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FINANZEN / LOHNSTEUER Unbekannte Finessen

aus DER SPIEGEL 18/1969

Die bundesdeutschen Lohnsteuerzahler«, erbost sieh Willi Breidenstein, 54, Präsident der Interessengemeinschaft der Lohnsteuerzahler (IDL), »sind die besten der Welt -- sie schenken dem Staat jedes Jahr über eine Milliarde Mark.«

Noch bis Mittwoch dieser Woche können westdeutsche Arbeitnehmer wenigstens einen Teil des Geldes retten und ihre im vergangenen Jahr zuviel gezahlten Abgaben vom Fiskus zurückfordern. Gemeinsam veranlagte Ehepaare dürfen noch bis zum 31. Mai den sogenannten Lohnsteuerjahresausgleich für 1968 beantragen.

Doch Breidenstein fürchtet, daß über sechs Millionen deutsche Lohnsteuerpflichtige den Papierkrieg mit dem Finanzamt scheuen und die Termine ungenutzt verstreichen lassen werden. Diejenigen Arbeitnehmer hingegen, die ihren Antrag stellen, ohne sich dabei fachkundig beraten zu lassen, werden nach den Erfahrungen des IDL-Präsidenten längst nicht alle gesetzlichen Möglichkeiten zur Steuerersparnis ausschöpfen. Schuld daran ist, so Breidenstein, der »lohnsteuerrechtliche Paragraphendschungel«, den nur Experten noch zu durchdringen vermögen.

Um diese »finanzielle Ausbeutung des Arbeitnehmers durch die unzulängliche Erhebungsform der Lohnsteuergelder« zu bekämpfen, gründete Breidenstein vor mehr als acht Jahren seine Interessengemeinschaft. Als Büro für ratsuchende Steuerzahler diente dem damaligen Buchhalter der städtischen Fuhrbetriebe Dortmund anfangs das häusliche Wohnzimmer.

Heute hat der. Steuerzahler-Verein Breidensteins, der 1963 seinen unkündbaren Posten aufgab, um ganztags Präsident der IDL zu werden, mehr als 60 000 Mitglieder. In sechs westdeutschen Großstädten arbeiten 48 hauptamtliche Berater, meist ehemalige Finanzbeamte oder Buchhalter. Weitere 140 steuerkundige IDL-Aktive im gesamten Bundesgebiet leisten nebenberuflich Hilfe gegen das Finanzamt. Sie sichten und prüfen die Steuerbelege der Mitglieder, die dafür einen Jahresbeitrag von 30 Mark entrichten, und reichen die ausgefüllten Antragsformulare persönlich bei der zuständigen Steuerstelle ein,

Allein im vergangenen Jahr holten auf diese Weise die IDL-Berater für ihre Klienten durchschnittlich rund 600 Mark vom Fiskus zurück. Die meisten Lohn- und Gehaltsempfänger, die ihren Antrag auf Steuerrückzahlung selbst bastelten, konnten durchschnittlich nur etwa 300 Mark wiedergewinnen.

»Die Laien«, so erklärt der Hamburger IDL-Berater Heinz Polster, zeitweise Leiter der Lohnsteuer-Stelle des Bad Segeberger Finanzamtes, »kennen eben nicht die Finessen.« Kaum jemand wisse zum Beispiel, daß die Kosten für einen Autounfall auf der Fahrt zur Arbeit absetzbar sind und daß bei Umzügen von einer Stadt zur anderen die Makler-Courtage für die neue Wohnung und sogar eine Besichtigungsfahrt aller Familienmitglieder vom Finanzamt als Werbungskosten anerkannt werden können.

