Zur Ausgabe
Artikel 2 / 53

JENS DANIEL: ... UND MEINEN KATTUN

aus DER SPIEGEL 24/1957

Wahlkämpfe leben nicht von der Milch der frommen Denkungsart. Es ist legitim, und wenn nicht legitim, dann zumindest doch üblich, den Gegner einen Ignoranten zu nennen, den man »aus dem Amt jagen« (Lieblingsausdruck der jeweiligen Opposition in England) oder von der Regierung fernhalten müsse. Es ist schon nicht mehr legitim, aber immer noch üblich, den Gegner einen Kriegstreiber zu nennen, oder einen »Östling«. Aber was der Bundeskanzler in Bamberg vor dreißigtausend katholischen Männern zum besten gegeben hat, ist nicht mehr mit dem Respekt zu behandeln, den man dem Träger eines hohen Amtes auch dann schuldet, wenn er entgleist.

Bei den kommenden Bundestagswahlen gehe es darum, so hat der Kanzler sich vernehmen lassen, »ob Deutschland und Europa christlich bleiben oder kommunistisch werden«. Da die Hauptentscheidung nur zwischen CDU und Sozialdemokraten fallen kann, heißt das: Wer SPD wählt, liefert das bislang christliche Europa dem Anti-Christ, dem Kommunismus aus.

Wenn Erich Ollenhauer, ein reichlich zahmer Oppositionsführer, vor dreißigtausend. Falken die Parole ausgeben würde, die Wiederwahl Adenauers sei gleichbedeutend mit dem Atomsterben der Menschheit, so wäre das entweder Gemeinheit oder Schwachsinn. Aber wie ist zu klassifizieren, was der Bundeskanzler in Bamberg gesagt hat? Muß sich die Welt daran gewöhnen, daß der Kanzler der Bundesrepublik Deutschland Schelmenfreiheit in Anspruch nimmt?

In Polen, wo die katholische Kirche sich mit zäher Klugheit behauptet hat, steckt mehr Christentum als in den Ländern, die der Kanzler »das christliche Europa« nennt. In Ungarn haben zwölf Jahre brutaler Verfolgung die Kirche nicht geschwächt, sondern wiedergeboren. Im Sterben liegen die Kirchen in der Bundesrepublik, wo sie unter dem Gebimmel und Weihrauchschwenken der Feiertagschristen als lebende Leichname zu Grabe getragen werden, und wo sie sich willig dazu hergeben, das harte politische Geschäft mit frommen Sprüchen zu umnebeln. Wem zum Nutzen? Nun, zumindest nicht zur Ehre des mißbrauchten Namens Christi. »Verfalls-Christentum« nannte das der große christliche Denker Berdjajew, »übertünchte Gräber« sagte in seiner plastischen Sprache der Herr.

Ist es denn wahr, daß die CDU aus

einer besonderen christlichen Verantwortung heraus handelt, derer die anderen Parteien ermangeln? Lieben die Führer der CDU ihren Nächsten mehr, als die Führer der anderen Parteien dies tun, setzen sie sich in christlichem Geist mit dem Bruder Gegner auseinander? Ist die CDU weniger von höchst weltlichen Sünden heimgesucht als andere Parteien, ist sie demütiger und bußfertiger? Halten die Führer der CDU ihr Wort ehrlicher als andere Parteiführer, Ist ihre Rede »ja, ja« und »nein, nein«? Verabscheuen sie die Intrige, haben sie reinere Hände, sind sie uneigennütziger, weniger auf Macht und Besitz erpicht? Von alldem kann nicht die Rede sein, aber: Sie gehen jeden Sonntag allen sichtbar zur Kirche, und sie sind auch dann für die konfessionell gebundene Schule, wenn es darum geht, aus einer funktionsfähigen Schule zwei Klippschulen zu machen.

Sehr alte Leute haben uns berichtet, daß selbst zur Kaiserzeit die Liebedienerei gegenüber dem Souverän in Berlin nicht so bizarr-verächtliche Formen angenommen habe wie die durchgängige Heuchelei, wie die konfessions-arithmetisch erklügelte und von Berufs wegen zur Schau getragene Frömmigkeit in Bonn. Ich für meinen Teil habe die CDU früher auch für eine kühne parteipolitische Schöpfung gehalten. Aber das deutsche Wirtschaftswunder hat daraus unter beifälliger Assistenz der Prälaten und Oberkirchenräte ein Monstrum an unaufrichtiger Gesinnung erstehen lassen, einen Bastard aus sogenanntem abendländischen Geist und Steuererleichterungen für den Export. Sie sagen Gott und meinen Kattun.

Die deutsche Kirchenführung hinwiederum hat unter Hitler nichts vergessen und nichts hinzugelernt. Welche Gefühle mögen wohl einen katholischen SPD-Wähler anwandeln, wenn er in Münster das Hochamt besucht? Die Predigt hält derselbe Bischof Keller, der es für »mit dem christlichen Gewissen nicht vereinbar« erklärt hat, die SPD zu wählen. Vielleicht wird dieser katholische Arbeiter seinen Kirchenbesuch einstellen, zum Schaden seiner Seele? Und ist nun sein Oberhirte, der ihm Ärgernis gegeben hat, ein Demokrat? Bejaht er das demokratische Wechselspiel, oder bevorzugt er das Regime des ermordeten Dollfuß und des Generals Franco?

Um uns allen nur recht klarzumachen,

daß dieser Bischöf kein Einzelgänger ist, hat Kardinal Frings die christlichen Gewerkschaftler autoritativ aufgefordert, die Einheitsgewerkschaft, das Pendant zur CDU auf Ständebasis, zu verlassen und sich dem christlichen, will sagen dem katholischen Gewerkschaftsbund anzuschließen.

Ausdrücklich hat der Bundesgeschäftsführer der CDU den Kirchen das Recht zugesprochen, »ihre Stimme gegen politische Kräfte zu erheben, deren Politik ihre Orientierung an einem anti- und achristlichen Menschenbild erfährt«. Was mag das für ein Menschenbild sein, an dem die CDU ihre Orientierung erfährt? Wir kennen dieses Menschenbild, es trägt keine verabscheuungswürdigen Züge. Zufriedenheit erstrahlt auf ihm, wenn ihm »Wohlstand und Sicherheit für alle« versprochen werden. Aber das versprechen die anderen Parteien doch auch? Eben.

Europa werde nicht mehr christlich bleiben, sondern kommunistisch werden, wenn die SPD zur Regierung gelange, hat der Herr Bundeskanzler zu Füßen des Bamberger Reiters erklärt. Von diesem Hexen-Einmaleins abgesehen - vielleicht müßte wirklich erst die Drangsal einer kommunistischen Unterdrückung kommen, um das europäische Verfalls-Christentum wieder zu neuem Leben zu erwecken? »Das Christentum braucht«, schrieb Sören Kierkegaard, ein Mann, der um das hundertjährige »Kierkegaard-Jahr« seines Sterbens mit knapper Not herumgekommen ist, »frische Luft, es braucht Verfolgung.« Vielleicht gibt es das eine nicht ohne das andere?

Vor solchen Schlußfolgerungen für die Politik behüte uns freilich Gott. Aber er behüte uns auch vor dem vermessenen, törichten Wahn, als seien die Politiker dazu da und befähigt, unterstützt von den Kardinälen den geschichtlichen Willen Gottes zu erkennen und zu vollbringen.

Jens Daniel

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 2 / 53
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren