JUSTIZ Über den Schatten
Westdeutschlands Terroristenjäger wollen von neuem Tritt fassen. Wenn Aufruhr in der Szene herrscht, sollen Polizeistellen, Anklagebehörden und Krisenstäbe nicht wieder durcheinanderwursteln. Nach zahlreichen Fahndungspannen erschallt unter Sicherheitspolitikern nun der Ruf nach »klaren Kompetenzen
Mehr Platz für »polizeilichen Sachverstand« etwa forderte Hermann Höcherl in seinem Resümee der Schleyer-Fahndung, »Hineinregieren« habe zu unterbleiben. Das Bundeskriminalamt solle am Tatort nur noch durch den Bundesinnenminister angesetzt werden, beschloß Ende August die Innenministerkonferenz (IMK). Vor Ort, wünschte sich NRW-Innenminister Burkhard Hirsch, sollten »Fachleute« es richten.
Und als im September, nach der Erschießung des Willy Peter Stoll, in Düsseldorf wieder wie gewohnt die Bundesanwaltschaft auf den Plan trat, nahm der Düsseldorfer Innenminister den Generalbundesanwalt an. »Es wäre zu empfehlen«, so Hirsch, »daß Herr Rebmann endlich über seinen Schatten springen und sich an die Beschlüsse der Innenministerkonferenz halten würde.«
Ein barscher Rat, kein guter. Denn die Neuregelung der Innenminister, die den Generalbundesanwalt zugunsten
* Im Karlsruher Amtszimmer, vor den Porträts seiner Amtsvorgänger,
der Polizei entmachtet, hat Schönheitsfehler. Sie verstößt immerhin gegen die Strafprozeßordnung, gegen das Gerichtsverfassungsgesetz und gegen das Gesetz über das Bundeskriminalamt.
Die Innenministerbeschlüsse vom 29. August wären nur per Novellierung der einschlägigen Gesetze abzudecken; dazu ist aber von Verfassungs wegen ausschließlich der Gesetzgeber befugt. Und für eine Machtkonzentration zugunsten der Polizei dürfte sich schwerlich eine Mehrheit im Bundestag finden. Wie die Innenminister grundsätzliche Zuständigkeitsfragen kurzerhand in ihrem Sinne regelten, sorgte unter Bundesjuristen für Erstaunen -- ein Akt von Amtsanmaßung, wie Kritiker in Karlsruhe finden.
Ziel der umstrittenen Beschlüsse war die »Regelung der Zusammenarbeit des Bundeskriminalamtes (BKA) und der Länderpolizeien in Fällen terroristischer Gewaltkriminalität von bundesweiter Bedeutung«. Wesentlicher Inhalt: Das BKA »entsendet und unterstellt« nach den Punkten 2.2.3. und 2.2.4. »auf Anforderung der für den Tatort zuständigen Polizeibehörde« Arbeitsgruppen oder fallkundige Beamte. Von der mehrfach gesetzlich begründeten Zuständigkeit des Generalbundesanwalts ist in dem Papier nicht mehr die Rede.
Mit ihrem Kraftakt machen die Polizeiminister dem Generalbundesanwalt seine nach der Strafprozeßordnung (StPO) verbürgte Stellung als »Herr des Ermittlungsverfahrens« streitig -- eine Funktion, die den rechtsstaatlichen Gang der Ermittlungen garantieren und den Bürger auch vor polizeilichem Übereifer schützen soll.
Rebmann wehrt sich zwar gegen Aktivitäten. »die ersichtlich auf eine Neuverteilung der Zuständigkeiten zwischen Staatsanwaltschaft und Polizei hinzielen«. Diese Neuverteilung ist indessen, jedenfalls nach Meinung Hirschs. längst Realität. Er hatte bereits wenige Tage nach den IMK-Beschlüssen Gelegenheit. die Probe aufs Exempel zu machen und dem obersten Ankläger in Karlsruhe die neue Machtverteilung vor Augen zu führen.
