BERLIN / STUDENTEN Um die Ohren
Das Sommersemester an West-Berlins Freier Universität (FU) war gerade 24 Stunden alt, da trommelte die radikale Studenten-Linke, am 16. April, abermals zum Sturm.
Flugblätter prophezeiten Rats- wie Hochschulherren einen »warmen Sommer": Rote Parolen an den Anatomischen Instituten der Dahlemer Villen-Universität forderten: »Schlagt den Professoren ihre Leichen um die Ohren.« Der Asta verkündete: »Wir sind mächtig genug, den Lehrbetrieb zu beenden und die Universität als Ausbildungsstätte angepaßter Intelligenz funktionsunfähig zu machen.«
Nahziel der studentischen Sommeroffensive ist die Liquidation der jüngsten universitätsamtlichen Befriedungsaktionen. Sie sollten, durch Relegation der Rädelsführer, die rebellischen Jungakademiker ihrer Führer berauben.
Bereits gegen Ende des Wintersemesters hatte die Universitäts-Administration deshalb den Sprecher der Juristischen Fakultät, Christopher Hein, einen weiteren Jurastudenten und einen Mediziner für je ein Semester vom Studium ausgeschlossen: »wegen erheblicher vorsätzlicher Störung des Lehr- und Forschungsbetriebs«. Außerdem wurden fünf Studenten des Philosophischen Seminars für zwei, ein weiterer Kommilitone für ein Semester ausgesperrt, weil sie den ehemaligen Rektor Lieber am Betreten seines Seminars gehindert hatten.
In den Semesterferien erfaßte die Relegationswelle noch einmal drei linke Studentenführer. Der »Beauftragte für das Ordnungsverfahren« an der FU, Gerhard Blaesing, 62, im Hauptberuf Oberstaatsanwalt, schloß den damaligen Asta-Chef Jürgen Treulieb und seinen Polit-Referenten Elke Schweichel für je vier Semester vom Studium aus. Die beiden, so argumentierte Blaesing, trügen die »Verantwortung« für praktisch alle Aktionen seit Mitte Dezember letzten Jahres. Der Studenten-Sprecher im Akademischen Senat, H.-J. Funke, bekam ein Semester Hausverbot.
Die sechs restlichen Asta-Mitglieder. die sich als »Arbeitskollektiv« mitverantwortlich fühlten, sprangen ihren relegierten Genossen bei und zeigten sich selbst an. Blaesing akzeptierte und verwies drei Asta-Leute für drei, drei für vier Semester der Universität. Außerdem schickte die Kripo den Relegierten Vorladungen ins Haus -- »wegen Verhinderung von Lehrveranstaltungen durch Streikaktionen«.
Doch gerade erst in Schwung gekommen -~ über hundert Ausschluß-Verfahren stehen noch aus -, geriet Sand ins Getriebe der Dahlemer Relegationsmaschinerie. Der rechtskundige Erst-Relegat stud. jur. Hein zog vor das Berliner Verwaltungsgericht und bekam recht. Die Verwaltungsrichter hoben die Hein-Relegation wegen Verfahrensmängeln auf und äußerten zudem Zweifel an der FU-Behauptung, der Student habe sich einer »erheblichen vorsätzlichen Störung« schuldig gemacht.
* Am Mittwoch letzter Woche im Auditorium maximum.
Auch in sechs weiteren Fällen entschied das Verwaltungsgericht vorerst zugunsten der Relegierten. Bis zur Entscheidung in der Hauptsache, so bestimmte das Gericht. dürften auch diese Studenten in ihren Rechten nicht beeinträchtigt werden -- eine Rechtsfindung, die Dahlems Campus-Rebellen zu neuen Taten beflügelte und ihnen die Zuversicht gab, wieder einmal sonst unpolitische Kommilitonen für den Klassenkampf zu mobilisieren. Asta-Vorsitzender Hans-Jürgen Grune, 25: »Wir bauen von der Universität aus die zweite Front in den Apparaten der kapitalistischen Gesellschaft auf.«
Immerhin versammelten sich am Mittwoch letzter Woche wieder 2000 FU-Studenten im Auditorium maximum unter der Losung »Relegiert die Relegateure« und billigten, was der Asta ein Aktionsprogramm gegen »hierarchische Unterdrückung« nannte.
So zeichnen sich in Berlin, wo das universitäre Ordnungsrecht erdacht und am strengsten gehandhabt wird« auch die Schwächen ebensolcher Ordnungspraktiken ab -- in doppelter Hinsicht. Einmal scheint sich die Prophezeiung von Kritikern des Ordnungsrechts zu bewahrheiten, daß »hartes Durchgreifen« in fraglichen Fällen die Studenten noch weiter in die Radikalität treibt. Zum anderen machen die Gerichte deutlich, daß das Ordnungsrecht -- jedenfalls die Berliner Spezies -- im buchstäblichen Sinne anfechtbar ist.
Der freidemokratische Bundestagsabgeordnete Karl Moersch hat denn auch die Relegations-Paragraphen, wie sie von den Ministerpräsidenten der Länder mittels Staatsvertrag fixiert wurden, letzte Woche in Frage gestellt. Moersch ("Die Sache selbst ist bedenklich") meinte, mit einer »Verfassungsbeschwerde zur Klärung dieser Frage« müsse »schon heute gerechnet werden«.