POLIZEI Übt, übt, übt
Das Publikum geriet ins Schwärmen.
»Die Leute sind erstklassig trainiert«, begeisterte sieh Hamburgs Innensenator Werner Staak, »die Burschen sind zur Abwehr motiviert«, lobte Baden-Württembergs Innenminister Guntram Palm, Der Mainzer Ressortkollege Kurt Böckmann fand sie einfach »phantastisch«.
Die Polizeichefs der Länder ergötzten sich an einem Spektakel, das Bonns Innenminister Gerhart Baum für sie inszeniert hatte. In einem Schulungsraum der GSG 9 (Grenzschutzgruppe) in Hangelar bei Bonn führten Beamte der »fast schon legendenumwobenen Elitetruppe« ("Süddeutsche Zeitung") vor, wie Terroristen ohne Todesschuß und Blutvergießen gefangen werden könnten.
In den Kulissen einer konspirativen Wohnung und einer Gaststätte. nachempfunden den Schauplätzen der Festnahme von Rolf Heißler im Juni in Frankfurt, der tödlichen Schüsse auf Elisabeth von Dyck im Mai in Nürnberg und Willy Peter Stoll vorigen September in Düsseldorf, demonstrierten GSG-9-Spezialisten die waffenlose Überwältigung von Terroristen -- durch Handkantenschläge und Fußtritte.
Das Schauspiel sollte den Sicherheitschefs der Länder auch vor Augen führen, daß die Spezialeinsatzkommandos (SEK) der Länder, zumindest nach Bonner Ansicht, im Nahkampf mit Terroristen überfordert sind und oft zu schnell zur Pistole greifen. Nach dem dritten Fall innerhalb weniger Monate, dem Kopfschuß auf Heißler in Frankfurt, reagierten Bonner Ministeriale ungehalten: »Noch so ein Ding, dann reicht's aber.«
Schon seit langem gibt es Streit über den Einsatz der wohltrainierten Grenzschützer, die seit der Geiselbefreiung in Mogadischu an der Kandare gehalten werden. Die Bundestruppe, die nach dem Olympia-Massaker von München auf Betreiben der Innenminister aufgebaut wurde, möchte »gezielter eingesetzt« werden, wenn die SEK »mit ihren Möglichkeiten mal an die Decke stoßen«, so GSG-9-Chef Ulrich Wegener. Doch bei den Länderpolizeien, die ihre Terroristenbekämpfung vor Ort am liebsten selber machen, gibt es verschiedentlich noch immer, wie es der Mainzer Innenminister Böckmann ausdrückt, »eine Aversion gegen die Reisenden in Sachen Kriminalität«.
Neid kommt auf, wenn der Leitende Polizeidirektor Wegener Wagenpark und Waffendepot der GSG 9 (Stärke: 160 Mann) vorführt: schnelle Mercedes-Automobile und blindflugtaugliche Hubschrauber, Rundumschießanlagen mit beweglichem Horizont, mit der noch keine andere Polizeieinheit übt. »Die haben immer das Neueste und Beste«, meint ein hessischer Polizeikommissar, »die betreiben einen Aufwand, der einfach imponierend ist.«
Vorzügliche Ausbildung und moderne Ausrüstung können aber, kontern die Länderpolizisten, die Praxis der örtlichen SEK-Beamten nicht ersetzen, die täglich im Einsatz sind und auch mal Autoschieber und Rauschgifthändler jagen. Es ist »ein Problem des Bundesgrenzschutzes«, sagt der nordrheinwestfälische Innenminister Burkhard Hirsch, daß die Elite-Einheit »übt, übt, übt, aber nicht mehr zum normalen Polizeidienst kommt«.
