WAHLEN Tücke der Termine
Willy Brandt hat genug. »Das kann so nicht weitergehen«, befand der Kanzler, nachdem er und die sozialliberale Regierungsprominenz in den letzten zwölf Monaten bei acht Landtags-Wahlkämpfen Bonner Politik verkauft hatten.
Der ständige Wahl-Einsatz in der Provinz verschliß die neuen Herren Bonns weit mehr als ihre christ- und freidemokratischen Vorgänger. Denn angesichts der knappen SPD/FDP-Mehrheit im Bundestag, der Minderheit im Bundesrat und der zunehmenden politischen Polarisierung wurde aus jeder regionalen Wahl ein Grundsatzkampf, schien es jedesmal um ein Stück Existenz der Bonner Regierung zu gehen. Die Spitzenpolitiker standen in einem »permanenten Bundestagswahlkampf« (Brandt).
Gegen die Tücke der Termine verfiel der Kanzler auf ein Mittel, das schon seit einem Jahrzehnt von CDU-Politikern angepriesen worden war: Brandt will künftig in allen zehn Bundesländern und West-Berlin am gleichen Tag, und zwar bei Halbzeit der Bonner Legislaturperiode, wählen lassen.
Schon vor 13 Jahren hatte der CDU-Innenminister Gerhard Schröder vorgeschlagen, in einer »konservativen Reform ohne Operation« (Schröder) die wahllos über den Terminkalender verstreuten elf Landtagswahlen wenigstens zu zwei Gruppen zusammenzufassen. Er war aber sofort auf den Widerstand der SPD-Opposition und der Länder gestoßen.
Auch ein Vorschlag von CDU-Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier aus dem Jahr 1962, die Wahlperiode des Bundestags von vier auf sechs Jahre zu verlängern und die Landtagswahlen genau in die Mitte zwischen zwei Bundestagswahlen zu legen, scheiterte. 1966 schließlich rannte sich Innenminister Paul Lücke mit einem Vorschlag, die Termine in den Ländern zu bündeln, am Veto der Ministerpräsidenten fest, vornehmlich am Baden-Württemberger Kurt Georg Kiesinger, der »schärfstes Kontra« ansagte, weil er den »Tod des deutschen Föderalismus« befürchtete.
Auch Brandt wird mit dem Argument konfrontiert werden, eine Einheitswahl in den Ländern sei praktisch eine zweite Bundestagswahl, die folgerichtig auch nicht mit Länder-, sondern nur noch mit Bundesargumenten bestritten werde. Eine solche Zwischenwahl würde nicht nur den Föderalismus aushöhlen, sondern auch die Bonner Regierungspolitik in Zwei-Jahres-Perioden einzwängen.
Doch der Bundeskanzler will nicht so schnell wie seine Vorgänger kapitulieren. Gegen die Kritik der Föderalisten beruft sich Brandt auf den Bundesstaat USA, wo alle zwei Jahre am gleichen Tag in allen Staaten gewählt wird, allerdings gleichzeitig für Ämter in Bund und Einzelstaaten. Brandt: »Auch bei den »mid-term elections' in Amerika kommt der Föderalismus nicht zu kurz. Dort wählen die Leute an ein und demselben Tag einen demokratischen Senator und einen republikanischen Gouverneur.«
Gerade das aber -- die Chance, gleichzeitig mit der Länderwahl auch über das Bundesparlament zu bestimmen -- würde in Brandts Konzept fehlen.
Der Kanzler hat das Bonner Klima für seine Terminreform schon getestet: Sowohl der CDU-Vorsitzende Kiesinger als auch der mögliche CDU-Kanzlerkandidat Gerhard Schröder sind Brandts Plänen gewogen.
Nicht-Jurist Brandt hat sich bereits Kniffe ausgedacht, mit denen er Unregelmäßigkeiten begegnen will, die seinen sauberen Zeitplan durcheinanderbringen könnten. Zehn von elf Länderverfassungen (ausgenommen die Verfassung des Landes Bremen) lassen nämlich -- wie auch das Grundgesetz für den Bundestag -- eine vorzeitige Auflösung der Parlamente mit anschließenden Neuwahlen zu -- ein Verfahren, das den Zwei-Jahres-Turnus jederzeit in Frage stellen kann.
Brandts Trick: Wird ein Länderparlament vor seiner Halbzeit aufgelöst, so amtiert der dann neu gewählte Landtag nur bis zur nächsten generellen Länderneuwahl -- also weniger als vier Jahre. Scheitert ein Länderparlarment nach Halbzeit, so bleibt der neugewählte Landtag bis zur übernächsten Länderwahl im Amt -- also länger als vier, höchstens sechs Jahre.
Die Ausführung des Brandt-Plans setzt voraus, daß alle Länder ihre Verfassungen ändern. Auch in das Grundgesetz müßte eine Regelung eingefügt werden, die verhindert, daß bei vorzeitiger Auflösung des Bundestags der Zeitplan gestört wird.
Ein weiteres Problem will der Kanzler leichthin dadurch aus der Welt schaffen, daß er wie weiland Eugen Gerstenmaler alle bundesdeutschen Legislaturperioden generell zu verlängern vorschlägt -- womit freilich ein Stück Wählersouveränität abgebaut würde. Das Problem: Nordrhein-Westfalen und das Saarland wählen nur alle fünf Jahre.
Dazu Willy Brandt: »Fünf ist auch durch zwei teilbar. Dann wählen wir eben alle zweieinhalb Jahre.«