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BERLIN Tuckernder Trabi

Der Streit um die Polizeipannen bei den Mai-Krawallen eskaliert. Im Mittelpunkt steht Innensenator Pätzold, ein früherer SPD-Rechter, der zur Klammer des rot-grünen Bündnisses geworden ist.
aus DER SPIEGEL 20/1989

Umstanden von feindseligen Bürgern, versammelten sich letzten September auf einem Schöneberger Straßenplatz Weltbank-Gegner mit Musik, Reden und Transparenten zur autonomen Demo. Die Polizei fuhr dazwischen und packte an Haaren, Armen und Beinen, was durch Aussehen, Verhalten oder Maskierung nach »Störer« aussah.

Der brutale Einsatz ließ die Stimmung bei den Beobachtern kippen. Ein silberhaariger älterer Herr mit Brille wurde von Passanten zur Aktion gegen die Polizei aufgefordert: »Herr Pätzold, unternehmen Sie doch was!«

Für Erich Pätzold, 58, Sicherheitsexperte der damaligen SPD-Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus, wurde das zum Schlüsselerlebnis. Drastisch wie bis dahin noch nie erlebte er mit eigenen Augen, welche Folgen übermäßig angewandte Staatsgewalt zeitigen kann.

Seither ließ der SPD-Mann kaum eine Demonstration aus. Und weil er ständig bei Polizeioberen gegen Beamtengewalt intervenierte, zog er sich öfter mal den Vorwurf zu, er habe »geradezu Befehlsgewalt übernommen«.

Seit Pätzold Innensenator wurde, hat sich das gereizte Verhältnis der Ordnungsmacht zu Roten und Grünen weiter verschlechtert. Erbittert versucht die Polizeiführung nach den schweren Kreuzberger Krawallen vom 1. Mai, bei denen über 300 Beamte verletzt wurden, ihr Debakel auf Pätzold abzuschieben. Der habe, mit seinen Bemühungen um »Deeskalation« zwischen Polizei und autonomen Rebellen, die Krawalle erst möglich gemacht.

Der Senat habe »Kreuzberg zur Plünderung freigegeben«, tönte Ex-Bürgermeister Eberhard Diepgen, dessen CDU im Abgeordnetenhaus die erste Aktionseinheit mit den Republikanern inszenierte - beide Fraktionen kündigten für Donnerstag vor Pfingsten Mißtrauensanträge gegen Pätzold an.

Denn auch die Christdemokraten haben mit Pätzold alte Rechnungen offen. Skandale im Verfassungsschutz sowie christdemokratischen Filz im Sicherheitsapparat zählte der Oppositionspolitiker Pätzold so beharrlich auf, daß sein genervter Amtsvorgänger Wilhelm Kewenig (CDU) ihm nach der rotgrünen Senatorenwahl nicht einmal mehr die Hand gab.

Die Folgen des 1. Mai polarisierten die ganze halbe Stadt. »Jetzt haut Pätzold seine Polizei in die Pfanne!« titelte, in vier Zentimeter hohen Lettern, Springers »B.Z.« Das zieht in Berlin. Dabei geht die Pannenserie in der Nacht der Pflastersteine vor allem auf das Konto der Polizeistrategen, die ihren ungeliebten Vorgesetzten - womöglich gar bewußt - auflaufen ließen.

Schon der Deckname »Trabant« für die Einsatzplanung am 1. Mai bezeichnete ungewollt den fatalen Ablauf: Nach Art des gleichnamigen Zweitaktmobils aus der DDR ("Trabi") tuckerte die Polizei dem Geschehen meist nur hinterher, als auf Kreuzbergs Straßen demoliert, gezündelt und geplündert wurde.

Doch der von Pätzold gebilligte »Durchführungsplan«, mit dem die Polizeiführung den Einsatz am 1. Mai schon eine Woche zuvor beschrieb, hatte harte Gegenmaßnahmen für den Fall vorgesehen, daß die auf 1000 Anhänger geschätzte Berliner Autonomen-Szene gewalttätig werden würde.

