RECHTSRADIKALE Überall angreifen
Er fühlte sich als »Reichsverweser«, veranstaltete »Reichstage« und propagierte das Ende der »Lumpendemokratie« in der Bundesrepublik. Auch als »deutscher Chomeini« gefiel er sich, denn zumindest zeitweise galt ihm die iranische Republik als Modell deutscher Möglichkeiten: Manfred Roeder, 52, Ex-Rechtsanwalt aus Hessen und ein Jahrzehnt lang als exzentrischer Politclown der rechtsradikalen Szene abgestempelt.
»Terror«, verkündete der Jurist freilich schon vor Jahren seinen braunen Jüngern, sei »eine Hoffnung für Deutschland«. Am 22. August 1980 schien sie sich ihm zu erfüllen. »Heute, wo ich am tiefsten mutlos und krank bin«, notierte der Tagebuch-Schreiber, »hat Deutschlands Befreiung begonnen.«
An diesem Tag, zehn Minuten nach Mitternacht, waren drei mit Benzin gefüllte und mit Putzwolle verschlossene Flaschen in ein Hamburger Übergangsheim für Asylanten geworfen worden. Zwei Vietnamesen kamen bei dem Brandanschlag ums Leben.
Das mörderische Attentat war der siebte Terror-Akt des Jahres 1980, und jedesmal rühmte sich eine Vereinigung, die sich »Deutsche Aktionsgruppen« nannte, der Urheberschaft. Wenige Tage nach dem letzten Anschlag, bei einer bundesweiten Razzia quer durchs ultrarechte Spektrum, wurden die Aktivisten gefaßt, die mit Rohrbomben und Molotow-Cocktails ihren neonazistischen »Befreiungskampf« führten:
* als mutmaßliche Mörder der Hamburger Vietnam-Flüchtlinge: der Werkmeister Raymund Hörnle, 51, aus dem schwäbischen Kirchheim unter Teck und die medizinisch-technische Assistentin Sibylle Vorderbrügge, 25, aus Bremerhaven;
* als bombenwerfendes Mitglied der terroristischen Vereinigung: der Kirchheimer Hals-Nasen-Ohren-Arzt Heinz Colditz, 51; S.68
* als »Rädelsführer« (Bundesanwaltschaft) der rechtsextremen Gang: der seit 1976 mit Berufsverbot belegte Rechtsanwalt Roeder.
Roeder war zwar Anfang 1978 »ins Exil« gegangen, weil er, zum siebten Mal verurteilt, wegen Volksverhetzung hätte einsitzen sollen. Aus Südamerika meldete er damals, er werde erst wieder heim ins Reich kommen, wenn hierzulande »andere Gesetze gültig« seien.
So lange mochte er dann aber doch nicht in der Fremde zuwarten. Zusammen mit Sibylle Vorderbrügge wurde er am 1. September 1980 in Hannoversch Münden verhaftet, wo er als »Schriftsteller Richter« mit seiner angeblichen Sekretärin Quartier genommen hatte.
Von Montag nächster Woche an müssen sich Roeder und seine Gesinnungskumpane vor Gericht verantworten. In der Stammheimer Festung, ursprünglich für linke Gewalttäter wie die Baader-Meinhofs betoniert, verhandelt der 5. Strafsenat des Stuttgarter Oberlandesgerichts gegen die Rechts-Terroristen.
Die Beweisführung erscheint kaum problematisch. Bis auf Roeder, der sich ausschweigt, sind die drei anderen Angeklagten weithin geständig; die Indizien sind ohnedies überzeugend.
Es waren Metallrohrbomben, die am 21. Februar in eine Auschwitz-Ausstellung im Esslinger Landratsamt flogen und am 18. April am Wohnhaus des Landrats Hans Peter Braun detonierten. Und von gleicher Machart waren die Bomben, die am 27. April die Tür der Hamburger Janusz-Korczak-Schule, einer Ausländerbleibe, eindrückten, am 30. Juli im Bundessammellager Zirndorf explodierten und am 17. August in einer Äthiopier-Unterkunft in Lörrach hochgingen. Sogar gezündet wurde immer auf die gleiche Art, mit einem »Blessing«-Kurzzeitmesser (Type: »95 cal"). Und als Bombenbastler war für die Staatsanwaltschaft unschwer der gelernte Schlosser Hörnle auszumachen.