Hirsch, der nur »bei einem Extremfall auf die Hilfe des GSG zurückgreifen« will, möchte Wegeners Scharfschützen, Karatekämpfer und Sprengstoffspezialisten jetzt gerne mit dem Polizei-Alltag vertraut machen. Gemeinsam mit den SEK-Einheiten in Düsseldorf, Köln, Essen, Dortmund und Bielefeld sollen die Grenzer auch Bankräuber, Messerstecher und Serieneinbrecher unschädlich machen. Wegener: »Wenigstens ein Anfang zu besserer Zusammenarbeit.«
Andere Bundesländer sind schon weiter. Hamburg und Bremen haben gemeinsam mit der Bundesgrenzschutz-Einheit, so Wegener, »Einsatz- und Alarmkonzeptionen für den Ernstfall festgeklopft«. Der GSG-9-Chef: »Wenn dort ein dicker Hund passiert, dann wissen wir, daß wir willkommen sind.« Für Hamburgs Innensenator Werner Staak ist die GSG 9 »schon die Spitzenmannschaft in der Gefahrenabwehr«, ohne die er »Terrorbekämpfung nicht machen möchte«.
Auch Stuttgarts Innenressort-Leiter Palm sieht »keine Rivalität« zwischen seinem Mobilen Einsatzkommando (MEK) und der GSG 9, weil »bei der Abwehr gefährlicher Verbrecher nicht jeder alles allein machen soll, sondern jeder das, was er am besten kann«.
Die bayrischen Beamten, so scheint es, sehen ihre besonderen Fähigkeiten im Schießen. Als die mutmaßliche Terroristin Elisabeth von Dyck die Wohnung in der Nürnberger Stephanstraße 40 betrat, waren die dort wartenden Beamten auf eine waffenlose Festnahme offensichtlich gar nicht vorbereitet. Sie trugen schwere Schutzwesten, die ihre Beweglichkeit einengten. So blieb ihnen nur der Griff zur Pistole.
Was Bayerns Innenstaatssekretär Franz Neubauer nach dem tödlichen Schuß auf Elisabeth von Dyck als »erfolgreichen Schlag gegen den Terrorismus« pries, hätte bei behutsamerem Vorgehen den Fahndern womöglich mehr bringen können -- andere Terroristen, von denen sich Spuren in der Nürnberger Wohnung fanden, waren durch den tödlichen Schuß gewarnt. Gleichwohl rühmt sich Neubauer, dessen Scharfschützen drei Tage zuvor schon einen Geiselnehmer in einer Landshuter Bank erschossen hatten, auch die »GSG 9 hätte diesen Einsatz nicht besser ausführen können«.
Die Bonner Anti-Terrortruppe war auch nicht gefragt, als letzten Monat BKA-Beamte in Frankfurt-Sachsenhausen eine konspirative Wohnung ausmachten. Der erwartete Terrorist, in diesem Fall Rolf Heißler, wurde beim Betreten des Appartements von einer Polizeikugel am Kopf getroffen und schwer verletzt.
Ziel war, wie der Frankfurter Kriminalhaupt kommissar Hans Neitzel versicherte, den Ankömmling »mit Hechtsprung zu entwaffnen«. Der Plan ging daneben, weil just in dem Augenblick, als Heißler ins Haus Textorstraße 79 ging, ein »verdammter Müllwagen« (Innenminister Ekkehard Gries) vorfuhr. Den gegenüber in einer Fahrlehrer-Wohnung lauernden Beobachtern, die Funksignale in den Terroristen-Unterschlupf geben sollten, war die Sicht versperrt. Neitzel: »Das paßte denen drinnen auch nicht, überrascht worden zu sein«
Nach Darstellung der Polizei zielte ein Beamter »in die Richtung der an die Waffe greifenden Hand«, getroffen wurde Heißler an der Schläfe. Daß der Schuß nicht tödlich war, erklären die Ermittler damit, daß das 9-Millimeter-Projektil vorher einen Packen Wochenendzeitungen in einer Segeltuchtasche durchschlug und dadurch gebremst wurde. Heißler hat inzwischen eine andere Version des Vorfalls in der Haftanstalt Straubing zu Papier gebracht, Auszug:
Mit der rechten Hand schloß ich die Tür -- die wie üblich einmal verschlossen war -- auf, in der linken hatte ich das Kuvert. Die Reisetasche hatte ich zu meinen Füßen abgestellt.
Als die Tür offen war, sah ich zwei oder drei Typen im Vorraum, wobei einer im Vorraum mit dem Rücken zur Wand und ausgestreckter Hand, in der er eine Waffe hatte, stand, vermutlich habe ich in dem Moment instinktiv versucht, einen Schritt seitlich zurückzugehen und den Kopf nach links (von mir aus) abzuwenden (um den Treffwinkel kleiner zu machen).
