Zur Ausgabe
Artikel 41 / 69

ÜBER ROSIGEN KREBSEN EIN WORT ZUR ODER-NEISSE-LINIE

aus DER SPIEGEL 38/1967

Kenner des Protokolls warteten mit gespannten Trommelfellen auf den Kanonendonner des Ehrensaluts, doch vergebens. Die polnische Artillerie, die noch dem Schah von Persien gebührende 101 Salven gewidmet tratte, versäumte es, auch nur ein einziges Mal für Polens alten Waffen-Kameraden Charles de Gaulle Feuer zu geben.

Was man als technische Panne deuten konnte, mutete andererseits an wie eine beabsichtigte Demonstration nonchalanter Sparsamkeit, zu der es ebenso passen mochte, daß (der rote Mini-Teppich für den General bereits nach acht Metern auf der weiten, kahlen Beton-Piste endete.

Der für den ersten Auftritt in der Abendsonne leicht geschminkte Riese in der sandgelben Generals-Uniform wurde von der kommunistischen Hierarchie empfangen wie ein einflußreicher Patenonkel von armen, aber stolzen Verwandten. Sein gigantisches Konterfei kam auf dem Dach des Flughafengebäudes vor den Bildern des Staatsratsvorsitzenden Ochab, des Parteisekretärs Gomulka und des Ministerpräsidenten Cyrankiewicz, als sei er aller Präsident: Ein Prachtkerl mit festlicher Frackbrust neben drei grauen Biedermännern, wie sie den Schalterraum jeder Raiffeisenkasse zu zieren vermöchten.

Betriebsdelegationen in ihrer Arbeitskleidung schwenkten Spezialgeräte, an denen mit Hilfe eines einfachen, technischen Kniffes Transparente von Einheitsmaßen schnell gehißt und ausgewechselt werden können.

Nicht minder einheitlich waren die Losungen des ersehnten Tages; Losungen, wie sie dem General in den vor Jubel brodelnden Hauptstraßen von Warschau noch in weitaus imposanteren Schriftgraden vor Augen kommen sollten: gegen den »Aggressor Israel«, gegen die Amerikaner in Vietnam, gegen Atombomben und »Militaristen und Revanchisten von Bonn« und immer wieder für die »Unantastbarkeit der Grenzen Europas«.

Mit der Intuition des begnadeten Mimen nutzte der General die Nachlässigkeit des polnischen Protokolls eilends zu einer treulichen Geste in Richtung Bonn, dem er im übrigen den heilsamen Schmerz der Desillusionierung nicht zu ersparen gedachte.

Unter die Vertreter der Länder, mit denen sich Frankreich diplomatisch verbunden fühlt, hatte sich am Rande des Rollfeldes ein schwarzes Schaf aus Pankow eingeschlichen, Ulbrichts Botschafter Karl Mewis, einst Bezirkssekretär für den neuen Ostseehafen Rostock. Dem General hatte man das zugeflüstert, kaum daß die Staats-Caravelle mit dem blauen Blitz an den Flanken in der blendenden Westsonne ausgerollt war.

Listig verstrickte er sich da in einen langen Dialog mit dem Sowjet-Botschafter Aristow. Ihm, als dem Doyen des diplomatischen Corps von Warschau, trug er auf, den daneben, Reihe rechts, wartenden Repräsentanten all jener Regierungen für ihr Erscheinen zu danken, »mit denen Frankreich diplomatische Beziehungen unterhält«. Sprach's und eilte erhobenen Hauptes an ihnen allen und dem ungewollten Mewis vorüber, der in den Knien wippte und sich verfärbte.

Eine so pauschale Brüskierung schien dem Präsidenten der Fünften Republik um so leichter zu fallen, als die Botschafter Amerikas und des Vereinigten Königreiches es vorgezogen hatten, in diesen politischen Spätsommertagen Urlaub von Warschau zu nehmen.

