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TOURISMUS Über die Berge

aus DER SPIEGEL 43/1966

Im Sommer beklagte Ost-Berlins Wochenblatt ';Die Wirtschaft«, daß in der DDR »zwischen dem ... touristischen Bedarf und der Entwicklung der touristischen Kapazitäten in quantitativer und qualitativer Hinsicht keine Übereinstimmung besteht«.

Im Herbst aber steht fest: Die DDR erzielte einen neuen Touristen-Rekord. Gewerkschaften, Betriebe, Jugendorganisationen und das staatliche Reisebüro vermittelten im In- und Ausland rund fünf Millionen Ferienplätze - iber eine Million mehr als im vergangenen Jahr. Das bedeutet: Jeder dritte DDR-Bürger war unterwegs.

Die meisten Urlauber - blieben im Lande. Im Ferien-Dreieck zwischen Ostsee, Thüringer Wald und Elbsandsteingebirge bevölkerten sie die Erholungsheime. Kosten für einen 14-Tage-Aufenthalt: je nach Einkommen 30 bis 100 Mark. Sie okkupierten Privatquartiere, drängten sich in den wenigen, überdies altersschwachen Hotels oder

suchten Unterkunft auf einem der 464 Campingplätze des Landes.

Auch ins Ausland schwappte die Reisewelle aus der DDR. 500 000 Zonen -Touristen - 150 000 mehr als im vorigen Jahr - durften Ferientage jenseits der Grenze verbringen.

Sie unternahm - billigste Möglichkeit - für 59,50 Mark Wochenendausflüge nach Prag, reisten nach Ungarn, durchquerten die Sowjet-Union, schmorten am Schwarzen Meer, besichtigten China oder fuhren - teuerste Möglichkeit, Teilzahlung erlaubt - für 5800 Mark nach Kuba.

In westliche Länder aber fuhren sie nicht. Denn schon seit dem Berliner Mauerbau 1961 darf das staatliche »Reisebüro der Deutschen Demokratischen Republik' die früher stets stark gefragten West-Gruppenreisen, etwa nach Schweden und Österreich, nicht mehr anbieten. Und zwischen 1962 und 1965 stand - wegen der hohen Fluchtquote unter den DDR-Touristen - auch Jugoslawien auf der Verbotsliste. .'

Erst als Belgrad ein Rechtshilfeabkommen mit Ost-Berlin zusagte-und die Auslieferung verlorengegangener DDRUntertanen versprach, wurde die Reisesperre für Jugoslawien gelockert. Seither dürfen jährlich wieder bis zu 2000

DDR-Bürger an die Adria reisen. Allerdings: nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen.

So liegen die Reiseziele - die Badeorte Ulcinj, Budva und Herceg. Novi im tiefsten Süden der jugoslawischen Küste, im unzugänglichsten Gebiet Montenegros dicht an der albanischen Grenze. Italien und Österreich sind von dort aus 600 Kilometer entfernt - Luftlinie.

Das Reise-Reglement sorgt überdies dafür, daß die Urlaubergruppen - Einzelreisen sind verboten - auch am Ferienort praktisch keine Bewegungsfreiheit haben. Sie besitzen keine Pässe, das Taschengeld ist mager. Und den

Sammelpaß verwahrt der Reiseleiter - ein zuverlässiger SED-Funktionär.

Er ist - bei allen Gruppenreisen von DDR-Bürgern ins Ausland - der Vertrauensmann der Partei und oft genug auch des Staatssicherheitsdienstes. Er muß, so das amtliche »Handbuch für Reiseleiter«, »imstande sein, die Grundsätze der Politik unseres Staates in jeder während der Reise auftretenden Situation anzuwenden«.

Doch nicht jeder Reiseleiter ist jeder auftretenden Situation gewachsen. Trotz Aufpasser gelang es in diesem Sommer zwei Jugoslawien-Touristen aus der DDR, sich von Ulcinj aus über die Schwarzen Berge Montenegros aus dem Staube zu machen.

DDR-Urlauber an der Ostsee

Trotz Aufpasser von der Partei ...

... Untertanen verloren: DDR-Urlauber auf der Krim

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