Im gleichen Moment schoß der Typ einmal -- wie ich später sah, hatte er halblange, blonde Haare mit einem Pony, war relativ groß, trug einen verwaschenen Jeansanzug, sah verlebt aus und hatte eine Pistole mit einem extrem langen Lauf (kann keine normale Walther PPK gewesen sein) -, und ein anderer rief etwa gleichzeitig. » Polizei«. Getroffen fiel ich sofort um. Die Zeit zwischen Erkennen der Situation und Reagierenkönnen war zu kurz, als daß ich überhaupt noch nach meiner Waffe hätte greifen können.
Trotz dieses totalen Knalls vorm/im Kopf war ich die ganze Zeit be Bewußtsein und konnte mit dem linken Auge sehen. Nach vielleicht 15 bis 30 Sekunden (eher noch länger) entwaffneten sie mich. d. h. sie zogen meine Waffe, die im Innenbundholster an meinem Körper war, heraus, entnahmen der Jackentasche die Ersatzmunition und legten mir Handschellen an.
Die Behauptung Heißlers, er habe nicht zu seinem Trommelrevolver »Detective Special« gegriffen, erscheint nicht unglaubhaft. Immerhin hatte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe, der die Stellungnahme der hessischen SEK-Beamten vorliegt, letzte Woche noch keine Anhaltspunkte, um Heißler versuchten Mord vorwerfen zu können. Die Aussagen der Polizisten ergaben bislang »noch keinen dringenden Tatverdacht« (ein Bundesanwalt); ein Indiz dafür, (laß die Polizeibeamten nicht klar wiedergeben können, wie Heißler beim Eintritt in die Wohnung reagierte. Rechtsanwalt Rainer Koch: »Er hat die Tür aufgemacht und schon hat's geballert.«
Wie man's auch anders machen kann, demonstrierte die GSG-9-Truppe »sehr imponierend« (so ein hessischer Beobachter) auf der Bühne in Hangelar. Polizeidirektor Wegener ließ das Licht löschen und eine Falttür zum Nachbarraum öffnen. Das »ministerielle Premieren-Publikum« ("Frankfurter Rundschau") sah ein Terroristenfahndern vertrautes Bühnenbild: Ein-Zimmer-Wohnung, enger Flur, das übliche Appartement-Mobiliar -- eine konspirative Wohnung.
Eine Person nähert sich dem Eingang, im Innern beziehen drei Beamte Position, zwei unbewaffnet seitlich der Tür, ein Dritter mit schallgedämpfter Maschinenpistole und aufgesetztem Halogenblitz hinter einer Trennwand. Gellende Schreie erschrecken den Eindringling, gleichzeitig bringen ihn Handkantenschläge, Stöße mit dem Knie und Fußtritte zu Fall. Der Beamte im Hintergrund springt nur noch zur Absicherung hervor -- mit gezückter Pistole.
Den Vorwurf aus einigen Bundesländern, der GSG 9 fehle die Praxis bei der Bekämpfung von Gewaltverbrechern, wehrt der BGS-Kommandeur ab: »Wo es etwas zu sehen gab im Terrorismus, waren wir dabei.« Wegener beobachtete die Molukker, die in Holland einen Zug überfallen hatten, flog nach Washington, nachdem eine moslemische Sekte Geiseln genommen hatte.
Nach Anschlägen in Israel ("Da war ich x-mal") erkundete er vor Ort, wie palästinensische Terroristen Insassen eines Autobusses und Hausbewohner überfallen. »Wir analysierten das«, sagt Wegener, »lernen auf diese Weise Taktik und Technik der anderen Seite kennen.« Sicherheitsexperten aus fünfzig Ländern luden GSG-9-Spezialisten bisher zu Vorführungen ein oder kamen nach Hangelar.
Die asiatischen Kampfsportarten Judo, Taekwon-Do, Jiu-Jitsu und Karate beherrschen Wegeners Athleten perfekt -- nur mit dem Schießen hapert's gelegentlich. Bei einem Schützenfest mit sechs Spezialeinsatzkommandos der Polizei in Hemer (Sauerland) landete die GSG 9 auf dem vorletzten Platz. Wegener: »Schießen ist nicht alles.«