Um so herzlicher kehrte er sich zum Volk, Kinder küssend, Hände schüttelnd, mit seinen kurzsichtigen Augen unstet Blicke suchend, worauf das Volk für ihn spontan in das beliebte Geburtstagslied einstimmte: »Hundert Jahre sollst du leben Dies und der bisher in Warschau nicht dagewesene, nur noch mit dem Kennedy-Taumel der Berliner vergleichbare Begrüßungs-Jubel von Hunderttausenden, stimulierten ihn zu allerlei Improvisationen und Einlagen. Er hatte Polnisches auswendig gelernt, wie er seine französischen Ansprachen auswendig lernt, und nun rief er es mit starker Betonung.

Am Ehrenmal für die gefallenen Polen und jener »Polnischen Legion« des letzten Weltkriegs, von der bis 1956 in Warschau nicht die Rede sein durfte, versank er angesichts der dort aufbewahrten Gefäße mit Erde und Asche europäischer Schlachtfelder inmitten des gelben Flutlichtes der Denkmalscheinwerfer in eine historische Besinnlichkeit. Aber gleich darauf küßte er zum Schrecken seiner Beschützer einer Polin aus der Menge die Hand, weil sie ihm die Hand geküßt hatte.

Abends im strahlend restaurierten Palais jener Fürsten von Radziwill, die sich heute zum Klan der Kennedys zählen, vollendete Charles de Gaulle den ersten Akt seiner europäischen Ostmission, frei vom Manuskript und mit den beschWörenden Gesten eines Mannes, dem »au soir de mon existance« -- nicht mehr viel Zeit bleibt.

Vor ihm standen eingekeilt vor den hinschmelzenden Genüssen eines bäuerlich schlichten Büfetts, reglos vor Hitze und Staunen, die Honoratioren der polnischen Metropole, manche mit Orden am Revers, manche mit Schillerkragen, den alte Widerstandskämpfer noch immer bevorzugen.

Ihnen rief Charles de Gaulle mit ausgebreiteten Armen über einen kleinen Hügel aus rosigen Krebsen zu, was sie in solcher Eindeutigkeit und so schnell von im nicht erwartet hatten: Daß Polens Grenzen »die seinen sind und bleiben müssen

Dann sprach er von einer visionären Neuorganisation der Bindungen zwischen West-, Mittel- und Osteuropa, in die unausweichlich die Lösung der deutschen Frage eingebettet sei, und deretwegen politische Tonforscher sogleich in angeregte Meinungsverschiedenheiten verfielen. Im Saal verstreute Mannen des Quai d'Orsay empfahlen Ratlosen dringend den Glauben, der General wolle Bewegung in Europa und poch einmal Bewegung und nicht den Status quo.

Damit befand er sich freilich nicht in Übereinstimmung mit Wladyslaw Gomulka, der sich an diesem Abend als einziger der kommunistischen Herrn Polens in das Gespräch mit diesem Gast stürzte, angeregt und unverkrampft, wie seine Warschauer ihn sonst nicht kennen. Frisch geschmückt mit dem Großkreuz der Ehrenlegion, einen Mayonnaisefleck auf der Wange, gestikulierte er auf den nervös zappelnden General ein, indes der Staatsratsvorsitzende Ochab sich wie in dumpfer Erschöpfung neben ihnen wortlos immer den Schweiß trocknete.

Jenseits der Tafel kam erneut Botschafter Mewis aus Pankow. Jemand stellte ihm die Scherzfrage, ob er etwa dem Gast auf der ganzen Reise folgen werde, nach Krakau, Auschwitz, Oberschlesien und Danzig. Er antwortete ernst und bedrückt, das dürfe er ja nicht.

Den Stellvertreter des britischen Botschafters belustigte es offenbar noch immer, daß der General ihm wegen Herrn Mewis nicht die Hand gegeben hatte. Sein Herr Botschafter, sagte er mit unbewegter Miene zu General de Gaulle, bedaure es außerordentlich, daß er nicht selbst habe da sein können, um dem Präsidenten die Hand zu drücken.

Peter Brügge
Zur Ausgabe
Artikel 41 / 69
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren