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BUNDESTAG Umleitungen eingerechnet

aus DER SPIEGEL 50/1956

Der CDU - Bundestagsabgeordnete und Oberlandesgerichtsrat Eduard Platner aus Witzenhausen in Nordhessen hat in einem zivilen Rechtsstreit, in den er verwickelt wurde, offenbaren müssen, daß kraftfahrenden Abgeordneten eine nicht recht belegbare Nebeneinnahme aus der Staatskasse zufließt. Denn was bislang der Aufmerksamkeit des kontrollierenden Rechnungshofes entging, läßt sich nun nicht mehr länger verheimlichen: daß nämlich etliche Abgeordnete seit Jahr und Tag für nicht gefahrene Strecken aus der Staatskasse Kilometergelder beziehen.

Die Mitglieder des Deutschen Bundestags, die immerhin häufig ihrer politischen Pflichten wegen ihren privaten Beruf vernachlässigen müssen, haben Anspruch auf eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 750 Mark. Nun muß aber ein westdeutscher Parlamentarier nicht nur für seinen persönlichen Aufwand Sorge tragen, er hat auch Unkosten, die durch seine politische Tätigkeit entstehen. Deshalb erhält jeder Abgeordnete billigerweise eine Reihe weiterer Entschädigungen.

So steht ihm zum Beispiel für die Unterhaltung eines Sekretariats, für Fahrten innerhalb seines Wahlkreises und ähnliches eine monatliche Unkostenpauschale von 700 Mark zu. Für die Teilnahme an den nicht selten endlosen Sitzungen des Parlaments, des Bundestagsvorstands, des Ältestenrats und der Fachausschüsse können die Abgeordneten außerdem ein Tagegeld von 30 Mark kassieren. Das gilt auch für die Anwesenheit der Abgeordneten bei Fraktionssitzungen und bei Konferenzen der Fraktionsvorstände und Fraktionsausschüsse. Auch für ihre Chauffeure erhalten die Abgeordneten bei diesen Anlässen vom Staat Tagesspesen*.

Schließlich haben die Volksvertreter auch ein Anrecht auf Kilometergeld für Fahrten im eigenen Wagen zwischen

Bonn und ihrem Wahlkreis beziehungsweise Wohnsitz. Pro Haushaltsjahr werden ihnen insgesamt 24 Hin- und Rückfahrten vergütet. Bei Entfernungen bis zu 400 Kilometern erhalten die Abgeordneten 30 Pfennig pro Kilometer aus dem Etat, für jeden weiteren Kilometer nur noch 20 Pfennig.

Jenen Hang zur Sparsamkeit, den die Volksvertreter gern bei der Überprüfung der Finanzen des Regierungsapparates hervorkehren, lassen sie nun bei der Regelung ihrer Kilometergelder vermissen. Seit Jahr und Tag werden für etliche Abgeordnete bedeutend mehr Kilometergelder ausgezahlt, als ihnen für die im eigenen Wagen zurückgelegten Fahrten zustehen. Zu diesen Parlamentariern gehört auch Christdemokrat Eduard Platner, dem es zuzuschreiben ist, daß diese Gepflogenheit seinen nicht kraftfahrenden Parlamentskollegen erstmalig bekannt wurde.

Nach den Aussagen seines eigenen Fahrers beträgt nämlich die Entfernung zwischen Bonn und Witzenhausen an der Werra, dem Wohnsitz des Abgeordneten Platner, rund 280 Kilometer. Platner hingegen läßt sich jeweils für 400 Kilometer Fahrtweg von der Diätenstelle des Deutschen Bundestages entschädigen. Dabei kann sich der Abgeordnete Platner darauf berufen, daß er die Gewinnspanne mit Wissen der verantwortlichen Stellen des Bundestages eingestrichen hat, und daß sich auch andere Abgeordnete auf diese Weise ihre Bezüge aufbessern. Als nämlich im Verlauf des zivilen Rechtsstreits, in den Platner verwickelt wurde, die Kilometergeld-Geschichte zur Sprache kam, vermochte der Abgeordnete ein schriftliches Alibi zu präsentieren. Der DP-Bundestagsabgeordnete Heinz, Matthes hatte seinem Kollegen aus Witzenhausen vorbehaltlos bestätigt:

»Auf Ihre Anfrage, wer die km-Entfernungen zwischen Bonn und Wahlkreis bzw. Wohnsitz festsetzt, darf ich Ihnen mitteilen, daß ich zur Entlastung des Präsidenten seit sechs Jahren die Überwachung der Fahrbereitschaft und die Festsetzung der Entfernungen vorzunehmen habe.