Nach dem Tode Stolls erteilte der Generalbundesanwalt -- im Rahmen des bereits eingeleiteten Verfahrens gegen Klar, Stoll und andere -- dem Bundeskriminalamt Ermittlungsauftrag: Das BKA solle die Fahndung »verantwortlich« leiten. Vor Ort hatte freilich die NRW-Polizei bereits das Kommando übernommen. Hirsch mochte die Karlsruher Kompetenz-Zuweisung an das BKA nicht akzeptieren. Er drohte, seine Polizei aus dem Verfahren zurückzuziehen.
Der Pressesprecher des Innenministers, Reinhard Schmidt-Küntzel, erinnerte sich, daß sein Chef wegen dieser Sache mit Bundesinnenminister Gerhart Baum telephoniert habe. Die beiden FDP-Minister seien sich einig gewesen, daß es »nicht wieder so ein Kompetenzgeschiebe geben darf wie bei der Schleyer-Entführung«.
BKA-Präsident Horst Herold beugte sich. Er ordnete an: »Aufgrund der von NRW erhobenen Vorstellungen und um das Verfahren zügig fortzuführen, wird die Selbstvornahme in einen Steuerungsfall umgewandelt.«
»Selbstvornahme« hätte bedeutet: Das BKA leitet, unter der Oberaufsicht des Generalbundesanwalts, die Ermittlungen vor Ort. Der »Steuerungsfall« befolgte bereits buchstabengetreu den IMK-Beschluß: Das BKA unterstellte seine Beamten dem örtlichen Kommando.
Hirsch hatte mithin dem Generalbundesanwalt die Federführung aus der Hand genommen -- gegen den Wortlaut des Gesetzes. Denn Paragraph 161 der StPO bestimmt: »Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen.«
In einem Grundsatzurteil hatte das Bundesverwaltungsgericht 1974 diese Priorität der Staatsanwaltschaft noch einmal eigens betont. Zwar sei eine »Vorrangstellung der Polizei in der Durchführung der Ermittlungen« ebensowenig zu bestreiten wie eine tatsächliche »Machtverschiebung zur Polizei hin«. In Übereinstimmung mit der Rechtslehre betonte das Bundesverwaltungsgericht jedoch,
* »daß der Staatsanwalt nach unserer StPO der Herr des Ermittlungsverfahrens ist« und
* daß er »die Verantwortung für die Verfahrensdurchführung nicht nur in rechtlicher Hinsicht, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht trägt«.
Am Widerspruch zu dieser Rechtslage entzündete sich auch vor drei Wochen der Kompetenzärger um die Schießerei in Dortmund, bei der die Terrorismus-Verdächtigen Michael Knoll und Angelika Speitel festgenommen worden waren. Zunächst hatte die Bundesanwaltschaft das Landeskriminalamt (LKA) in Düsseldorf beauftragt. LKA-Chef Hans Werner Hamacher lehnte ab und verwies an den Polizeipräsidenten von Dortmund (der dem LKA nicht weisungsgebunden ist). Mittlerweile jedoch war in Dortmund, ohne Zutun der Bundesanwaltschaft, schon eine Sonderkommission gebildet worden. Das NRW-Innenministerium wollte es in diesem Fall aber nicht auf Eklat ankommen lassen. Am nächsten Tag bestätigte das LKA den Karlsruher Auftrag kommentarlos.
Den Kommentar lieferte dann Hirschs Pressesprecher nach: Die in Dortmund gebildete Sonderkommission habe »so gearbeitet, wie wir das aus Beteiligtensicht für nötig hielten«. Als dann Rebmanns Ermittlungsauftrag an das LKA kam, habe man gesagt: »Wir haben da einen Führungsstab entsprechend den IMK-Beschlüssen, der Polizeipräsident macht das vor Ort. das LKA ist sowieso beteiligt. Na gut, wenn dann noch ein Auftrag aus Karlsruhe kommt, daran geht die Welt nicht unter.«
Diese Handhabung widerspiegelt den gegenwärtigen Stand einer Jahrhundertentwicklung. Die Rivalität läßt sich zurückverfolgen bis zur Einrichtung der Staatsanwaltschaften im vorigen Jahrhundert. Sie ist nun, im Windschatten der Terrorbekämpfung, wiederum voll entbrannt.
