UBLE NACHREDE
(Nr. 3/52, Schumanplan)
Als ich heute morgen unter meiner Post einen eingeschriebenen Brief des SPIEGEL-Verlag fand, vermutete ich, daß er sachliche Einwendungen gegen meine Bundestagsrede vom 11. Januar enthalten würde. Zu meiner Ueberraschung mußte ich feststellen, daß Ihr Brief lediglich die unbegründete Behauptung enthielt, meine Ausführungen, die sich auf den Artikel »Ein Lebewohl den Brüdern im Osten« bezogen, seien »eine unqualifizierbare Ehrabschneidung« bzw. »eine ehrabschneidende Beleidigung«. Ich weise diese Behauptung entschieden zurück.
Zu Ihrer Aufforderung, meine Ausführungen in der Oeffentlichkeit zu wiederholen, bemerke ich folgendes: Artikel 46 Abs. 1 des Grundgesetzes nimmt verleumderische Beleidigungen ausdrücklich von dem Schutze aus, den sonst Ausführungen der Abgeordneten im Bundestag genießen*). Da Sie meinen Darlegungen beleidigenden Charakter zusprechen, stehen Ihnen also dieselben Rechtsmittel zur Verfügung, als wenn die Ausführungen in der Oeffentlichkeit gefallen wären. Ihre Annahme, daß nur durch eine öffentliche Wiederholung die Voraussetzung zur Klage geschaffen werden könne, ist unrichtig und Ihre dahingehende Aufforderung somit unbegründet.
Bonn
Deutscher Bundestag Abgeordneter
Dr. Robert Tillmanns
Der SPIEGEL hat dem Abgeordneten Dr. Tillmanns geantwortet:
»In Ihrem Brief vom 14. Januar schreiben Sie Sie hätten sachliche Einwendungen gegen Ihre Bundestagsrede seitens des SPIEGEL erwartet. Sachliche Einwendungen gegen die Unterstellung, daß wir politisch im Osten beheimatet sind, können Sie wohl kaum erwartet haben. Dies ist nicht nur ein unsachliches Argument, sondern es ist ein ehrabschneiderisches, beleidigendes Argument, es ist eine üble Nachrede**).
»Wenn das Grundgesetz verleumderische Beleidigungen***) von dem Schutz ausnimmt, den es den Bundestagsabgeordneten während der Debatten gewährt, so wissen Sie vermutlich selbst, daß der verleumderische Vorsatz bei beleidigenden Unterstellungen schwerlich bewiesen werden kann. Das Grundgesetz schützt nun einmal die Abgeordneten vor den Folgen einer üblen Nachrede**) im Bundestag, und ich darf feststellen, daß Sie sich hinter diesem Schutz verschanzen. Ich hatte das auch nicht anders erwartet.
»Unsere Einladung an Sie, für Ihre unverantwortlichen Aeußerungen nunmehr in der Oeffentlichkeit außerhalb des Bundestages verantwortlich einzutreten, halten wir aufrecht.« - Red.