»In Ihrem speziellen Fall ist eine Entfernung von 400 km festgesetzt, und in gleicher Form sind auch die in Ihrem Bezirk wohnenden Kollegen aller Parteien bis heute behandelt. Ich sehe keine Veranlassung, in eine Revision dieser angegebenen Entfernung einzutreten, weil bei dieser Festsetzung Umleitungen, Frostaufbrüche, Neubauten an Straßen und Wegen einkalkuliert sind. Damit soll vermieden werden, daß fortwährend die Entfernungstabelle geändert werden muß.«

Der Abgeordnete Matthes sucht seinerseits seine großzügige Art, die Streckenpauschale festzulegen, mit dem Argument zu verteidigen, er habe vorher »Gutachten von behördlichen Instituten, privaten Einrichtungen und Dritten« eingeholt, um die Entfernungen möglichst präzise errechnen zu können.

Ohne Zweifel kann die Entfernung, die ein Bundestagsmitglied zwischen Bonn und seinem Wohnsitz oder Wahlkreis zurücklegt, differieren, etwa wenn wegen Straßenarbeiten Umwege gefahren werden müssen oder wenn ungünstige Witterungsverhältnisse es ratsam erscheinen lassen, bessere Wegstrecken zu benutzen. Daß aber selbst unter Berücksichtigung derartiger Unsicherheitsfaktoren den Abgeordneten immer noch eine beträchtliche Kilometer-Spanne verbleibt, veranschaulicht wiederum der Fall des Abgeordneten Platner. Mit dem Hinweis, er habe erst kürzlich einen Umweg fahren und darum einen erheblich längeren Weg als die 280 Kilometer der direkten Strecke zurücklegen müssen, sagte Platner: »Ich habe meinen Kilometerzähler genau beobachtet. Es waren 314 Kilometer.«

Mithin strich der Abgeordnete Platner bei einem Entschädigungstarif von 30 Pfennig pro Kilometer - bei vierundzwanzig Reisen pro Jahr immer noch über die tatsächlich gefahrene Strecke hinaus den Betrag von 1238 Mark ein, selbst wenn man voraussetzt, daß Platner jeweils auf Umwegen eine Gesamtstrecke von 314 Kilometern zwischen Bonn und Wohnsitz zurücklegte und nicht den direkten Weg wählte.

Nun ist der CDU-Parlamentarier nicht der einzige, der es sich angelegen sein läßt, im eigenen Wagen zu reisen. Rund dreihundert Mitglieder der bundesdeutschen Volksvertretung tun es ihm gleich. So liegt die Annahme nahe, daß die Entschädigung,

die von der Diätenstelle für nicht gefahrene Kilometer ausgezahlt wird, jährlich eine sechsstellige Summe erreicht.

Es mag Parlamentarier geben, die nicht so großzügig von ihrem Kollegen Matthes eingestuft worden sind wie Platner und die Kollegen »aller Parteien«, die in seinem Bezirk wohnen. Allein, die Verantwortlichen vermeiden es, die für die Kilometergeldentschädigung verbindliche Liste mit den Pauschalentfernungen offenzulegen. Eine schwer verständliche Übung, wenn man unterstellt, daß die Liste korrekt ist.

Sagt Ministerialrat Dr. Kalveram, stellvertretender Direktor der Bundestagsverwaltung: »Ein Betrieb legt natürlich auch nicht seine Lohnbuchhaltung auf - wenn auch der Vergleich hinkt.«

Selbst Bundestagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier, dem die oberste Verantwortung für eine ordnungsgemäße Auszahlung der Diäten obliegt, verweigert strikt jede Einsichtnahme in jene Liste, der die Differenz zwischen den tatsächlichen und den abgerechneten Kilometern der kraftfahrenden Parlamentarier zu entnehmen ist. Gerstenmaier zum SPIEGEL: »Das Ding kann ich Ihnen doch nicht geben, es sei denn, sie wollen schreiben, wie wenig unsere Volksvertreter verdienen.«

* Die Ausgaben für die Bundestagsabgeordneten betragen 16 Millionen Mark im Jahr. Das sind 0,046 Prozent des Bundeshaushalts.

Kraftfahrender Abgeordneter Platner

Wie weit ist Witzenhausen?

Entfernungsmesser Abgeordneter Matthes

400 Kilometer gleich 280 Kilometer

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