Auch zwei Brandanschläge - der eine auf ein Asylanten-Quartier nahe Stuttgart, das Hotel »Stadt Leinfelden«, der andere am 22. August auf die Asylanten-Unterkunft in Hamburg - verrieten dieselbe kriminelle Handschrift.
Ebenso einfach waren für die Ermittler die Verbindungslinien innerhalb des braunen Quartetts nachzuzeichnen. Zunächst hatte Hörnle, gelegentlich einer medizinischen Untersuchung, in Colditz einen Gleichgesinnten gefunden; der Doktor traktierte seine Patienten in der Praxis ganz offen mit völkischem Schrifttum.
Die Colditz-Tochter Gabriele, 26, die in Hamburg den Vertrieb neonazistischer Schmähschriften organisierte, freundete sich unterdessen mit der Arzt-Tochter Sibylle Vorderbrügge an, die wie sie in einem Krankenhaus arbeitete.
Etwa im Mai 1980, so die Erkenntnis der Ermittler, ging Sibylle Vorderbrügge zu dem heimgekehrten Roeder in den niedersächsischen Untergrund. Recherchen der Verfassungsschützer ergaben obendrein, daß ihr Wagen - ebenso wie der von Colditz - zuvor oft an Roeders legalem Wohnsitz im Oberhessischen gesichtet worden war.
Dort hatte Roeder das Hauptquartier seiner 1971 gegründeten »Deutschen Bürgerinitiative« eingerichtet, mit der er, zunächst verbal, gegen »Besatzerstaat« und »Vergasungslüge« anrannte. Sein Kampf wurde indes lange milde belächelt und an seinen kauzigen Alleingängen gemessen, mit denen er Anfang der siebziger Jahre Aufmerksamkeit erregt hatte. Mit Farbbeuteln führte Roeder, damals noch CDU-Mitglied, einen skurrilen Kreuzzug gegen Sexmessen und Porno-Plakate.
Willen zur Gewalt bekundete er freilich schon in frühen Schriften. In unzähligen Rundbriefen, die er in Stil und Inhalt den Traktaten der »Roten Armee Fraktion« (RAF) nachempfand, wies der rechte Aussteiger seinen Gefolgsleuten den Weg in den Untergrund:
»Wir sind gezwungen, wie Guerillas eine Freiheitsbewegung ins Leben zu rufen, das heißt, daß wir wie Partisanen im Volk schwimmen und überall angreifen. Mit psychologischer Kriegsführung. Mit allen anderen Mitteln, die uns zu Gebote stehen. Jedes Volk wendet Gewalt an, wenn es um seine Lebensrechte geht.«
Nach dem Hamburger Anschlag, sechs Monate nach Beginn der Attentatsserie der »Deutschen Aktionsgruppen«, schaltete sich die Bundesanwaltschaft in die Ermittlungen ein. Doch klagte sie den Extremisten Roeder bloß als Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung an, nicht als Mittäter - sogar Roeders Pflichtverteidiger Gerhard Hofmann sieht da »eine gewisse Ungereimtheit«.
Das Gericht hat derweil die inkonsequente Anklage nachgebessert: Es hält Roeder jetzt der Mittäterschaft bei der Ermordung der beiden Vietnamesen »für hinreichend verdächtig«. Und die Anschläge von Leinfelden und Lörrach qualifizierte der Senat nicht nur als gefährliche Körperverletzung - er eröffnete das Hauptverfahren »wegen versuchten Mordes«.
S.67Mit Familienangehörigen und Anhängern nach Haftentlassung inFlensburg, 1977.*S.68Am 22. August 1980 in Hamburg.*