Die Liste der »besonders gefährdeten Objekte« am Weg des »revolutionären« Mai-Umzugs enthielt auch viele jener Ladenschaufenster, die dann tatsächlich entglast wurden - weil schließlich doch keine Polizei dort stand. Selbst das »Gefangenenwesen« - Aufteilung der »Straftäter« und »Störer« in zwei Zellenbauten - war vorab geregelt worden.

Daß der Plan dann nicht in die Tat umgesetzt wurde, versuchten die Polizeiführer hernach ihrem Innensenator anzulasten: Der habe in Dienstbesprechungen, so ein insgeheim von Oberpolizisten gefertigtes Protokoll, die Marschroute ausgegeben, bei Aktionen gegen Vermummte »restriktiv« vorzugehen und, zwecks Deeskalation, die Polizei im Hintergrund zu halten.

So habe Pätzold den Beamten »den Entscheidungsspielraum auf Null« gestutzt, klagte Polizeipräsident Georg Schertz hinterher (SPIEGEL 19/1989). Als habe es den »Trabant«-Plan, der erst nach dem Geheimprotokoll abgefaßt wurde, nie gegeben, bekräftigten Schertz und sein Landespolizeidirektor Manfred Kittlaus vor Pfingsten im Sicherheitsausschuß des Parlaments, sie hätten Pätzolds Äußerungen als »Weisung« verstanden.

Doch die Angriffe auf den Innensenator finden an der Polizeibasis, berichten Beamte, nicht ungeteilte Zustimmung. Schließlich hatten die Verantwortlichen vor aller Augen ein Chaos zugelassen, das schwerlich mit der »Weisung« eines Senators erklärt werden konnte.

So wurde in die Steineschlacht um den Lausitzer Platz ein ganzer Unterführer-Lehrgang, rund 60 Mann, ungeschützt mit Hemd und Mütze entsandt. Und während der Revoluzzer-Umzug marschierte, standen die Polizeiverstärkungen kilometerweit entfernt.

Spätestens als die ersten Steinwürfe auf Verkehrspolizisten gemeldet wurden, hätten die Einsatzleiter aus ihrer Passivität erwachen müssen, sagt der Leiter einer Einheit: »Das hört doch jeder über Funk, da pfeift man ja wohl auf den Senator.«

Der bestreitet ohnedies, die »Weisungen«, die ihm nun von seinen Untergebenen zugeschrieben werden, gegeben zu haben. Pätzold verweist auf den »Trabant«-Plan, in dem die Polizeiführer selber harte Maßnahmen vorbereitet hatten, unter anderem:

»Erkannte Störer sind seitlich zu begleiten.«

»Verhindern von Ausschreitungen gegen bzw. aus dem Aufzug.«

»Durchsetzen des Vermummungsverbots.«

»Gezielte Festnahme von Straftätern und Störern.«

Der Streit um die Schuld wird zusätzlich durch den Dauerkonflikt zwischen Polizeiführung und SPD-Spitze geschürt. Dem sozialdemokratischen Landespolizeidirektor Kittlaus lasten die Genossen an, daß er Fehlgriffe während der Zeit des CDU/FDP-Senats mitzuvertreten hat - von der Bildung der Schlagstock-Truppe »EbLT« bis zur Einkesselung von Journalisten bei Krawallen während der Weltbank-Tagung.

Der Leitende Polizeidirektor Heinz Ernst schließlich, der vom polizeilichen Lagezentrum aus die Kreuzberger Polizeieinsätze lenkte, war kurz nach der Wahl mit Pätzold aneinandergeraten. Der Senator hatte den Beamten beschuldigt, den rechtsextremen Republikanern das Gütesiegel »eindeutig demokratisch« ausgestellt zu haben.

Der attackierte Innensenator, der seinem Polizeipräsidenten nach den Krawallen »ggf. Schlußfolgerungen« androhte, genießt dagegen die Solidarität der rot-grünen Regenten. Denn dem Politiker, in allerlei Partei- und Verwaltungsquerelen erfahren, kommt inzwischen im Bündnis mit den Alternativen eine Art Klammerfunktion zu.

