Türken rein!
Türken raus! Aus der völkischen Seele eilig hingeschmiert, waren die nationalen Stoßseufzer auf den Häuserwänden von Berlin-Kreuzberg, Hamburg-Altona oder München-Laim aufgetaucht.
Das Land der machtgeschützten Innerlichkeit, das Volk ohne Raum hat keinen Platz für fremde Minderheiten. Ob im linken oder rechten Vorurteil - der Türke/Pakistani/Schwarze ist entweder faul, also schlecht, oder ein Opfer des Imperialismus, also nur ein Exemplar.
Türken nehmen Arbeitsplätze weg? Sie wurden gerufen, nicht gekauft: Wer sie heute wie Stückgut in ihre Heimat zurückverfrachten wollte, würde den Arbeitgeber-Stil der Zukunft einüben, der dann auch Deutsche träfe.
Türken tragen das falsche Gebetbuch? Wir tragen überhaupt keins mehr.
Türkische Kriminelle verkaufen Drogen? Deutsche Kunden konsumieren sie.
Türkische Kinder lungern ohne Aufsicht in Torgängen und an den Straßenecken? Sie können, anders als wir, das deutsche Ur-Schild nicht lesen: »Spielen verboten!«
Die Minderheit galt uns stets als das Zweifelhafte, das Auszugrenzende. Das sind die Armen vor dem Stadttor des Mittelalters - Henker, Abdecker, Totengräber.
Im postindustriellen Zeitalter Mitteleuropas sind derlei Gestalten nur für produktionstechnische Übergangsphasen eingeplant. Die sind nun abgelaufen. Innenminister Zimmermann ist der Schrankenwärter einer möglichst türkenlosen Zukunft.
Deutsche Worte: Die »Förderung der Rückkehrbereitschaft«, die »Fixierung konkreter Versagungsgründe für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis« - das wären, aus dem Munde Zimmermanns, die Ziele eines neuen Ausländergesetzes. Setzt es sich durch, könnten dann in den Räumen ehemaliger Rassenämter - derlei gab es ja - die Versagungsgrundformulare gesammelt werden: daß man Türke sei, womöglich im Zustand mangelnder Rückkehrbereitschaft, ist dort aktenkundig.
Die Sozialdemokraten, von Soziologen intellektuell umsorgt, proben derweil die feineren Varianten von »Türken raus!«. Martin Neuffer, einst SPD-Intendant des NDR, kennt, wie die Türkologen von der CSU, den verdinglichten Menschen, »das Ausländerkind«, und seinen Karteikasten-Nachbarn, den »Asylanten«, und er kümmert sich: »Je mehr Türken hier leben, um so geringer ist die Aussicht, daß es zu einer echten ''Einbürgerung'' kommt.« _(Martin Neuffer: »Die Erde wächst nicht ) _(mit«. Verlag C. H. Beck, München 1982; ) _(195 Seiten; 17,80 Mark. )
Doch was wäre das deutsche Geschenk mit Vorbehalt - die »echte Einbürgerung«? Es wäre zumal die Aufnahme ins deutsche Gemüt: Ein echter Bürger ist, wer den Fremden mißtraut, wer, wie Minister Zimmermann, von Türken (und anderen) »mehr als bisher eigene Integrationsleistungen« erwartet. Sprecht Deutsch!
Man rief Arbeitskräfte, so Max Frisch, und es kamen Menschen. Als auch noch deren Kinder folgten, ächzte der Integrationsapparat: Drosseln, einschränken, schließen! Doch die Minderheit war da. Es ist ja nicht die erste in der deutschen Geschichte.
Ausländische Minderheiten sind, allem soziologischen Vorurteil zuwider, keine Integrationsmasse. Im Gegenteil, ihr gesellschaftlicher Segen liegt in ihrer störenden Anwesenheit: Im Land der faulen Kompromisse stehen sie für die Einübung von Toleranz ein. Auch erinnern sie uns daran, daß in anderen Regionen Ungerechtigkeit und Tyrannei die Regel sind.
Nicht in der Gemütlichkeit der Nation, sondern in der Freiheit ihrer Minderheit bewährt sich die republikanische Substanz unserer Verfassung. Schon darum dürfen wir auf die Türken nicht verzichten.
Die Ausländer in Deutschland sind die Bewährungsprobe, an der die Beschränktheit nationaler Sitten zu zerbrechen hätte. Bürgerrechtsgesetze zum Schutz von Minderheiten verschärfen den Blick für soziales Unrecht auch in anderen, in deutschen Quartieren der Nation. Wer sich aber, wie der Gemütsmensch Zimmermann, nach »spannungsfreiem Zusammenleben von Deutschen und Ausländern« sehnt, dem steht auch anderswo der Sinn nach Ruhe und Ordnung:
Haben wir denn die alten Ghettos abgeschafft - und wie wir sie abgeschafft haben! -, um neue zu ertragen? fragt der böse Geist der Wendezeit. Denn ausländische Minderheiten reizen und verärgern ihn. Mögen sie doch in ihren pittoresken Dörfern West-Anatoliens bleiben - die Photo-Objekte unseres Sommerurlaubes!
Die Türken sind die allzu klaren Gegenbilder unseres Reichtums, unserer guten, alten völkischen Eigenart. Mag sein, daß wir auf die Fremden verzichten wollen, weil uns der Anblick kränkt, den sie uns von uns selbst vermitteln.
Türken raus? Das wäre ein bequemer Verzicht auf Gastfreundschaft und auch auf Mitleid, ein Verzicht auf kommunalpolitische Phantasie und auf die Einsicht, daß Fremdheit den Menschen immer noch besser zu Gesicht steht als nationale Bierruhe im deutschen Wohlstand.
Türken rein!
Martin Neuffer: »Die Erde wächst nicht mit«. Verlag C. H. Beck,München 1982; 195 Seiten; 17,80 Mark.