Schon 1846 forderte der Rechtsprofessor und Gesetzgebungsminister Friedrich Karl von Savigny, daß »der Staatsanwalt als Wächter des Gesetzes befugt sein solle, bei dem Verfahren gegen den Angeklagten von Anfang an zu wirken, daß überall dem Gesetz Genüge geschehe«. Es ging um die Abschaffung der bedrückenden »Polizeigerichtsbarkeit«.
Polizisten sind nach Paragraph 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes »Hilfsbeamte« der Staatsanwaltschaft, deren Anordnungen sie »Folge zu leisten« haben. Gegen diese Assistentenrolle rebellierte die Polizei freilich seit eh und je. 1972 traten die Innenminister mit »Thesen an die Öffentlichkeit«. die nach Ansicht der »Zeitschrift für Rechtspolitik« darauf hinausliefen, »ein eigenständiges polizeiliches Ermittlungsverfahren zu schaffen und die Staatsanwaltschaft auf die Rolle der bloßen Anklagebehörde zurückzudrängen«.
Dieses Ziel verlor die Polizei nie aus dem Auge. So kam es 1976 auf einer Tagung zur Kontroverse zwischen dem Bundeskriminalamt und dem damaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback. »Eigenverantwortung« der Polizei als »Ausdruck einer zeitgemäßen Arbeitsteilung« und Verzicht auf den Begriff »Hilfsbeamter« forderte damals BKA-Abteilungspräsident Karl-Heinz Gemmer. Tagungsteilnehmer erinnern sich, daß Buback vom vorbereiteten Manuskript abwich und den Thesen aus dem BKA leidenschaftlich widersprach.
Buback war überzeugt, daß die »verfassungsrechtlich abgesicherte Zuordnung« der Staatsanwaltschaft zur Judikative »durch ein einfaches Gesetz nicht beiseite geschoben werden kann«. Den Innenministern genügte weniger als ein Gesetz -- sie lösten das Problem durch einfachen Beschluß.
Wie die Konsequenz der IMK-Beschlüsse in der Praxis aussieht, zeigte der Eklat von Düsseldorf: BKA-Präsident Herold wird in eine zwiespältige Rolle gedrängt. er muß zwei Herren dienen, seinem Dienstvorgesetzten. dem Bundesinnenminister, und seinem StPO-Auftraggeber, dem Generalbundesanwalt.
Im Düsseldorfer Fall beugte er sich schon einmal dem Mächtigeren der beiden. Als er, auf Betreiben von Hirsch, seine Leitungsbefugnis abtrat, informierte er Rebmann, statt ihn um Erlaubnis zu fragen, nur noch von der vollendeten Tatsache.
Es steht zu befürchten, daß, wenn es nach den Innenministern geht, auch in Zukunft so operiert wird. Schon zwei Tage nach deren Konferenz hatte Hirschs Staatssekretär Karl-Friedrich Brodeßer in einem Erlaß festgehalten: Er gehe davon aus, daß Ermittlungsaufträge an das BKA nur vom Bundesinnenminister erteilt würden.
Der Erlaß steht in glattem Widerspruch zu Paragraph 5, Absatz 3 des BKA-Gesetzes, demzufolge das Bundeskriminalamt polizeiliche Aufgaben auch wahrzunehmen hat, »wenn der Generalbundesanwalt darum ersucht oder einen Auftrag erteilt«.
Mittlerweile streben die Länderminister auch Absicherung in Bonn an. Dort wurde bekannt, daß Hirsch in einem Telex an Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel Sachgespräche angeregt hat. Vogel äußerte seine Bereitschaft -- allerdings mit dem kühlen Hinweis, daß die Beschlüsse der Innenministerkonferenz »das geltende Recht nicht geändert« hätten.
* Abtransport des bei der Festnahme angeschossenen mutmaßlichen Terroristen Michael Knoll am 24. September bei Dortmund.