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BUNDESLÄNDER / NORDRHEIN-WESTFALEN Trotz im Test

aus DER SPIEGEL 40/1967

Caritas-Pfarrer Karl Theo Schultebraucks, Erzbischöflicher Beauftragter für Schulfragen, und Professor Johannes Schlüter, Vorsitzender der Katholischen Elternschaft des Erzbistums Paderborn, schalten Dortmunds Stadtväter in einem Flugblatt »einseitig, unfair und undemokratisch«. Dortmunds CDU-Kreisvorsitzender Hans Mönig warf den Ratsherren »unlautere Mittel« vor. Und Paderborns Erzbischof Lorenz Kardinal Jaeger schlug in einem Hirtenbrief, der von allen Dortmunder katholischen Kanzeln verlesen wurde, ähnliche Töne an.

So loderte mitten im Kohlenpott wieder zu heller Flamme auf, was die im Lande regierenden Sozial- und Freidemokraten zusammen mit der CDU Ende Mai gelöscht zu haben glaubten: Der Kulturkampf um die Konfessionsschulen begann von neuem.

In der vergangenen Woche breitete er sich auf das ganze Land aus: Die fünf in Nordrhein-Westfalen residierenden katholischen Bischöfe protestierten gemeinsam »mit Bestürzung und ernster Sorge« dagegen, daß ein »vernichtender Schlag gegen die katholische Schule« geführt werde.

Die katholischen Bischöfe wollen eine Entwicklung stoppen, die auf Anweisung des SPD-Kultusministers Fritz Holthoff im neuen Schuljahr an 155 Schulen Nordrhein-Westfalens mit 765 Klassen und 30 600 Schülern begonnen hat: die Umwandlung der bisherigen Volksschul-Oberstufe (fünftes bis neuntes Schuljahr) in »Hauptschulen der weiterführenden Bildung«. Später soll die neue Schulform per Gesetz im ganzen Land eingeführt werden.

Ein Kennzeichen der neuen Hauptschulen wird sein, daß sie »von Amts wegen« Gemeinschaftsschulen sein werden; Konfessionsschulen für Zehnbis Fünfzehnjährige wird es nur noch auf besonderen Antrag der Eltern geben. In Dortmund gab die SPD/FDP-Mehrheit des Stadtparlaments zu erkennen, daß sie überhaupt keine Konfessionsschulen mehr will: Sie ließ trotz Protestes des Klerus und der CDU nur Gemeinschaftsschulen zum Schulversuch zu.

Aber wichtiger noch als die Entkonfessionalisierung ist den nordrhein-westfälischen Schulreformern ein anderes Ziel: Die neuen Hauptschulen sollen die Begabten besser fördern als die alten Volksschulen.

Hauptmerkmal der neuen Hauptschulen ist die Aufteilung des Stundenplans in Kursunterricht (Deutsch, Englisch, Mathematik, Physik und Chemie), für den die Kinder in drei Leistungsgruppen A, B und C aufgeteilt werden, und Kern-Unterricht (alle übrigen Fächer).

Am Kern-Unterricht nimmt die Klasse gemeinsam teil, im Kursunterricht aber kann ein Schüler in Mathematik zur Gruppe A, in Englisch zur Gruppe C gehören.

Da jede Hauptschule mindestens zwei Klassen je Jahrgang haben soll, können die jeweiligen Leistungsgruppen der Parallelklassen gemeinsam unterrichtet werden. Die Langsam-Denker können die Intelligenten nicht mehr behindern, der Durchschnitt bleibt unter sich.

Zudem sollen die Hauptschüler mehr lernen als bisher die Volksschüler. Im Deutschunterricht werden sie Brechts »Mutter Courage« lesen, im Physik- und Chemieunterricht an eigenen Laborplätzen Versuche anstellen. Durch Betriebs-Praktika sollen sie sich auf den Beruf vorbereiten.

Diese neue Schulform kann allerdings erst für ganz Nordrhein-Westfalen eingeführt werden, wenn der Landtag die Schulartikel der Verfassung geändert und ein neues Schulgesetz verabschiedet hat.

Zunächst schienen sich alle Parteien einig zu sein. Erst seit die katholische Kirche in Dortmund einen Schulstreit entfachte, kamen der CDU wieder Bedenken. Sie schwankt, ob sie dem Test trotzen oder ihn unterstützen soll. Der Oppositionsführer Dr. Wilhelm Lenz läßt die Frage offen, ob seine CDU noch für ein neues Schulgesetz stimmen wird.

Ohne CDU-Stimmen aber kann die in Nordrhein-Westfalen mit der FDP regierende SPD die Schulartikel der Verfassung nicht ändern: Für die Zweidrittelmehrheit fehlen den beiden Regierungsparteien 20 Stimmen.

Physikunterricht In der Friedrich-Ebert-Schule.

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