Früher, so gesteht der Genosse, der zu Hochzeiten sozialdemokratischer Regierungen als rechter Technokrat ausgewiesen war, hätten die Alternativen bei ihm »physische Gefühle der Ablehnung« erzeugt. Nun aber, glaubt er, gelte er als »eine Art Idol bei denen«.

Ganz so innig sieht es die andere Seite nicht. Immerhin aber teilen die Alternativen weitgehend Pätzolds kritische Positionen in der Sicherheitspolitik und rühmen seine »Verläßlichkeit«. Die alternative Abgeordnete Renate Künast: »Bei den Rechten weiß man eben eher Bescheid als bei den Linken.«

Profil gewann Pätzold in den letzten drei Jahren als Kritiker des schwarz verfilzten Landesamts für Verfassungsschutz. Der SPD-Mann enttarnte jahrelange Bespitzelung von kritischen Journalisten und oppositionellen Politikern durch das Landesamt. Skandal machte, daß die Verfassungsschützer ihren Kritiker am Ende durch einen Mitarbeiter ausspähen ließen. Nicht zuletzt deshalb wurde der Landesamtsleiter Dieter Wagner in einer der ersten Aktionen des neuen Senats geschaßt.

Pätzold förderte auch die im Tresor des Landesamts verborgen gehaltene Pistole hervor, mit der einst offenbar unter Beteiligung von Verfassungsschutzkonfidenten der Student Ulrich Schmücker, Mitglied der terroristischen Bewegung 2. Juni, erschossen worden ist. Aus dem Apparat will Pätzold nun, so seine Ankündigung, eine »weithin offen arbeitende« Nachrichtenbehörde machen.

Solche liberalen Töne kommen von einem Genossen, der einst als Kreisvorsitzender des roten Wedding in den jahrzehntelang zerstrittenen SPD-Untergliederungen stets zu den rechten Flügelleuten zählte, die in früheren SPD-Regierungen traditionell die Mehrheit stellten. Der Karrierebeamte war nacheinander Finanzstadtrat, Senatsdirektor für Finanzen und, von 1973 bis 1981, Senator für Gesundheit und Umweltschutz.

Den rechten Besitzstand in der eigenen Partei wußte Pätzold rigoros zu wahren: Mit der Betonriege wehrte er die Parteilinke bei der Besetzung von Ämtern so rabiat ab, daß ihm der Ruf eines »Keulenschwingers« anhaftete.

Gegen Filz focht er auch im eigenen Lager. Als Weddinger Finanzstadtrat provozierte Pätzold fast die Spaltung seines Bezirksamts, nachdem er im Bereich eines Kollegen »Korruption« und einen »allgemeinen Verfall der Dienstmoral« entdeckt zu haben glaubte.

Solches »Engagement bis hin zum Purismus« betrachtet der einstige Lawand-order-Politiker nun mit einiger Sympathie bei den früheren Gegenspielern von der Alternativen Liste. Bei Diskussionen über die Gewaltfrage beeindruckte den Altrechten auch »die erzchristliche Grundhaltung« der Grünen. Neuerdings dankt er ihnen sogar ein persönliches Lernergebnis - »das Empfinden für die Spirale, wo am Ende immer nur Gewalt steht«.

»Gegen Gewalt und Straßenterror«, so ein Transparent, protestierten am Mittwoch vor Pfingsten auch rund 16 000 Polizisten, Angehörige und Protestler, darunter ein stattlicher Block der Republikaner ("Reps für eine starke Polizei"). Gegen wen sich der Aufmarsch richtete, wurde rasch klar. Als Polizeipfarrer Johannes Meyer zum Stadtfrieden aufrufen wollte und anhob: »Das Gebot der Stunde lautet«, unterbrach ihn die Menge mit dem Ruf: »Pätzold raus!«

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