgen der BASF-Wintershall-Fusion, daß auf dem deutschen Markt bei vielen Stickstoff-Düngemitteln »Importe völlig fehlen oder zumindest bedeutungslos sind«.
Das Berliner Tribunal bleibt so folgenschwer wie ein Regenguß im Mai. An die Nitrex AG in der Schweiz kommen die Berliner ohnehin nicht heran -- und selbst das nationale Monopol können sie mangels rechtlicher Grundlage nicht knacken. Erst eine Fusionskontrolle, wie sie von Kartellamts-Präsident Günther und von Wirtschaftsminister Schiller gefordert wird, würde das Amt dazu ermächtigen, derartige Monopole durch Verkaufsauflagen zu zerschlagen.
Gegen das Ansinnen, es solle den freien Konzernen die Freiheit, den Wettbewerb zu beseitigen, genommen werden, protestierte der Bundesverband der deutschen Industrie: »Das wäre eine Revolution.«