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USA / PRÄSIDENTENSCHUTZ Über Nacht übermalt

aus DER SPIEGEL 18/1964

Vier Männer berieten im Weißen Haus die Überlebenschancen eines fünften. Außenminister Dean Rusk, Verteidigungsminister Robert McNamara, Secret-Service-Chef James Rowley und der Direktor des US-Bundeskriminalamtes (FBI), Edgar Hoover, mußten einen Entschluß fassen, der zum Todesurteil werden konnte - für den Präsidenten der Vereinigten Staaten, Lyndon B. Johnson.

Es war der Abend des 26. Februar 1964. Am nächsten Tag sollte Präsident Johnson von Washington zu einem Diner der Demokratischen Partei nach Florida fliegen.

Aus westlichen Botschaften in Havana und von Exilkubanern in den USA hatte der amerikanische Geheimdienst die Nachricht erhalten, Kubas Diktator Fidel Castro plane während dieser Reise ein Attentat auf den US-Staatschef: Ein Sonderkommando der kubanischen Luftwaffe, so lauteten die Meldungen, wolle mit modernen sowjetischen Überschalljägern vom Typ Mig 21 und Bordraketen die Präsidenten-Maschine abschießen oder nach dem Vorbild japanischer Kamikaze-Piloten rammen.

Zwei Monate ist diese Affäre streng geheimgehalten worden. Der damalige Pressesekretär im Weißen Haus, Pierre Salinger, fertigte noch Ende Februar fragende Reporter ab: »Vielleicht in einem Jahr, vielleicht erst nach zwei oder fünf Jahren kann ich Ihnen sagen, was genau los war.«

Jetzt gelang es dem US-Nachrichtenmagazin »Time«, zu rekonstruieren, was damals geschah und was sich nur als traumatische Reaktion der US-Führung auf den noch immer nicht überwundenen Schock des Kennedy-Mordes von Dallas erklären läßt.

Präsident Johnson selbst hatte am Vorabend seines Fluges mit seinen vier Besuchern im Weißen Haus alle eingegangenen Geheimdienstmeldungen über den angeblichen Attentatsplan geprüft. Dann stand er auf, um den Raum zu verlassen, und übertrug den Zurückbleibenden die Entscheidung, ob er fliegen solle oder nicht. Um zehn Uhr abends faßten sie ihren Beschluß: Johnson solle fliegen.

Einheiten der Armee, Luftwaffe und Marine wurden unverzüglich alarmiert. U-Boote und Zerstörer entlang der amerikanischen Ostküste und im Karibischen Meer wurden in Marsch gesetzt, um mit ihren Radar-Anlagen und Flugabwehrwaffen von bestimmten Positionen aus die geplante Flugroute des Präsidenten zu überwachen.

Noch in der gleichen Nacht übermalten Flugzeugmechaniker der Andrews Air Force Base bei Washington auf der Boeing 707 des Präsidenten alle Nummern, Wappen und Insignien.

Am nächsten Morgen standen drei völlig identisch aussehende Düsenmaschinen des gleichen Typs startbereit auf dem Flugfeld. Der Präsident, seine Frau und seine beiden Töchter bestiegen eines der Flugzeuge. Minuten später starteten alle drei Maschinen, äußerlich nicht voneinander zu unterscheiden, um jeden Angreifer zu verwirren.

In 15 000 Meter Höhe über dem Flugplatz wurden die drei Boeings bereits von der schwerstbewaffneten Flugeskorte erwartet, die je in Friedenszeiten für einen amerikanischen Staatschef aufgeboten worden ist: von Düsenjägern der Typen

> F-100 mit Raketen und Bordkanonen.

> F-105 mit den neuesten »Gatling« -Kanonen, die 6000 Schuß pro Minute feuern können,

> F-4 C mit infrarot-gelenkten »Sidewinder«-Raketen für den Luftkampf gegen Düsenjäger,

> F-101, F-102 und F-106 mit »Falcon« -Luftkampf-Raketen.

Die Maschine des Präsidenten wurde von seinem Leibpiloten Oberst James Swindal geflogen. Im Sitz des Kopiloten neben ihm saß General Walter C. Sweeney junior, Befehlshaber der taktischen Luftwaffe Amerikas. Aus der. Kanzel der Staatschef-Boeing leitete er die gesamte Operation.

Aufklärungsflugzeuge kreisten über der 250 Kilometer breiten Meerenge zwischen Florida und Kuba. Auf mehreren Stützpunkten der Luftwaffe und an Deck von Flugzeugträgern der Marinie standen Düsenjäger mit angeschnallten Piloten im Cockpit startbereit.

Unbelästigt landete Präsident Johnson auf dem Flughafen Jacksonville in Florida. Während der anschließenden Autofahrt nach dem 450 Kilometer entfernten Miami schwebte in 25 Meter Höhe über der Staatschef-Limousine ein Secret-Serivice-Hubschrauber mit offenen Türen und schwerbewaffneter Besatzung.

Auch bei Johnsons Rückflug starteten die drei nicht voneinander zu unterscheidenden Maschinen, von denen eine den Präsidenten barg. Wieder wurden sie von Jägerschwärmen umkreist. Der Alarm für die drei Wehrmachtteile endete erst, als der Präsident 20 Stunden nach seiner Abreise sicher nach Washington heimgekehrt war. Kein Kamikaze-Flieger Castros war je am Horizont erschienen.

Staatschef Johnson, Dienstflugzeug: Um 10 Uhr abends Beschluß über Leben und Tod

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