Polster selbst bewies seinen Vorgesetzten schon vor dem Übertritt in Breidensteins Lager vorzügliche Sachkenntnis: Beim eigenen Finanzamt erstritt er in eigener Lohnsteuersache eine höhere Rückzahlung. Als Hamburger IDL-Bezirksstellenleiter kritisiert Polster die unterschiedliche Auslegung der Steuergesetze, die dazu führe, daß beispielsweise eine Rückzahlung, die »im Finanzamt Hamburg-Altona beantragt und anerkannt wird ... noch lange nicht im Finanzamt Hamburg-Wandsbek oder gar Lüneburg anerkannt wird«.

Gegen solche lohnsteuerlichen Ungereimtheiten zieht IDL-Präsident Breidenstein von seiner Dortmunder Zentrale aus hartnäckig zu Felde. Fast ständig liegt der streitlustige Westfale mit den Finanzbehörden einzelner Bundesländer in Fehde, um durch Einsprüche und Musterprozesse seinen Mitgliedern gerechtere Finanzentscheidungen zu erzwingen.

So mußten im vergangenen Jahr Nordrhein-Westfalens Finanzämter prüfen, ob die im Fliesenlegerstreik von 1967 gezahlten Streikgelder von mehr als 800 Mark monatlich einkommensteuerpflichtig sind, wie es SPD-Finanzminister Hans Wertz entschieden hatte. Weil die Steuerbehörden den IDL-Einsprüchen gegen diese Verfügung nicht stattgaben, klagt Breidenstein jetzt für seine Fliesenleger vor dem Finanzgericht.

Reiche Prozeßerfahrung hat sich der IDL-Chef schon gleich nach der Gründung seiner Interessengemeinschaft erworben. Das Finanzamt Dortmund-Nord hatte seine Bürgerinitiative übelgenommen und dem eingetragenen Verein aufgrund eines Paragraphen der Reichsabgabenordnung von 1935 jegliche Beratung seiner Mitglieder in Lohnsteuerfragen untersagt.

Breidenstein boxte sich bis zum Münchner Bundesfinanzhof durch. Als er auch dort abschlägig beschieden wurde und schon glaubte, am »Rechtsempfinden unseres demokratischen Staatsapparates zweifeln« zu müssen, appellierte er an die Abgeordneten des Bundestages. Mit Erfolg: In einer Lex Breidenstein änderten die Volksvertreter 1964 die Reichsabgabenordnung und legalisierten so die Arbeit der Interessengemeinschaft.

Breidensteins Intimfeinde im Düsseldorfer Finanzministerium indes rasteten nicht, bis sie glaubten, aus dem neuen Gesetzestext herauslesen zu können, daß die IDL ihre Mitglieder zwar bei der Lohnsteuerberechnung, nicht aber bei der in bestimmten Fällen zusätzlich notwendigen Einkommensteuerveranlagung beraten dürfe. Wieder zog der Steuerkämpfer aus Dortmund vor Gericht.

Zwei Jahre lang -- von 1966 bis 1968 -- prozessierte er in Münster, Bremen, Kiel und schließlich vor dem Bundesfinanzhof in München gegen den Verbots-Erlaß der Steuerbeamten. Ehe die Bundesrichter ihr Urteil fällen konnten, zeigte der Bonner Bundestag »wiederum eine bessere rechtliche Beurteilung des Sachverhaltes« (Breidenstein) und ergänzte im August vergangenen Jahres nochmals den Paragraphen 107a der Abgabenordnung.

Mit Genugtuung druckte Breidenstein in der ersten Ausgabe seiner Vereinszeitung Anfang dieses Jahres für seine »verehrten Mitglieder« den Wortlaut eines Schreibens ab, in dem das Finanzministerium von Nordrhein-Westfalen den Oberfinanzdirektionen des Bundeslandes mitteilte, die Interessengemeinschaft dürfe »somit künftig in größerem Umfange« Hilfe auch in Einkommensteuerfragen leisten.

»Jetzt«, so schloß Breidenstein die Briefspalte ab, »glauben wir doch endlich, daß wir in Ruhe und Frieden unsere segensreiche steuerliche Hilfe, zum Wohle des leidgeprüften Lohnsteuerzahlers, ausüben können.«

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